„Wir sind mittendrin im Weltraum“Shabazz Palaces im Interview
8.8.2014 • Sounds – Interview: Wenzel BurmeierShabazz Palaces buchstabieren Fortschritt in Reimform und sind einer der spannendsten HipHop-Acts der vergangenen Jahre. Nun ist das zweite Album „Lese Majesty“ erschienen. Das Filter im Gespräch mit Frontmann Ishmael Butler.
1992 tritt Ishmael Butler seine musikalische Reise an. Als rappendes und produzierendes Drittel der Digable Planets erforscht er die jazzigen Tiefen seiner Vinylsammlung und katapultiert sich mit seinen Kollegen bis in die Rotation von MTV und BET. Nach zwei Alben folgte die unerwartete Stille, von Butler und seinem Trio war kein Lebenszeichen mehr zu hören. Bis 2009 zwei mysteriöse EPs auftauchen. Eingeweihte machen eine bekannte Stimme aus – und tatsächlich: Ishmael „Butterfly“ Butler feiert seine Wiedergeburt als Palaceer Lazaro.
Zusammen mit dem Multi-Instrumentalisten Tendai Maraire bildet er nun das Duo Shabazz Palaces. Nach einem von Auskennern gefeierten und von der gemeinen Rapwelt als „Kunststudenten-Rap“ gestempelten Debüt, ist soeben ihr zweiter Langspieler auf Seattles musikkulturellem Gralshüter Sub Pop erschienen. „Lese Majesty“, zu Deutsch so viel wie Majestätsbeleidigung, spuckt auf gefälliges Radiogedudel und obligatorische Reimpattern. Stattdessen vermisst das Duo unbekannte Weiten im Rap-Kosmos – mit selbstsicherer Attitüde und einer Allianz aus Synthies und afrikanischer Percussion im Rücken.
Die Record Release Party zu „Lese Majesty“ hat im „Pacific Science Center Laser Dome“ in Seattle stattgefunden. Wissenschaft, Technologie: Das sind zentrale Themen bei euch.
Na ja, wir nehmen unsere Musik mit Rechnern auf (lacht). Und auch live ist eine Menge Technik im Spiel, allein was die Mics und Drummachines betrifft. Wir machen uns aber grundsätzlich keine Gedanken über Technologie, wenn wir Musik machen. Ich verstehe sie mehr als Werkzeug, das eben selbstverständlich zur Musik gehört.
Ein Statement zu „Lese Majesty“ besagt, das Album sei von Robotern in den Protect & Exalt Labs zusammengetragen worden.
Wie alle Formen der Magie können auch die Vibrationen, die mit der Musik durch uns fließen, für üble Absichten verwendet werden. So wird die Inspiration und die Kommunikation durch Musik oft für böse Zauber genutzt, etwa um Menschen zu betrügen und auf ihre Kosten Geld daraus zu schlagen. Wir versuchen hingegen, mit unserem musikalischen Talent unsere Kultur zu beschützen [protect; Anm. d. Verf.] und sie zu preisen [exalt; Anm. d. Verf.]. Protect & Exalt Labs ist der Name unseres Studios – der Ort, an dem wir unsere sehr instinktive Gabe Musik zu machen in Form von Songs umwandeln. Bei den Robotern handelt es sich um die Computer, die unsere Musik aufnehmen.
Neben moderner Technologie tauchen auf der Platte immer wieder auch antike Artefakte auf, sowohl in den Texten, als auch musikalisch.
Richtig. Aber ich mache keinen Unterschied zwischen früherer und heutiger Technologie. Jedes Werkzeug, das Fähigkeiten, Gedanken und Kultur befördert, sehe ich als technologischen Fortschritt. Wenn früher eine Trommel mit anderer Haut bespannt wurde, um neue Sounds zu kreieren, dann war das ein genauso wichtiger technologischer Fortschritt wie heute etwa Ableton Live. Ich lehne die Vorstellung ab, dass etwas Neues gleich besser ist. Eine Erfindung aus 2014 ist für mich nicht zwangsläufig eine Verbesserung von dem, was 1.000 Jahre zuvor erschaffen wurde. Denn wenn etwas wirklich besser sein soll, muss es entsprechende hilfreiche Eigenschaften mit sich bringen. Einfach nur neu zu sein, genügt da nicht.
