„Wenn wir so weiter machen, wird Kaffee in den nächsten 50 Jahren aussterben“Im Gespräch mit Philipp Reichel, Röster und Mitveranstalter des Berlin Coffee Festivals
11.9.2019 • Leben & Stil – Text und Fotos: Jan-Peter Wulf„Wir müssen reden. Über Kaffee. Unser aller liebstes Getränk steckt in der Krise. Nur spüren wir das noch nicht. Der Börsenpreis für Rohkaffee liegt so tief im Keller, dass viele Bauern davon nicht leben können. Wie aber kann eine nachhaltige Zukunft für Kaffee aussehen?“
Diese Zeilen finden sich im Programmheft des diesjährigen Berlin Coffee Festivals, das 2005 zum ersten Mal stattfand und vom 1. bis 6. Oktober erneut in der legendären „Markthalle Neun“ ausgetragen wird. Ein Genussfestival rund um die geröstete Bohne, bei dem sich handwerkliche Röster, Baristas und alle treffen, die eine große Leidenschaft für Kaffee hegen. Es geht aber eben nicht nur um Genuss, sondern auch um einen Diskurs: Was ist guter Kaffee im Sinne von gut für alle, auch für diejenigen, die ihn anbauen? Ein „gut“, das aktuell schiefer liegt denn je zuvor, wie uns Festival-Kurator Philipp Reichel erklärt. Wir haben uns mit ihm im Kreuzberger „Kaffee 9“ getroffen, wo er eine kleine Rösterei betreibt. Ein Gespräch über Arabica und Robusta, höhere Preise und wärmeres Klima.
Philipp, der Weltmarkt-Preis für Kaffee liegt im Keller. Aktuell bezahlt man für das Pfund (lb, 450 Gramm, Anm. d. Red.) nicht mal einen US-Dollar. Warum ist das so?
Es ist erst einmal traurig: Rohkaffee wird immer noch wie ein Kolonialgut gehandelt. Als Rohstoff an der Börse, die den weltweiten Richtwert vorgibt. Der verändert sich durch die Ernten und ist Ende letzten Jahres in den Keller gegangen, weil Brasilien als einer der größten Produzenten eine Rekordernte eingefahren hat – es gab gutes Wetter, aber Brasilien ist beim Kaffee auch sehr industrialisiert und fortgeschritten, sodass man dort das Doppelte oder gar Dreifache auf eine Fläche ernten kann wie andere Länder. Ist die Ernte erfolgreich, wird der Markt überschwemmt und es ist viel Rohkaffee zu haben. Was erstmal positiv zu sein scheint, aber das Schlimme daran ist: Dann prägt ein Land wie Brasilien den Preis, andere Anbau-Länder wie Äthiopien, Kolumbien, Guatemala werden davon direkt beeinflusst. Wo du ganz andere Umstände, Anbau- und Lebenshaltungskosten hast. Sie müssen ihren Kaffee immer billiger verkaufen. Wir reden hier, das muss man dazu sagen, vom Standard-Kaffee, dem Commodity-Markt, nicht dem Specialty-Markt.
Was ist der Unterschied?
Der Commodity-Markt bedient den Standardkonsum, den oft ziemlich kaputt gerösteten Kaffee, den man in den Supermärkten findet. Specialty Coffee, das sind ausschließlich Kaffees, die auf der Werteskala der SCA („Specialty Coffee Association“) bei über 80 Punkten liegen. Hochwertige Kaffees, die man nur erzeugen und ernten kann, wenn man sich jahrelang damit beschäftigt. Was automatisch nachhaltigere Anbaustrukturen bedeutet. Für diese Kaffees werden auch den Farmern ganz andere Preise gezahlt. Commodity ist rein auf Quantität getrimmt, Specialty auf Qualität.
Ich habe den Eindruck, dass es zwei völlig unterschiedliche Welten sind – der schnelle Kaffee zum Mitnehmen, die günstigen Packungen im Supermarkt, Kaffee als Lebensmittel, und auf der anderen Seite die Kaffeekultur mit besonderen Sorten, Aromen und Zubereitungsverfahren. Ein bisschen wie beim Bier: Fernsehbier hier, Craftbier da. Haben die zwei Welten sich etwas zu sagen?
