Kontrapunkt und schuftende FarmerDer Wiener Producer Dorian Concept über Akkord-Askese und fehlende Tasten
27.10.2014 • Sounds – Interview: Wenzel BurmeierFünf Jahre hat es gedauert, bis der Österreicher Dorian Concept sein neues, zweites Album fertig hatte. Kein Wunder: Sein durcheinandergewirbelter Sound sorgte für viel Aufmerksamkeit, bis hinaus nach Los Angeles zu Flying Lotus, mit dem der Wiener regelmäßig zusammenarbeitet und ihn auf Tour begleitet. Jetzt liegt der Fokus wieder auf seinen eigenen Produktionen. Interessantes Detail: Das Album erscheint auf Ninja Tune, dem neuen Sammelbecken für elektronische Offenheit.
In Wien ticken die Uhren langsamer, so sagt man. Wer so clever ist wie Oliver Johnson, macht aus der Not eine Tugend, schlägt aus der Wiener Gemütlichkeit ein immenses Zeitkapital und investiert es in den Ausbau künstlerischer Skills. Vielleicht aus reiner Langeweile heraus langte Oliver vor etwa einem Jahrzehnt zum microKORG, einem erschwinglichen Synthesizer mit Tasten in der Größe eines durchschnittlichen kleinen Fingers. Ein YouTube-Video mit dem programmatischen Titel „Fooling around on Micro Korg“ dokumentierte die autodidaktische Transformation des schlaksigen Blondschopfs zum Keyboard-Wizzard. Als dann noch eine Hand voll vertrackter Beats auf MySpace folgten, war unter HipHop-affinen Menschen mit Weitblick und Faible für Electronica ein neuer Hoffnungsträger auserkoren: Dorian Concept.
Seitdem ist einiges passiert in der Karriere des Wiener Wunderkinds, nicht zuletzt mehrfache Engagements bei der Red Bull Music Academy sowie eine Tour als Keyboarder für Beat-Maestro Flying Lotus. Und obwohl mit „When Planets Explode“ vor fünf Jahren bereits eine LP auf dem von Schulfreunden betriebenen Label Affine Records erschien, fühlt es sich an, als würde Dorian Concept dieser Tage seinen Einstand auf Albumlänge geben. Womöglich ist es das stringente Klangbild, das „Joined Ends“ durchzieht. Der microKORG wich jüngst einem Wurlitzer-Piano und jeder Menge analoger Synths, vorzugsweise monophoner Bauart. Aus ebenjenen schichtet Oliver geradezu ätherische Nummern, die jazzigem Muckertum gerecht werden und doch stets den musikalischen Grundgedanken von HipHop finden: den Loop.
Im Zuge dieses ultimativen Herbstalbums unterhielt sich Das Filter mit Oliver Johnson alias Dorian Concept über den Egoismus, sich selbst zu samplen und die Entdeckung der eigenen Stimme unterhalten.
Dein letztes und erstes Album liegt fünf Jahre zurück. Hast du tatsächlich die ganze Zeit an der neuen Platte gesessen?
Aktiv habe ich so zwei Jahre daran gearbeitet – ohne das ganze Pitchen bei den Labels und die Verhandlungen mit Ninja Tune. Ende 2011 ging es los mit dem Kauf von meinem ersten Analog-Synth, dem Moog Prodigy. Aus den ersten Versuchen ist direkt die Single „Draft Culture“ entstanden, der Bass-Sound ist aus dem Prodigy. Ich hatte sechs Jahre lang in fast jeder Produktion den microKORG verwendet, aber der Prodigy hat mir noch mal eine ganz andere Klangwelt eröffnet. Außerdem hat mich dieses Gerät pleite gemacht, ich habe nämlich von dem Zeitpunkt an all meine ersparte Kohle der Live-Gigs aus den letzten Jahren in Analog-Kram investiert.
Dein Schlafzimmer hat sich also in ein Synth-Labor verwandelt?
Mittlerweile teile ich mir mit einem Kumpel ein kleines Studio. Anfangs habe ich all diese Geräte aber noch zu Hause gehortet, ja. In meinem Schlafzimmer standen eh bis dahin nur ein Bett und ein Kleiderkasten, da hat das schon gepasst.
Dafür dass du über zwei Jahre an dem Album gearbeitet hast, klingt es im positiven Sinne sehr einheitlich, wie aus einem Guss. Liegt das auch an den Geräten, die du dir angeschafft hast?
