Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
OGAS
Wäre Leonid Breschnew am 1. Oktober 1970 Im Kreml gewesen, hätte sich die Geschichte vielleicht anders entwickelt. Die der UdSSR einerseits, vor allem aber die des technischen Fortschritts und des Internets im Besonderen. An diesem ersten Oktober 1970 nämlich hatte Viktor Glushkov einen Termin mit dem Politbüro. Der Computerwissenschaftler wollte die Genossen davon überzeugen, OGAS zu finanzieren, ein dezentrales Computersystem, das zunächst den eurasischen Teil des Landes miteinander vernetzen sollte. Ein Hauptrechenzentrum in Moskau, bis zu 200 kleinere in anderen Städten und bis zu 20.000 angeschlossene Behörden und Betriebe sollten so einerseits in Echtzeit miteinander kommunizieren können, gleichzeitig aber auch die Rechenkraft dafür nutzen können, die Wirtschaft anzukurbeln. Bessere Daten für bessere Ergebnisse des Jahresplans. Mit so einem Netzwerk würden auch die Volkszählungen schneller und akkurater ausgewertet werden können. Glushkov wollte zunächst die Computer-Infrastruktur der Roten Armee dafür nutzen, bevor neue Leitungen und zusätzliche Rechner installiert wären. Die Argumentation: Nachts brauchen die Militärs ihre Rechner nicht, da können sie zivile Probleme wälzen. Ein Affront. Und natürlich ging die Geschichte nicht gut aus. Denn Breschnew war Glushkovs Verbündeter. Und an diesem Tag nicht da. Benjamin Peters hat die Geschichte recherchiert. Dabei ist vor allem der Teil interessant, der Glushkov und sein Team in Kiev beleuchtet, eine wilde Truppe von Wissenschaftlern, die bargeldloses Bezahlen umsetzen wollten, über Datenschutz nachdachten und einen Club namens „Cybertonia“ gründeten. Freigeister, die den Sozialismus besser machen wollten. Wäre Breschnew an diesem Tag im Kreml gewesen, hätte das Arpanet Konkurrenz bekommen. Und der UdSSR wäre es vielleicht schon bald wirtschaftlich besser gegangen.
„The first global computer network emerged thanks to capitalists behaving like cooperative socialists, not socialists behaving like competitive capitalists.“
Das Facebook-Prekariat
Marc Zuckerberg ist bekannt für seine jährlichen Challenges, seine Jahresprojekte, die „yearly goals“. So etwas wie Mandarin lernen. Oder 365 Meilen laufen. Für 2017 hat er sich vorgenommen durch alle Staaten der USA zu reisen um die "Hopes and Challenges" der Menschen kennenzulernen. Er ist schon mit dem Traktor gefahren und hat Heroin-Süchtige in der Reha getroffen. Die unterste Ebene der Facebook-Beschäftigten hat er bislang nicht besucht, wie zum Beispiel die Familie von Victor und Nicole. Beide arbeiten in einer Cafeteria von Facebook für einen der Food-Dienstleister. Mit ihren Kindern leben sie in einer Doppelgarage in Palo Alto. Das Geld reicht nicht für Appartment oder Zahnarzt, kaum für Essen und Kleidung. Nicht weil der Lohn so unverschämt niedrig ist, sondern, weil die Preise in den Valleys der großen Tech-Unternehmen selbst Normalverdiener in die Armut treiben. Die „Hopes and Challenges“ dieser Familie sind offensichtlich – und liegen direkt vor Zuckerbergs Haus- bzw. Cafeteriatür.
„At the end of every shift, Nicole watches large amounts of leftover food go into the compost – food she’s not allowed to take home. Cafeteria workers cannot access healthcare from Facebook’s medical clinics. Facebook recently held a “Bring your kids to work” day, but cafeteria workers’ children were not allowed.“
Facebook worker living in garage to Zuckerberg: challenges are right outside your door
##Ralf Hütter packt aus
Spoiler alert: Tut er nicht. Das Interview mit ihm ist nett, aber die ganz große Erkenntnis bringt auch dieses nicht über das Phänomen Kraftwerk. Es ist alleine wegen seiner Seltenheit einen Leselisteneintrag wert, aber ein paar zupackendere Fragen hätten ihm gut getan. Zumal, und das ist das eigentlich Spannende, es nach 20 Jahren kontinuierlichen Bittstellens um ein Treffen zum Gespräch stattgefunden hat. Das ist hartnäckig und das ist, ein langes Intro klärt darüber auf, der Liebe zu Kraftwerk seit Kindestagen geschuldet.
Angesichts der aktuellen politischen Lage mit Brexit und dem Rechtsruck in vielen europäischen Ländern wirkt das Album TRANS EUROPA EXPRESS wie eine Beschwörung des europäischen Gedankens. Wie siehst du das?
„Rendezvous auf den Champs-Elysées.
Verlass Paris am Morgen mit dem T.E.E. (…)
In Wien sitzen wir im Nacht-Café,
Direktverbindung, T.E.E.“
Die 150 besten Alben von Frauen
Die Tatsache, dass 2017 so ein Thema überhaupt noch diskutiert werden muss, sagt viel über den Zeitgeist aus. NPR hat sich dennoch gefragt: Was sind die besten Alben, die von Frauen geschaffen wurden? Von 1964 bis jetzt, kompiliert von 50 Frauen: NPR-Redakteurinnen, Autorinnen und Mitarbeiterinnen anderer Radiostationen. Die Liste, die hierbei herausgekommen ist, ist wuchtig. Um nicht zu sagen: massiv. Eine inspirierende (auch wenn Listen an sich ja – ihr wisst schon) Zusammenstellung, die einen gänzlich anderen Zugang zur Popgeschichte schafft, die bekanntermaßen noch immer von Männern dominiert wird. Es gibt also viel zu entdecken.