Man merkt, und das ist schön: Der Specialty-Markt, der aktuell noch keine fünf Prozent ausmacht, beeinflusst auch die großen Röster. Tchibo, Dallmayr sogar Aldi, was einer der größten Röster des Landes ist. Der Anspruch auf Kundenseite wächst auch, die Großen ziehen nach. In erster Linie allerdings durch Marketing. Da wird dann „Barista-Kaffee“ verkauft, Brüh-Equipment bei Tchibo. Die machen jetzt auch kleine Produkte, um sich profilieren zu können, aber bleiben in ihren Strukturen und halten am Commodity-Markt fest.
Ein Markt, der wächst. Die Deutschen trinken immer mehr Kaffee. Vor dem Hintergrund tiefer Rohstoffpreise, aber auch des Klimawandels – der Anbau braucht viel Wasser: Wie sieht die Zukunft des Kaffees aus?
Wir müssen uns mehr dem Thema Robusta öffnen. Es gibt ja zwei grundlegende Kaffeesorten, Arabica und Robusta. Arabica gilt als hochwertiger, er ist komplexer, spezieller, aber auch schwerer in der Handhabung beim Anbau. Robusta ist einfacher zu halten, das sagt schon der Name. Er wirft aber auch höhere Erträge ab, du kannst mehr Kirschen pro Strauch pflücken, hast also mehr Bohnen. In der Specialty-Szene sprechen zurzeit alle nur von Arabica. Wir müssen Robusta mehr wertschätzen, weil er die Zukunft ist. Wenn wir so weiter agieren wie jetzt, wird Kaffee in den nächsten 50 Jahren aussterben. Aktuell wird vor allem Arabica, der aus Äthiopien stammt, weltweit angebaut, in einer geringen Varietäten-Anzahl. Durch den Klimawandel sterben ganze Varietäten weg, weil es zu heiß für den Kaffee ist und er nicht genug Feuchtigkeit bekommt. Dazu kommt die steigende Insektenproblematik: In Mexiko und Kolumbien wurde vor ein paar Jahren ein Großteil der Plantagen zerfressen.
Beim Wein verschieben sich die Anbaugebiete gen Norden beziehungsweise es werden Reben angebaut, die mehr Wärme vertragen. Ein Mittel auch beim Kaffee?
Es nicht so einfach, aber man sucht nach neuen Flächen, die bewirtschaftet werden können. China wird in diesem Zuge ein spannendes Land …
… also auch in diesem Bereich …
… und bringt immer bessere Kaffees hervor. Auch Indien wächst, in der Menge und in der Qualität. Klassische Anbaugebiete hingegen werden immer mehr leiden und weniger verkaufen.
Was muss passieren?
Wir müssen uns klarmachen: Kaffee ist ein Luxusgut. Er ist so dermaßen exotisch, das nimmt aber niemand wahr. Wir müssen verständlich machen, wo er herkommt, was für eine Kette dahinter steht, seinen Wert vermitteln.
Wird er teurer werden?
Langfristig auf jeden Fall. Er wird nicht unbedingt elitär werden, aber einen Status bekommen, bei dem es nicht mehr um Kaffee als Koffeinkick geht. Das ist das Problem: Hauptsächlich wird Kaffee getrunken, um wach zu werden.
Müssen die, die sich morgens an den Bahnhöfen schnell einen Kaffee in den Zug oder auf die Arbeit mitnehmen, dann auf andere Produkte ausweichen?
Ich glaube, das ist der Weg. Tee ist auch ein Wachmacher, fast vergleichbar mit einem Kaffee.
Tee kann man auch aus der Kaffeekirsche herstellen, der Cascara. Die, soweit ich weiß, ja bislang vor allem Abfall ist.
Spannendes Thema. Trauriger Weise wird die Kaffeekirsche nicht von der EU erlaubt, man sieht sie als Abfallgut an, nicht für die Lebensmittelbranche zulässig. Es wird daran gearbeitet, das zu ändern, sie ist nicht nur für Tee, sondern auch für Speisen interessant. Geschmacklich steckt da einiges drin, abgesehen vom hohen Koffeingehalt. Politik ist eben ein langsames Mahlwerk, das dauert. In Anbaugebieten wird sie mittlerweile aber als Düngemittel verarbeitet, sodass man ihre Nährstoffe dem Boden zurückführt.
Wie stehst du als Röster im Kontakt zu den Kaffeefarmern?
