„Glück ist erstmal kostenlos“Ein Interview mit der Happiness Consultant Samantha Clarke

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Die besten Berufe sind oft die, die man sich selber schafft. Samantha Clarke ist Happiness Consultant, also Glücksberaterin, hält international zu dem Thema Vorträge und wird weltweit von Firmen engagiert, um für mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Clarke machte zuvor selbst Karriere in einer großen Werbeagentur, wurde mit einer toxischen Arbeitskultur konfrontiert und setzte sich daraufhin mit dem Thema Firmenkultur auseinander. In ihrer Expertise geht es neben Beratung auch um Psychologie, Coaching und Neurowissenschaften. Zentrale Fragen: Wieso spielt Angst eine so große Rolle in der heutigen Arbeitskultur? Und wie kommt man da wieder raus? Nächstes Jahr erscheint ihr Buch: „Love It Or Leave It: How to Be Happy at Work“. Das Filter traf Samantha Clarke auf der me Convention in Frankfurt am Main.

Wie glücklich bist du gerade?
Ziemlich. Aber ich will Menschen nicht glauben lassen, ich wäre immer glücklich und zufrieden. Um glücklich zu sein, muss man die Höhen aber auch die Tiefen erkennen und damit umgehen.

Was definiert Glück?
Aus einer professionellen Sicht geht es darum, seine Talente und Stärken auf täglicher Basis zeigen und einsetzen zu können. Besonders wenn man damit Bedürfnisse und Wünsche von anderen Menschen befriedigt. Andere wollen etwas verändern und sind an Transformationsprozessen interessiert – so etwas bringt mir persönlich viel Freude.

Wo siehst du überhaupt den Zusammenhang von Glück und Arbeit? Viele erkennen darin erstmal einen Widerspruch.
Das ist das Problem, weil Arbeit und persönliches Glück so lange voneinander getrennt behandelt wurden. Warum aber sollte meine Arbeit und meine Karriere mir keine Freude bereiten? Lange ist man nur zur Arbeit, um Geld zu verdienen. Der Job war keine Quelle der Erfüllung, Freude, Kreativität und Ausdruck. Es geht heute nicht nur um die Bezahlung. Warum solltest du außerhalb der Arbeit jemand anders sein, als wenn du arbeitest?

Es herrschen Missverständnisse, was Spaß und Glück bei der Arbeit ausmachen. Ich denke an große Ballbäder und Tischtennisplatten in Start-ups.
Leute für eine möglichst lange Arbeitszeit in einer Blase zu halten, macht die Wenigsten glücklich. Das ist wie ein Hamsterrad. Ich habe viele kennen gelernt, die in großen Unternehmen gearbeitet haben und danach nur ausgebrannt waren und das Gefühl hatten, keinen Schritt nach vorne gemacht zu haben. Große Firmen geben oft viel Geld für zufriedenere Arbeiter aus, aber Glück ist erstmal umsonst. Jeder trägt es in sich und man braucht für ein glücklicheres Arbeitsumfeld meiner Meinung nach nicht viel Geld.

Und das geht wie?
Firmen müssten Mitarbeiter einfach nur mal fragen, was sie möchten, was sie sich in ihrer Karriere wünschen. Wenn ein Mitarbeiter äußert, er möchte sich in einer eher anderen Richtung in dem Unternehmen verwirklichen und entwickeln: So etwas zu wagen und auch umzusetzen, sind bereits wesentliche Schritte.

Oft ist das Management das eigentliche Problem und wenn zu viel Kritik dagegen aufkommt, kann man die Budgets auch schnell wieder streichen.
Das stimmt. Viele Führungsetagen erkennen die Probleme nicht. Oft heißt es: „Ach, da haben wir eine Untersuchung in der Firma gemacht und sie hat gezeigt, dass alle happy sind. Wir haben auch gerade genug mit anderen Sachen zu tun.“ Wenn das Management einen ganzheitlichen Ansatz nicht verkörpert und nicht selber auch einen Wechsel will, dann passiert natürlich nichts. Mitarbeiter schauen hoch, und wenn oben nichts passiert, wieso sollte sich unten irgendwas ändern? Viele geben auch einfach auf und fassen das Thema dann nicht mehr an.

