App der Woche: Esa-Pekka Salonen - Das OrchesterKlassische Musik auf dem iPad
19.6.2014 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannHeute bleiben Pop und Techno in der Garage.
Der Mann dort auf dem Podium ist Esa-Pekka Salonen. Komponist, Dirigent, Nerd, Finne. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, aber doch spielen diese Dinge eine wichtige Rolle in seinem Leben. Er ist Chef des Londoner Philharmonischen Orchesters, hat überall auf der Welt gearbeitet, komponiert, dirigiert, in Los Angeles die Walt Disney Konzerthalle konzipiert und die Fertigstellung begleitet, ist Ehrendoktor der Sibelius-Akadamie und ECHO-Preisträger. Und war gestern zu Gast im Berliner Apple Store. Sein 70-köpfiges Orchester brachte er gleich mit.
Salonen ist aktueller Endorser (das entspricht in etwa einem Testimonial, also bekanntem Werbeträger) bei Apple. Die aufwendig gestaltete Online-Geschichte zeigt, wie Pekka das iPad bei seiner täglichen Arbeit nutzt. Das ist hübsch anzusehen, aber eigentlich nicht wichtig. Wichtiger ist: Pekka ist eine coole Sau.
Vor dem Konzert, bei dem auf jedes Orchestermitglied ungefähr ein Zuschauer kommt, sehr ausgeglichene Angelegenheit, plaudert Pekka über sein Leben, die Musik, Technik und die sogenannte Hochkultur. Dabei sagt Pekka ganz bemerkenswerte Dinge. Wenn er über diesen besonderen Moment inmitten einer Symphonie spricht, den Moment, in dem alles passt - auf dem Dancefloor würde man sagen Peak Time - dann ist das für ihn „Hardcore“. Die Klassik-Szene empfindet er als arrogant. So arrogant, dass sie es fast geschafft hätte, sich selbst obsolet zu machen. Zu sehr schmorend im eigenen Saft. Wen man sich gegenseitig immer wieder auf die Schulter klopft, dann verliert man den Bezug zur Realität. Sein Orchester kommt kurze Zeit später in Jeans und Turnschuhen auf die Bühne.
Pekka liegt die Klassik am Herzen. Er will eine Lanze brechen für die Musik, der immer noch eine gewisse Staubigkeit vorgeworfen wird und die in der von ihm kritisierten Hochkultur versauert. Er will mit Konventionen brechen, hat keine Angst vor Multimedia, Installationen, dem Einsatz von in diesem Kontext eher ungewöhnlichen Instrumenten, liebt Synthesizer und will der Hemmschwelle des Konzertsaals den Garaus machen. Mit diesem Ansatz ist er nicht allein, aber man spürt beim Zuhören, dass er mehr Ideen hat und auch mutiger ist, diese umzusetzen, als bespielsweise die Deutsche Grammophon mit ihrer Konzertreihe im Berghain oder der „Recomposed“-Serie. Und Pekka hat eine App. Und die ist toll.
„The app fill will the gap.“
„Das Orchester“ erklärt unterschiedliche Werke auch für die Menschen, die bislang kaum Berührungspunkte mit der Klassik hatten. In den unterschiedlichsten Ansichten lassen sich so die Komposition, das ausführende Orchester, Pekka als Dirigent und auch das zugrunde liegende Notenmaterial erkunden. Wie man das angeht, ist einem selbst überlassen. Partituren mitlesen (wer das denn kann), aus verschiedenen Kameraperspektiven dem Orchester und dem Dirigenten zuschauen oder aber in einer grafischen Ansicht einzelnen Sektionen des Orchesters genau zuhören: den Streichern, den Pauken oder den Bläsern. Zudem werden Instrumente in kurzen Videos erklärt. Ein sehr aufwendiges Projekt, das mit acht Stücken ausgeliefert wird: Haydn, Beethoven, Berlioz, Debussy, Mahler, Stravinsky, Lutosławski und Salonen selbst. 8,99 Euro kostet die App, bei der man allerdings einiges nachkaufen muss, um den vollen Funktionsumfang in allen Stücken nutzen zu können.
Pekka orakelt, dass Displays bald das gute alte Notenpapier ersetzen werden. „Die ganzen Bäume, wie cool wäre das, wenn die einfach stehen blieben.“ Und dass er hofft, dass so ein Ansatz wie in seiner App irgendwie die Lücke füllen kann, die immer weiter sinkende Kultur- und Bildungsetats reißen, auch in Schulen: „The app will fill the gap.“ Das ist natürlich keine Lösung, ziemlich vermessen obendrein, aber zumindest eine Alternative. Zumal man junge Menschen natürlich eher mit einem Tablet zu fassen bekommt, als mit einem angegrabbelten Satz Noten.
Und natürlich braucht auch die klassische Musik die Technik, den Fortschritt, die Visionen. Das, so Pekka, ist in den letzten Jahrzehnten bei allen Beteiligten in Vergessenheit geraten. Früher, sagt er, war das besser, offener und galt sowieso als gesetzt. Deshalb ernte er auch immer wieder zweifelnde Blicke, wenn große Installationen aufbaue, eine Art digitalen Orchestergraben, durch den Alt und Jung hindurchwandern und wortwörtlich auf die Pauke hauen können.
Je mehr man über Dinge weiß, desto weniger falsch verstandenen Respekt hat man vor ihnen.