Man kann nicht alle interessanten Texte, die die ganze Woche über publiziert werden, finden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
###freemiao
Angela Köckritz ist die Pekinger Korrespondentin für die Zeit, Zhang Miao ist ihre Assistentin. Bis vor ein paar Monaten haben die beiden Journalistinnen regelmäßig aus dem Reich der Mitte berichtet - inzwischen tun sie das nicht mehr. Miao sitzt in Haft, eingesperrt von der Staatssicherheit wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ - offiziell. Sie hatte sich an den Protesten „Occupy Central“ in Hongkong beteiligt. Angela Köckritz hat alles versucht, um Kontakt zu ihrer Assistentin aufzunehmen, gebracht hat es nichts. Eine dramatische wie bewegende Geschichte, die viel über das chinesische System der Staatssicherheit verrät. #freemiao
„Er sagt wenig, doch er ist derjenige, der droht. Er muss der Ranghöchste sein. Keiner der Männer sagt, welcher Abteilung sie angehören. Als ich den Bulligen danach frage, lächelt er so geschmeichelt bescheiden, dass es nicht wahr sein kann: «Ich bin ein einfacher Polizist.»“
##In einer Stunde vom Bordstein zur Skyline
Die Buslinie M29 fährt von Grunewald bis zum Hermannplatz, wo Kreuzberg aufhört und Neukölln anfängt. Start- und Endpunkt der Route könnten unterschiedlicher nicht sein, das beweist diese interaktive Reportage der Berliner Morgenpost. Wahlverhalten, Migrationshintergrund, Demographie und Einkommen der Bevölkerung sind nur einige der Größen, die anhand der Bushaltestellen gegenübergestellt werden. Nicht einmal die Anahl der Airbnb-Wohnungen wird ausgelassen. Wer die Route nicht kennt, kann sie direkt per Video nachfahren.
„Die Strecke der Linie M29 führt entlang des Berliner Einkommensgefälles – und das verhält sich fast spiegelbildlich zur Mietentwicklung: In Gegenden mit den höchsten Mietsteigerungen haben die Menschen das wenigste Geld, am westlichen Startpunkt der Route können sich die Haushalte deutlich mehr leisten.“
Bild: von Herzen
##Verliebt euch doch!
Was wäre, wenn man sich quasi auf Knopfdruck verlieben könnte? Geht tatsächlich. Naja, nicht auf Knopfdruck - ein paar Stunden muss man schon investieren. Der Psychologe Arthur Aron fand schon vor langer Zeit heraus, wie das funktionieren kann - mit einem Fragebogen und vier Minuten Blickkontakt. Mandy Len Catron hat das mal ausprobiert und ihre Erfahrungen für die New York Times niedergeschrieben. Sehr spannend, sehr nachvollziehbar, faszinierend und doch erschreckend gleichermaßen.
We all have a narrative of ourselves that we offer up to strangers and acquaintances, but Dr. Aron’s questions make it impossible to rely on that narrative.
photo credit: Hanna Irßlinger Fotografie via photopin cc
##Kraut- und Rüben-Reporter
Nein, man sollte neue Medienprojekte nicht totkritisieren, sondern sich in erster Linie dankbar dafür zeigen, dass es sie gibt. Das gilt natürlich auch für die Krautreporter. Aber: Wer vorher brüllt wie ein Tiger, dass der Online-Journalismus kaputt sei und man diesen reparieren werde, wenn die Finanzierungssumme steht, der muss dann auch springen wie ein Tiger und darf nicht (zwischen)landen wie ein Bettvorleger. Die Stimmen, dass die Krautreporter den folglich hohen Erwartungen nicht nachkommen, man nicht das fürs Geld bekomme, was vorab angekündigt wurde, werden lauter. Meike Lobo stellt die journalistische Eigenleistung in Frage, speziell nach den Pariser Attentaten habe KR viel zu wenig zum Thema gebracht. Lesenswert ist nicht nur ihre Analyse, sondern ausnahmsweise auch mal der Kommentar-Thread darunter.
Gebt mir bitte einen Grund, nur einen, der mein Vertrauen in Eure Idee von Journalismus wieder aufbaut.