„Es braucht manchmal kleine Schritte, aber die junge Generation wird ihren Einfluss haben, wie Wirtschaft und Arbeitskultur sich weiter entwickeln.“

Manager geben besonders selten Fehler zu.
Auf jeden Fall. Ich finde dennoch, es liegt eine Schönheit darin, Schwäche zu zeigen. Sich angreifbar zu machen, ist oft die Geburt für etwas Neues und Kreatives.

Wie kann man Glück lernen und anderen beibringen?
Im Moment arbeite ich mit einer Online-Schule. Dort kann ich Individuen betreuen und zu dem Thema beraten. Ich gehe aber auch in Unternehmen spreche dort mit dem Vorstand, mittlerem Management und Mitarbeitern. So bekommt man einen ersten Eindruck. Wie ist das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben? Ist die Atmosphäre mindful? Wie wird kommuniziert und vernetzt? Spielen Herz und Kopf eine Rolle? So entsteht eine Roadmap. Wichtig für den Prozess sind Botschafter in der Firma, die sich für mehr Zufriedenheit engagieren. Meine Arbeit ist in etwa vergleichbar, wie jemandem das Angeln beizubringen. Sobald jemand verstanden hat, wie man Fische fängt, dann kann er das für sich weitermachen. Wenn der Kunde eine Handhabe entwickelt, dann brauche ich nur regelmäßige Wartungschecks machen, um zu gucken, ob alles okay ist.

Und das klappt?
Mit den richtigen Botschaftern im Unternehmen geht das wirklich gut. Und noch mal, die Firmenführung und das Management müssen aktiv beweisen, dass sie ebenfalls diesen Prozess vorantreiben und gute Rolemodels sind. Sobald sie anfangen, Ausreden zu suchen und das Alltagsgeschäft immer voran gestellt wird, bröckeln auch diese Transformationsprozesse.

Was hast du über globale, interkulturelle Unterschiede gelernt?
Ich habe in Dubai und Abu Dhabi gearbeitet. Das war interessant. Die Ansätze bezüglich Glück sind da in der Tat unterschiedlich. Dort ist man noch sehr auf Geld und Öl fokussiert. Ich habe das Gefühl, dass man bei uns tiefer in die Materie einsteigen kann. In Dubai, aber auch in Asien gibt es immer wieder Punkte, die nicht angefasst und nicht diskutiert werden.

Zum Beispiel?
Es gibt selten Gespräche über Gefühle. Oft sind Chefs zu hohe Respektpersonen, als dass man sie damit konfrontieren dürfte, was man sich für die Arbeit wirklich wünscht. Man hat sich mit seiner Position zu arrangieren und glücklich zu sein. Wenn ich in China aber mit jüngeren Menschen spreche, dann wollen die Sachen anders machen. Die jungen Leute wollen nicht nur den ganzen Tag arbeiten, sondern das Gefühl haben, sich auch in anderen Bereichen weiterzuentwickeln. Natürlich spielt Erfolg weiterhin eine große Rolle, aber man will einen Shift. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass diese Kulturen über Jahrtausende ihre Werte geschaffen haben. In dem Kontext was zu bewegen, ist nicht immer leicht. Es braucht manchmal kleine Schritte, aber die junge Generation wird ihren Einfluss haben, wie Wirtschaft und Arbeitskultur sich weiter entwickeln.

