Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich vier Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.
Durchsuchung im Hackerspace
Was letzte Woche in mehreren Räumen des Vereins Zwiebelfreunde und im vom Chaos Computer Club genutzten Openlab Augsburg vonstatten ging, übersteigt die Vorstellungen jeder Rechtsstaatlichkeit. Der Hergang in aller Kürze: Zwiebelfreunde ist ein Verein, der sich für Anonymisierung im Internet einsetzt. Er betreibt einen Knoten des Tor-Netzwerks, liefert technische und juristische Hilfestellung zum Thema und sammelt Spenden. Ein Teil dieser Spenden geht an den E-Mail-Provider Riseup.net, der es Nutzern erlaubt, anonyme E-Mail-Konten zu betreiben. Irgendein Nutzer mit einem solchen E-Mail-Konto hatte eine Website aufgesetzt, die mutmaßlich zu Straftaten aufrief. Der Generalstaatsanwaltschaft München reichte diese Verbindung, um Mitglieder der Zwiebelfreunde als Zeugen im Falle der problematischen Website heranzuziehen. Diese Zeugen wurden aber nicht vorgeladen, sondern erhielten stattdessen Besuch von der Polizei, in der Hand einen Durchsuchungsbefehl. Und es kam noch besser:
„Weil die Polizisten dann noch eine Zeichnung auf einem Whiteboard des Hackerspaces großzügig als Bombenbauanleitung interpretierten, beschuldigten sie zufällig anwesende Mitglieder des Hackerspaces, sie würden ein Sprengstoffattentat vorbereiten. Drei Personen nahm die Polizei fest und durchsuchte danach den Hackerspace ohne einen Durchsuchungsbeschluss und ohne jegliche Zeugen.“
Hausdurchsuchungen bei Vereinsvorständen der „Zwiebelfreunde“ und im „OpenLab“ Augsburg
Douglas Rushkoff
Der New Yorker Professor für Medientheorie und Autor zahlreicher erfolgreicher Bücher („Program or be programmed“ etc.) Douglas Rushkoff bekam vor einiger Zeit eine Anfrage für einen Vortrag. Das Honorar war üppig und Rushkoff ging davon aus, vor einigen Dutzend Hedge-Fond-Managern und Investmentbankern zu dozieren. Am Ende fand er sich mit fünf Milliardären an einem Tisch wieder, die von ihm wissen wollten, wann und wie die Welt untergeht. Eines scheint klar, wenn es irgendwann so weit sein sollte, sind die Musks, Zuckerbergs und VC-Milliardäre dieser Welt jetzt schon am besten vorbereitet. Überleben werden nicht die Fittesten sondern schlichtweg die Reichsten der Welt.
„After I arrived, I was ushered into what I thought was the green room. But instead of being wired with a microphone or taken to a stage, I just sat there at a plain round table as my audience was brought to me: five super-wealthy guys — yes, all men — from the upper echelon of the hedge fund world. After a bit of small talk, I realized they had no interest in the information I had prepared about the future of technology. They had come with questions of their own. They started out innocuously enough. Ethereum or bitcoin? Is quantum computing a real thing? Slowly but surely, however, they edged into their real topics of concern.“
Wolfgang Tillmans zu EU und Aktivismus
Als das Referendum zum Brexit bevorstand, initiierte Künstler Wolfgang Tillmans eine Kampagne, die für den Verbleib in der EU warb. Dem Ergebnis hat das wenig geholfen, doch er war einer der wenigen bekannten Menschen des Kunst- und Kulturbetriebs, die im größeren Stil politisch aktiv wurden. Seitdem hat Tillmans weitergemacht, auch zur Bundestagswahl 2017 startete er eine Kampagne und nun wird sich auf die Europawahl 2019 vorbereitet. Im Interview mit der Zeit erzählt er, was ihn antreibt, was die großen Herausforderungen sind und warum sich so viele schwer tun, politisch aktiv zu werden.
„Es scheint vielen Leuten einfach nicht zu liegen, eine politische Sprache zu formulieren. Die Gegner aber, die Leute, die extrem sind, die sind auch extrem getrieben und haben nichts anderes zu tun, als ihre Sache zu pushen. Es gibt da eine Asymmetrie in der Mobilisierung, die schwer zu überwinden ist.“
"Es ist vielen Menschen peinlich, sich politisch zu engagieren"
Anders pflegen
Berichte über den Zustand der Pflege in Deutschland sind grausam: Alte Menschen, die abgefüttert werden, verwahrlosen oder gar Gewalt ausgesetzt sind, Personal, das völlig überfordert ist, mithin gesellschaftliches Desinteresse. Das niederländische Unternehmen Buurtzorg gilt als Positivbeispiel, das zeigt, wie es anders geht: Durch selbstbestimmteres Arbeiten, pauschale Stunden- und nicht leistungsbestandteilbezogene Minutenabrechnung, den Einbezug von Nachbarn und Familie sowie Aktivierung der Pflegebedürftigen – Hilfe zur Selbsthilfe – gewinnen alle. Und am Ende ist es möglicherweise sogar wirtschaftlicher. Mittlerweile hat das Unternehmen den Schritt über die Grenze in erste Testmärkte in Deutschland gemacht (und ist in zwei Dutzend weiteren Ländern angetreten). Potential für Disruption sollte hierzulande reichlich vorhanden sein.
„Spätestens jetzt mag man sich fragen, was das alles gekostet haben muss. Die Antwort: weniger als das alte System. Zwar steigen die Kosten pro Stunde leicht an, die Gesamtzahl der benötigten Pflegestunden sinkt jedoch um bis zu 50%.“