Und was unsere Musik betrifft: Wir wollen weder etwas Vergangenes nachahmen, noch etwas Futuristisches schaffen. Wir verstehen unsere Einflüsse und die Richtung, in die wir gehen wollen, aber im Vordergrund steht für uns das Jetzt. Wir wollen das Jetzt erweitern, denn das ist die einzige Zeit, aus der die Vergangenheit und die Zukunft überhaupt betrachtet werden können. Es geht uns darum, instinktiv zu leben und im Moment des Lebens etwas zu kreieren.
Neben jeder Menge Technologie scheint mir der Weltraum ein zentrales Motiv auf „Lese Majesty“ zu sein. Das lässt unweigerlich an einen Afrofuturismus denken, den man etwa mit dem Jazz-Musiker Sun Ra oder der Funk-Gruppe Parliament verbinden mag. Sie haben den Weltraum als Projektionsfläche für Ideen und Vorstellungen verwendet, die hier unten nicht umsetzbar waren. Wie stehst du zu dieser Annahme?
Hm, ich bin auf der Erde und war nie dort draußen (lacht). Das ist für mich also in erster Linie ein Raum, über den wenig bekannt ist. Aber das wenige Wissen, das zu mir getragen wurde, ist eine astreine Vorlage für Fantasien, Vermutungen, Wünsche und Träume. Und all das bietet wiederum einen enormen Spielraum für Kreativität. Wenn ich gerade so darüber nachdenke, befindet sich die Erde streng genommen ja aber auch im Weltraum. So gesehen sind wir natürlich mittendrin.
Sun Ra hat wohl auch nach einem Ort gesucht, in dem die Rasse keine Rolle spielt, um auf den alltäglichen Rassismus zu reagieren. Für wie wichtig hältst du solch einen Zufluchtsort heute?
Der Gedanke, schwarze Menschen würden in Opposition zu weißen leben, verleiht der weißen Vorherrschaft – die tatsächlich kreiert wurde – ein bisschen zu viel Gewicht. Ich will nicht sagen, dass ich diese gesellschaftlichen Verhältnisse nicht erkenne. Aber wir verbringen unsere Tage nicht damit, uns ständig darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir kommen klar damit, wer wir sind. Wir haben es akzeptiert und bewegen uns in unser eigenes Reich – in dem spielt die weiße Vorherrschaft keine zentrale Rolle.
„Was soll denn an unserem HipHop bitte „experimentell“ sein? Dass nicht nach allen 16 Takten Rap ein Chorus kommt? Come on!“
Eure Musik wird häufig als „Avantgarde-Rap“ bezeichnet. Wie stehst du zu solch einer Bezeichnung?
Unsere Musik wird immer mit Labels versehen. Mit „Avantgarde“ kann ich mich anfreunden. Ich nehme das als Kompliment auf, denn es bedeutet, dass man sich einen fortschrittlichen Blick auf Dinge bewahrt. Auch der Bezeichnung „spirituell“ würde ich zustimmen. Denn wenn ich Musik mache, bin ich nicht das Epizentrum. Die Musik geht nicht allein von mir aus, sondern ist eine Reflexion etlicher Menschen, Orte und Situationen, die durch mich in die Musik fließen.
Die Bezeichnung „experimentell“ ist allerdings lächerlich. Was soll denn an unserem HipHop bitte „experimentell“ sein? Dass nicht nach allen sechzehn Takten Rap ein Chorus kommt? Come on! Es gibt Künstler, die mit Dissonanzen und verschiedenen Tonalitäten experimentieren und ihre eigenen Musikinstrumente basteln. Und selbst die würde ich nicht wirklich als „experimentell“ bezeichnen. Denn Musik an sich sollte doch ein einziges Experiment sein. Man sollte also umgekehrt Mainstream-Musik, die einfach nur als Kopie funktioniert, als „nicht experimentell“ labeln, anstatt originäre Musik in eine abseitige Sparte zu packen. Aber ich verstehe sowieso nicht, warum Musik immer mit den gleichen Worten versehen wird.
Nehmen wir an, es gibt 1.000 Journalisten und Schreiber. Wenn allein zehn von ihnen die gleichen Bezeichnungen für die Musik eines Künstlers verwenden, dann finde ich das einfach nur faul. Es muss doch mehr Wege geben, die Gefühle, die sich beim Hören einstellen, in Worte zu fassen. Aber scheinbar haben viele keine Zeit, keine Energie, keine Vorstellungskraft oder einfach nicht die notwendigen Skills, um selbst ein paar neue Worte zu finden.
Unsere Musik steht offen für deine Interpretation. Überlege dir, was du beim Hören fühlst, ganz instinktiv. Mehr Informationen kann ich zu unser Platte nicht geben. Es gibt keine Anleitung, um „Lese Majesty“ zu hören.