„Wenn eine Gesellschaft auf so vielen Ebenen an Souveränität einbüßt, dann wird es umso wichtiger, sich mit dem Nachbarn und den Menschen im unmittelbaren Umfeld auseinanderzusetzen. Wir müssen uns fragen, wie wir zusammenkommen.“

Wie glücklich macht Geld?
Es wurde viel geforscht, ob mehr Geld einen wirklich weiter bringt. Oft werden die Wenigsten wirklich glücklicher mit mehr Geld. Menschen haben unterschiedliche Wertvorstellungen. Die Rolle von Geld hängt immer von deinem eigenen Wertekosmos ab. Einige wollen Respekt, andere Status, wieder andere Einfluss oder betrachten Geld als Selbstzweck. Man muss sich fragen, ob der Job einem das Leben ermöglicht, das man gerne haben möchte. Wenn das reicht, gut. Wenn nicht, guck nach einer Gehaltserhöhung oder such dir neue Herausforderungen. Ein Job allein reicht selten aus, einen Menschen völlig glücklich zu machen. Es gibt zudem andere Wege Geld zu verdienen. Man kann eine Karriere auf einem Portfolio aufbauen und so drei Tage die Woche arbeiten. So kann man sich Freiheiten schaffen. Wir sollten uns vom rigiden Paradigma lösen, dass der eine Job alle Bedürfnisse im Leben erfüllen muss.

Unsere Elterngeneration hat Glück vielleicht noch anders definiert. Hab einen Job, heirate, mach Kinder, bau ein Haus und kauf dir zwei Autos. In einer Post-Arbeitsgesellschaft müssten sich diese Vorstellungen doch wandeln.
Es geht in der Tat immer seltener um Objekte, die man kaufen und anfassen kann. Wie gesagt, spielen Werte heute eine größere Rolle. Nie zuvor war die Anforderung an Arbeit so groß, etwas Erfüllendes zu sein. Zudem spielt die Beziehung eine große Rolle, Freunde wiederum nehmen Rollen in deinem Leben ein, die deine Ehefrau nicht ausfüllen kann und so weiter und so fort. Arbeit kann einen bestimmten Teil des Lebens ausfüllen. Man muss die Räume aber mischen und kombinieren können. Dazu gehört aber auch, Hobbys zu entwickeln und kreativ zu sein.

Immer wieder taucht die Diskussion zu einem BGE auf. Glaubst du an eine glücklichere Gesellschaft, wenn alle Menschen genug zum Leben hätten und mehr Zeit für andere Dinge jenseits der Arbeit?
Das wäre mein Traum. Weil ich hoffe, dass wir alle mehr Zeit dadurch hätten, uns den größeren Problemen der Menschheit zu widmen. Wir sollten Kapitalismus und Konsum in einem größeren Kontext sehen. Armut, die Überalterung der Gesellschaft, Nachhaltigkeit – es gibt viel zu tun. Dabei muss nicht jeder so hochtrabende Ziele verfolgen wie Elon Musk. Es kann um die eigene Community gehen. Wie kann ich etwas tun und etwas verändern? Aber auch Spaß zu haben, darf man nicht vergessen. Wie kann ich mehr Zeit mit dem Spielen mit den eigenen Kindern und der Familie verbringen?

Bedarf es heute eines anderen Skillsets, um glücklich zu werden?
Natürlich gibt es ein kollektives Mindset, das sich mit der Zeit wandeln kann. Es geht heute mehr um den Impact, den man im direkten Umfeld haben kann. Wir leben in Zeiten von schwindendem Vertrauen. Wir vertrauen religiösen Institutionen nicht mehr, wir vertrauen der Wirtschaft, der Regierung immer weniger. Die Medien werden auch kritischer betrachtet. Wenn aber eine Gesellschaft auf so vielen Ebenen an Souveränität einbüßt, dann wird es umso wichtiger, sich mit dem Nachbarn und den Menschen im unmittelbaren Umfeld auseinanderzusetzen. Wir müssen uns fragen, wie wir zusammenkommen.

Samantha Clarke Love it or leave it Buchcover

Samantha Clarke: "Love it or Leave it" erscheint im März 2020.