Mein erstes Album war eher so etwas wie eine Selection an Singles. Nun habe ich tatsächlich versucht, einen bestimmten Vibe zu finden, das Album sollte eher filmisch klingen. Ich bin die Auswahl der Tracks also von vornherein mit dem Ziel angegangen, dass alles als Gesamtwerk rüberkommt, so wiederholen sich beispielsweise auch Themen in Nummern oft. Die Geräte haben mich dann praktischer Weise auch beschränkt, denn ein Wurlitzer, ein Prodigy oder ein Roland SH-101 haben jeweils schon eine sehr markante Charakteristik, die enorm abfärbt auf das Ergebnis. Außerdem war mir die Welt der analogen Synths ziemlich neu, und aus Respekt vor den Dingern habe ich mich noch nicht getraut, sie stark zu entfremden oder zu verunstalten. Ich merke, wie ich mittlerweile ganz anders mit den Geräten umgehe, als zu dem damaligen Zeitpunkt.
„Ich wusste: Das ist das Produkt, ich will dass es genau so rauskommt.“
Tatsächlich klang das vorige Album auch noch viel schnipseliger und vertrackter.
Damals hatte das Label Kindred Spirits noch viel mehr zu sagen. Eigentlich war nur eine EP ausgemacht, aber als wir die ganzen potentiellen Nummern durchgegangen sind, haben wir doch eine Mini-LP draus gemacht. In dem Fall sehe ich mich aber nicht als einzige Person, die die Entscheidungen getroffen hat, die das Album so klingen ließen. Bei „Joined Ends“ hingegen habe ich geschaut, dass ich das Album fertig habe, bevor ich überhaupt mit Ninja über einen Vertrag rede. Ich wusste: Das ist das Produkt, ich will dass es genau so rauskommt. Wir haben dann nur noch über das Tracklisting und Kleinigkeiten geredet.
Du sagtest, dass das Album filmisch klingt. Wie sähe denn der Film zu „Joined Ends“ aus?
Es ist schwer, bei den Tracks konkret an Filme zu denken. Es gibt vielleicht Regisseure, deren Arbeiten von der Stimmung her passen würden. Es könnte etwas rundes, weiches sein, nicht zu prahlend oder Aufmerksamkeit suchend; ein Film, der eher von den Charakteren und den Stimmungen der eigentlichen Schauspieler lebt als vom Kinematographischen – eher „Lost In Translation“ von Sofia Coppola, als etwas von Kubrick. Ich sehe das jedenfalls als Menschen nahes, fast schon altruistisches Album. Wobei es auch interessant wäre, die Musik in einem viel abstrakteren Szenario zu verwenden. Ich finde es bei Filmen ziemlich geil, wenn die Musik ganz im Kontrast zum Visuellen steht.
„Es könnte etwas rundes, weiches sein, nicht zu prahlend oder Aufmerksamkeit suchend; ein Film, der eher von den Charakteren und den Stimmungen der eigentlichen Schauspieler lebt als vom Kinematographischen – eher „Lost In Translation“ von Sofia Coppola, als etwas von Kubrick.“
Wo du „menschlich“ sagst, fallen mir die Vocals auf dem Album ein. Bekommen wir da deine Stimme zu hören?
Ja, ich habe mich zum ersten Mal getraut, meine eigenen Vocals zu verarbeiten. Anfänglich waren die nur Platzhalter. Wie man das vom Singen unter der Dusche kennt, fallen mir Hooklines und Melodien oft in alltäglichen Situationen ein und als Erinnerungsstütze singe ich die oft ein. Zu der Ästhetik der analogen Instrumente hat die Stimme nun gut gepasst, also habe ich sie zum ersten Mal nicht durch einen Lead-Synth ersetzt. Mit der Stimme als Element zu arbeiten, war ziemlich interessant. Denn so sehr ich versucht habe, die Instrumente rein und unbearbeitet klingen zu lassen, so sehr habe ich mich bei der Stimme gehen lassen und sie stark verfremdet. Bei „Claptrap“ klingt sie dann wie ein Kinderchor und bei „Ann River“ denken bislang alle an eine Frauenstimme. Interessanter Weise ist da ein androgyner, stark prozessierter Gesang entstanden, der aber überhaupt nicht digital bearbeitet sondern weiterhin sehr menschlich klingt.
Dieser Kontrast bringt mich zu einem anderen Gegensatz der Platte: „Joined Ends“ klingt einerseits verspielt jazzig und gleichzeitig total programmiert.