Es klingt cheesy, aber ich sage immer: Der Kaffee gehört nicht mir, sondern dem Farmer, ich repräsentiere ihn. So wie wir als „Berlin Coffee Festival“ die Farmer repräsentieren. Letztes Jahr war ich in den Anbaugebieten in Mexiko, Äthiopien und Kenia, das erste Mal nach zehn Jahren im Kaffeegeschäft. Es war großartig und wunderschön, aber auch auf erschreckendste Art und Weise Augen öffnend, zu realisieren, welche Probleme die Farmer haben und welche Unwissenheit da herrscht.
Inwiefern?
Da geht der Exporteur hin, der weiße wohlhabende Mensch, und sagt ihnen: Der Kaffee ist gut, der ist schlecht, das bezahle ich dir und das nicht. Die Farmer haben kein Verhältnis und Verständnis dafür, was ihr Rohkaffee wert ist. Und was damit gemacht wird. Unglaublich, aber viele haben noch nie in ihrem Leben einen Espresso getrunken …
… so, wie viele Kakaobauern noch nie eine Tafel Schokolade gegessen haben.
Die Arbeit liegt für uns als Röster oder auch als Gastronomen darin, den Produzenten zu vermitteln, was der Wert in der Tasse ist, damit sie mehr Macht haben, diesen Wert beeinflussen zu können. Vorbild sind die Kaffeemacher aus der Schweiz, die betreiben eine Farm zusammen mit den Farmern in Nicaragua. Sie teilen dabei Risiken und Chancen. Wenn sie ein Kilo Röstkaffee verkaufen, verdient der Farmer mit, und war eine Ernte schlecht, wird das auch geteilt. Beide Seiten sind daran interessiert, beste Qualität zu produzieren und zu verkaufen. Aber man muss auch sagen: Als kleine Rösterei nimmst du in der Regel einfach sehr kleine Mengen ab. Und der Handel läuft über den Importeur, der die gesamte Ernte abkauft und die Kaffees zu evaluieren weiß. Importeure haben schon ihre Berechtigung, sie bezahlen die Farmer, die Logistik, Versicherungen und was noch alles dazu kommt.
Also muss man diese Zwischenstufen fair und nachhaltig gestalten, die ganze Wertschöpfungskette?
Es gibt auch immer mehr Projekte in diese Richtung. Mit der Blockchain wird sich komplett nachvollziehen lassen, was wie an welcher Stelle passiert, es kommt Transparenz rein. Was es auch gibt, sind Plattformen wie Algrano. Die ermöglichen Farmern, direkt mit dem Röster in Kontakt zu treten. Sie fungieren als Vermittler und bezahlen den Produzenten, schlüsseln mir als Röster aber auch die Kosten komplett auf – wie viel Prozent des Preises geht an den Exporteur, wie viel an Algrano als Financier? So bekommt man als Rösterei die Möglichkeit, den höheren Preis auch dem Kunden zu vermitteln. Wir müssen überzeugen können, mehr Geld für Kaffee auszugeben – oder auch mal darauf zu verzichten, das muss auch ein Weg sein.
Du betreibst ja auch das Café „Isla Coffee“ mit. Ihr habt gerade die Preise erhöht, las ich auf euer Facebook-Seite. Warum?
Weil wir gemerkt haben: Die Gäste schätzen, was wir sind und tun (ein nachhaltiges, nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft operierendes Business betreiben, Anm. d. Red.). Aber die Preise sind im Verhältnis die gleichen wie in anderen, „normalen“ Cafés. Uns wurde bewusst: Es ist absurd, sich mit solchen Cafés zu messen, weil wir anders einkaufen, andere Sorten und Sachen, nicht nur beim Essen, sondern natürlich auch bei den Getränken. Die Preise reflektierten bislang aber den Commodity-Markt, mit einer Tasse Cappuccino für 2,60 Euro wie in einem absolut normalen Coffeeshop. Wir kaufen aber extrem hochwertigen Rohkaffee ein, lassen ihn hier rösten, kaufen beste Milch ein, dazu kommt der ganze Spaß wie die Wasserfilteranlage, Equipment, höhere Personalkosten. Gehst du nach Berlin-Mitte, in ein vermeintlich normales Café, zahlst du locker 3,50 Euro für den Cappuccino. Die nehmen aber schlechtere Milch, schlechteren Kaffee und zahlen vermutlich dazu nur Mindestlöhne. Eine Diskrepanz, die wir durchbrechen müssen – aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch aus psychologischen.
Philipp, vielen Dank.