Das Empfinden von Glück wird oft mit mangelnder Intelligenz übersetzt.
Dabei geht es doch eher um hedonistisches Glück. Aber wie wohl fühle ich mich? Profitieren die Menschen um mich herum, durch die Gefühle, die ich transportiere? Das meine ich mit Glück und eben nicht permanent zu grinsen und alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir haben uns zu lange mit dieser belanglosen, frivolen Form des Glücks auseinandergesetzt. Es wird Zeit, einen neuen Zugang zu bekommen und tiefer in das Thema einzutauchen. Es gibt viele fernöstliche Philosophien, von denen wir lernen können. Wie leben Menschen in kleinen Communities mit weniger Materialismus als wir? Es geht darum, wieder zurück an die Basics zu kommen.

Wie korrelieren Glück und Konsum? Jahrzehntelang wurde uns eingebleut: Kauf dich glücklich. Mit Autos, Luxusartikeln und Kosmetik wird unser aller Leben schöner. Wie lange lässt sich das aufrecht halten?
Ich musste auch irgendwann feststellen, dass ich in meiner Zeit als Werberin überzuckerte Frühstücksflocken an Kinder verkauft habe. Wir befinden uns in dieser Matrix, die ständig auffordert, mehr und mehr zu kaufen. Leider bedarf es einer reflektierten und urteilsfähigen Denkweise, um zu verstehen, dass es nicht nur darum geht.

Welche Rolle spielt Social Media? Instagram suggeriert permanent das perfekte Leben und Glück. Auf der anderen Seite spielen Neid, Depression und Eifersucht eine treibende Rolle.
Instagram ist besonders interessant. Ich sorge mich um die jüngere Generation, die Instagram für Selbsttherapiezwecke konsultiert. Oder es nutzen, um eine Vergleichsmatrix mit anderen zu haben. Wie kann ich selber Influencer werden oder schnell reich? Wenn es nur noch darum geht, dann besorgt mich das. Wir müssen mit diesen jungen Menschen Gespräche führen. Viele verstecken sich hinter Displays und gehen lieber online, um Lösungen für ihre Probleme zu finden, als mit Freunden oder Familienangehörigen zu sprechen. Viele sind übersättigt von diesen Plattformen, viele wollen auch nicht mehr, dass Firmen alles über unser Privatleben wissen. Wir wollen auch nicht mehr mit Werbung zugemüllt werden, die irgendwelche Algorithmen für uns ausgesucht haben. Genug ist genug. Aber es bedarf viel Disziplin als Gesellschaft, um damit einen richtigen Umgang zu finden. So vieles in unserem Alltag ist noch auf Konsum ausgelegt, und da spielt Social Media genau so eine Rolle. Wenn ich aufstehe, versuche ich ans Kreieren zu denken und nicht ans Konsumieren. Das ist eine Reibungsstelle, die uns weiterhin beschäftigen wird.

Glücklich zu sein, wird einem aber auch schwer gemacht.
Ich habe nie behauptet, es wäre einfach. Man braucht viel Kraft, Nein zu Konsum und Instagram zu sagen. Wir müssen bedenken, dass viele sich ausgegrenzt fühlen, wenn sie nicht ständig konsumieren, nicht ständig ausgehen und auf Instagram sind. Ich sehe aber viele junge Menschen und Bewegungen, die sich beispielsweise der Nüchternheit verschrieben haben. Die wollen sich nicht jeden Freitag betrinken und am Wochenende Handtaschen kaufen. Aber dafür braucht es Charakter, um für seine Werte einzustehen. Finde deine Interessen, schaffe Hobbys, sprich mit Menschen, triff Menschen. Die Welt ist voller spannender Kulturen, Essen, lies einfach ein Buch.

Oder kündige das Fitnessstudio.
Genau. Sorge dich nicht zu sehr um deine vermeintliche Außenwirkung. Es sind die fundamentalen Dinge, die dich glücklich machen. Familie, Freunde, ein paar Dinge zu besitzen, die dir wichtig sind, ein Dach über dem Kopf, gutes Essen – das sind die wesentlichen Sachen.

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