IS killed the video starWie die Terror-Organisation Social Media für ihre Zwecke ausnutzt
12.3.2015 • Internet – Text: Ji-Hun KimDie Terrormiliz IS versteht es wie kaum eine andere extremistische Gruppierung mit digitalen Medien umzugehen und diese einzusetzen. Sei es per Twitter oder mit viralen Videos. In den letzten Wochen schockierte die westliche Welt vor allem die Zerstörungsvideos aus dem weltbekannten Museum im irakischen Mosul. Wie funktioniert diese radikale PR-Maschine und was kann man dagegen tun? Ein Kommentar.
Welche Rolle soziale Medien im Rahmen politischer Bewegungen spielen, hat die jüngere Vergangenheit einige Male eindrucksvoll gezeigt. Sei es der arabische Frühling 2011, Occupy oder auch die Demokratiebewegung in Hongkong im vergangenen Herbst. Die Öffentlichkeit hat gelernt und verstanden, wie durch Bürger und Zivilisten motivierte Kampagnen via Twitter, Facebook, YouTube etc. nicht nur publik gemacht, sondern zugleich organisiert werden können. Das Potential der sozialen Medien wurde von vielen lange unterschätzt. Das hat sich mittlerweile geändert.
„The medium is the message“, lautet das oft zitierte Credo des kanadischen Medienphilosophen Marshall McLuhan und – egal ob durch Text, Selfie oder Video – die Message sozialer Medien lautet am Ende: Kommunikation. Eine, die möglichst komplex und vielschichtig funktioniert, und Interaktion, Partizipation, sowie die Einbeziehung der User/Community als elementare Bestandteile versteht. Denn gerade junge Menschen sind über traditionelle Medien wie Zeitung, Fernsehen und Radio kaum noch zu erreichen. Sie spielen in ihrem Informationsalltag eine immer unbedeutendere Rolle. Das wissen auch radikale Gruppierungen, die immer intensiver die Möglichkeiten sozialer Medien für ihre eigenen Belange nutzen.
In den vergangenen Monaten sorgte vor allem die Art und Weise der Social-Media-Nutzung durch die islamistische Terrorgruppe IS für viel Aufsehen. Sie legte eine PR-Strategie an den Tag, die denen großer Marken in nichts nachsteht. Seit Juni 2014 wird eine eigene Medienagentur namens Al-Hayat-Media betrieben, die sich für eine komplex durchdachte 360-Grad-Kampagne verantwortlich zeigt: multimedial, perfide und professionell produziert. Der IS ist auf allen denkbaren Kanälen präsent und die Kommunikation beschränkt sich längst nicht auf das virale Verbreiten kaltblütiger Enthauptungsvideos. Al-Hayat betreibt mehrsprachige Twitter-Accounts, mit „Dabiq“ wird ein englischsprachiges Hochglanzmagazin herausgegeben, das Propaganda im Stile großer Nachrichtenmagazine wie Newsweek und TIME aufbereitet.
Fast täglich werden Videos veröffentlicht, die das vermeintliche Heldentum islamistischer Krieger portraitieren. Mit filmisch professionellem Anspruch: hochauflösend, mit aus Hollywood und Computerspielen bekannten Animationen, Soundeffekten und Überblendungen – untermalt mit teils dramatischer und vor allem emotionalisierender Musik. Das eine Mal werden Sniper-Szenen in pornographischer Kälte aneinander geschnitten, das nächste Mal wohltätig Süßigkeiten an Kinder verteilt. Andere Filme zeigen Trainings-Szenen aus den Camps der IS-Kämpfer, in denen im Stile eines Bruce Lee Bretter zerschlagen, akrobatische Gewehrübungen vollzogen oder Taekwondo-Duelle gekämpft werden. Alles Bilder, die man bereits aus amerikanischen Actionfilmen zu kennen glaubt. Man erkennt, dass diese Art der Kommunikation nicht nur um reine Informationsvermittlung bemüht ist, sie bedient präzise und gekonnt die Klaviatur der zeitgenössischen Pop- und Lifestyle-Kultur. Sie nutzt Publicity, um mit möglichst wenig Reibung gerade in westlichen Medien eingebettet zu werden und um dort für Aufregung und Affekte sorgen zu können. Zeitgleich sollen im Westen lebende junge Männer dank dieser Medienstrategie inklusive perfektionistischen Inszenierung einer durchgestylten Gegenkultur als Rekruten gewonnen werden.
Wie ist mit so einer Strategie umzugehen? Die Betreiber von Plattformen wie YouTube und Twitter versuchen täglich, extremistische Accounts aufzuspüren und zu blockieren. Sobald dies geschieht, tauchen aber im selben Moment neue Profile mit ähnlichem Namen auf. Egal auf welchem Netzwerk. Um noch verdeckter vorgehen zu können, ließ der IS sogar eine eigene App programmieren, die jegliche IS-relevante Nachrichten auf allen Twitter-Accounts der App-User automatisch wieder veröffentlichen ließ. So konnten Informationen schneller verbreitet und zugleich die eigentlichen Quellen schwieriger ausgemacht werden. Ein ewiges Katz- und Mausspiel, das auch deshalb von durchwachsenem Nutzen ist, da diese Vorgehensweise auch die Arbeit für Nachrichtendienste erschwert.
Heute ist es daher für User wichtig, einen adäquaten Umgang mit extremistischen Inhalten in sozialen Medien zu finden. Zum einen kann der User den Anbietern beim Auffinden radikaler Accounts helfen, indem die jeweilige Meldefunktion genutzt wird. Außerdem muss bei propagandistischen Inhalten klar sein, dass eine ethische Verantwortung jedes einzelnen besteht, was das Teilen und Kommentieren anbetrifft. Jeder, der eines der oben beschriebenen Videos einmal gesehen hat, wird verstört gewesen sein, ratlos, vielleicht erschüttert. Dass in dem Moment das Video geteilt wird, um diese Ohnmacht mit seinen Netzwerken zu teilen, scheint ein natürlicher Reflex. Genau das ist aber geplant und intendiert. Denn nur so können sich die Bilder des Terrors verbreiten. Man kann die Verbreitung bremsen, aber auch soziale Medien so nutzen, um Gegenbewegungen zu initiieren, aufzuklären, radikale Propaganda zu entkräften. Einige Beispiele haben das hierzulande gut bewiesen: Sei es gegen Pegida oder wie im Fall der Ortschaft Wunsiedel eine Nazidemonstration zugleich als Spendenlauf für das Neonazi-Aussteigerprogramm EXIT umzudeuten.