Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.
Antikapitalismus in einer Welt mit Corona
Im Falschen gibt es kein richtiges Leben, wie wir wissen. Und in einem System, das sich in Sachen Gesundheit, Pflege, Bildung und Sozialgefüge insgesamt zusehends kaputt spart, offenbaren sich die Flanken umso mehr, wenn eine Krise kommt. David Harvey, Geograph und Marxist der alten Schule, nimmt vor dem aktuellen Hintergrund das neoliberale Wirtschaftsmodell auseinander und zeigt auf, wie es die Coronakrise nicht nur beschleunigt und verschlimmert hat, sondern auch für ihr Entstehen verantwortlich ist. Und: Wie es sich durch das Problem, das es sich demzufolge selbst zuzuschreiben hat, auch noch selbst funktionsunfähig macht.
COVID-19 hingegen beweist (...) eine fundamentale Krise im Herzen des konsumistischen Modells, das in den wohlhabendsten Länder dominant ist. Die spiralförmige, endlos angelegte Kapitalakkumulation kollabiert von innen heraus – vom einen Teil der Welt hin zu jedem anderen Teil. Das Einzige, was sie retten kann, ist ein staatlich finanzierter und initiierter Massenkonsumismus, der aus dem Nichts heraus gezaubert werden muss. Dies erfordert zum Beispiel die Verstaatlichung der gesamten amerikanischen Wirtschaft – ohne das gleich Sozialismus zu nennen.
Spargel Ritter in Bornheim
In Bornheim tobt der Arbeitskampf. Die Saisonarbeiter bei Spargel Ritter sollen nur 100 bis 250 Euro Lohn, statt der eigentlich versprochenen 1500 bis 2000 Euro ausgezahlt bekommen haben. Am 15. Mai legte daher ein Teil der 250-köpfigen Saisonarbeiterschaft ihre Arbeit nieder, organisiert wurde der Streik von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU in Bonn. Spargel Ritter befindet sich mindestens seit dem 1. März im Insolvenzverfahren, die angestellten Arbeiter wussten davon zunächst nichts. Am Ende reiste gar die rumänische Arbeitsministerin Violeta Alexandru an. Bornheim könnte als kleine Erfolgsgeschichte gegen die systematische Ausbeutung von Arbeitern und Arbeiterinnen in die linken Archive eingehen. Bei „Analyse & Kritik“ wird sie nacherzählt:
Der Rechtsanwalt sorgte dafür, dass die Arbeiter_innen keine Aufhebungsverträge unterschrieben, und viele erteilten ihm die Vollmacht, ihre Lohnansprüche gerichtlich zu überprüfen.
Einsame Streamer
Das Streamen über Twitch ist zu Lockdown-Zeiten nochmal populärer geworden. Oft geht es gar nicht nur um Games wie Fortnite oder Blockbuster-FPS, beliebt sind auch Laberformate wie „Just Chatting“ oder auch immer mehr DJs und Clubs verlagern ihre Sets auf die Amazon-Plattform. Eike Kühl hat für Zeit Online die Seite Twitch Roulette besucht. Twitch Roulette verknüpft dich mit Streamern, die gerade gar keine oder sehr wenige Zuschauer haben. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist im Live-Business vielleicht sogar mühsamer als anderswo im Internet.
Das Problem kennt auch der australische Streamer von OuttaSpacePlays aus Brisbane. Als ich via Twitch Roulette bei ihm lande, bin ich sein erster Zuschauer an diesem Tag. "Es ist ein bisschen langsam heute", sagt er. Seine Streams haben bislang im Schnitt drei Zuschauer. Eigentlich arbeite er in einem Casino, aber weil das aufgrund von Corona geschlossen habe, sei er vermutlich noch bis Juli zu Hause. Er spiele ohnehin viel in dieser Zeit und habe sich deshalb entschieden, auf Twitch zu streamen. Momentan versuche er herauszufinden, welche Art von Games die Menschen überhaupt interessiert.
Die Zukunft der Arbeit
Home Office, Zoom-Konferenzen: Die Arbeitswelt wird sich für lange Zeit im Kampf mit dem Virus verändern. Viele sehen das skeptisch, wollen nicht länger von zu Hause arbeiten. Andere wiederum fühlen sich pudelwohl. Was bedeutet das für die Unternehmenskultur? Twitter hat bereits angekündigt, es zukünftig allen Beschäftigten freistellen zu wollen, ob sie im Büro oder von daheim aus arbeiten wollen. Und bei Facebook? Casey Newton hat für The Verge mit Mark Zuckerberg gesprochen. Auch hier zeichnet sich ein radikaler Wandel der Arbeitskultur ab. Mehr als ein Viertel der Belegschaft soll mittelfristig nicht in das HQ zurückkehren. Wenn die Voraussetzungen stimmen, sind die eigenen vier Wände vollkommen ok. Und Zuckerberg ist realistisch. Er sagt: Für die nächsten fünf bis zehn Jahre, eher zehn als fünf, könnte die halbe Belegschaft remote arbeiten. Das stellt das Unternehmen selbstverständlich vor neue Herausforderungen.
It’s the social connections, it’s the culture, and it’s creativity. And there are a lot of tools that just need to get built around that.