Ja, das hängt vielleicht mit einem gewissen Sampling-Gedanken zusammen. Vom Tempo und der Snare-auf-zwei-und-vier-Ästhetik her, war das erste Album klarer und ging in Richtung HipHop-Produktionen. Aber rein vom Grundgedanken her kommt auch das jetzige Album aus meinem initialen Zugang zu HipHop: dem Repetitiven und Hypnotischen eines Loops. Den perfekten Loop zu finden, der nicht langweilig wird, ist eine Beschränkung, die HipHop-Produktionen ausmacht und die großen Charme hat. Ich habe nun quasi Self-Sampling betrieben und aus 30-Minuten-Jams Loops rausgeschnitten. Man könnte das schon als gierig sehen, dass ich der Typ sein muss, der sich selbst das Material baut, das er sampelt. Aber für mich war das von zwei Seiten interessant: Ich bin einerseits als Musiker, beziehungsweise Keyboarder aufgewachsen und hatte schon immer die improvisierende Seite, die nur spielen wollte. Zeitgleich gab es da aber auch die produzierende Seite, die dem zügelnd entgegenwirkt.
Vielleicht machst du es in Zukunft einfach wie Kanye West: Anstelle verschiedener Sample-Quellen engagierst du pro Track mindestens sieben Produzenten, um dann aus ihrem Input deinen eigenen Beat zu bauen.
(lacht) Ja, der hat das echt früh abgecheckt. Bei Flying Lotus sind Herbie Hancock und Thundercat mittlerweile auch Teil seines Sounds, der trotzdem noch ganz eigen klingt. Aber bei Leuten wie Quincy Jones war das eigentlich auch nicht anders. Um ein Jahrhundert-Produzent zu werden, brauchst du wohl die Magie einzelner Zeitgenossen. So wie in „Herr der Ringe“, wo du unbedingt noch das Holzmedaillon von den Elfen brauchst. Ich sehe mich in der Hinsicht aber immer schon eher als den schuftenden Farmer, den vielleicht nicht so viele Leute mitbekommen, der aber seine eigene Schweinefarm und seinen Obstgarten hat. Ich habe schon immer Leute in der Musik geschätzt, die einen autodidaktischen und multiinstrumentalen Zugang haben.
Hat dich da ein konkretes Beispiel beeinflusst?
Ah, ja, das Album „Music Is Rotted One Note“ von Squarepusher. Eine Jazz-Fusion-Platte, die so klingt, als sei sie von einer Band eingespielt worden, die zu viel „Bitches Brew“ gehört hat. Im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass sich Squarepusher die ganze Zeit overdubbed hat – er hat über sein eigenes Schlagzeug Bass gespielt, darüber dann Keys und so weiter. Mit diesem Album wurde ich zum ersten Mal mit dieser Möglichkeit konfrontiert. Bedenkt man, dass es immer jemanden gibt, der ein Instrument viel besser beherrscht und dem ganzen Projekt noch einen fresheren Vibe geben könnte, erscheint es total unnötig, sich das anzutun, all diese Instrumente zu erlernen. Aber ich habe das früher mal als einen seltenen Skill gesehen und mir das als persönliches Ziel gesetzt. Jeder findet wohl in ganz eigenen Orten etwas, das er magisch findet und beherrschen will. Bei mir war es eine Autonomie von Musikern. Durchs Alter werde ich da durchaus entspannter, aber auf diesem Album ist das allein mit dem Selbst-Sampling-Gedanken noch sehr präsent.
Auf Tour hast du nun immerhin schon zwei andere Musikern dabei, oder?
Ja, die Shows spiele ich mit zwei guten Freunden von mir. Clemens Bacher, der als Cid Rim auch bei LuckyMe releast, spielt Drums. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Und Paul, The Clonious, ein Freund aus der Gymnasium-Zeit, sitzt am Bass.
Apropos gute Freunde: Ist der microKORG auf Tour wieder dabei?
Ich glaube, ich werde ihn nur bei Solo-Shows einsetzen. Wenn wir als Trio spielen, wird er ersetzt durch den Roland SH-101, der klingt auch schön Sägezahn-Dreieck-scharf – ein würdiger Ersatz.
Der microKORG wurde zu einem Markenzeichen von dir. Du hattest ein Modell, bei dem irgendwann mehrere Tasten gefehlt haben. Eine ziemliche Einschränkung bei solch einem Gerät, oder?
Das kann ja sehr hilfreich sein. Viele ältere Synths sind monophon, sie können also nur eine Note gleichzeitig spielen. Das hat mir auf dem Album und auch beim Live-Spielen einen ganz anderen Kick gegeben, was die Akkord- und Harmonie-Gestaltung angeht. Man legt dann keinen Akkord hin, sondern baut das Ganze durch einzelne Noten auf. Kontrapunkt-mäßig habe ich mehrere Melodien übereinander aufgenommen, die mit- und gegeneinander tanzen. Im Grunde wie in einem Orchester, in dem man einzelne Streicher hat, die gemeinsam mächtig klingen – nur eben in der digitalen Pocket-Variante.