„Es ist eigentlich schön, gemeinsam ein Smartphone zu bauen“Interview: Bas van Abel über das Fairphone 3, nachhaltigen Konsum und faires Koks
30.8.2019 • Technik & Wissen – Text und Fotos: Jan-Peter WulfVor rund sechs Jahren machte sich der niederländische Ingenieur Bas van Abel auf eine Mission: Faire Smartphones sollten es sein. Zeigen, dass man diese Geräte auch herstellen kann, ohne Menschen entlang der Wertschöpfungskette auszubeuten. Dass die damalige Crowdfunding-Aktion viele Befürworter und entsprechende Gelder zusammenbringen konnte, nimmt vielleicht nicht wunder. Wohl aber, dass es tatsächlich – wenngleich in immer noch kleinen Stückzahlen – funktioniert: Im Rahmen der IFA stellte Fairphone sein drittes Modell vor. Und während in der Eventlocation, die zur Präsentation angemietet wurde, die Techjournalisten die Specs checkten und Influencer sich mit dem Gerät für Stories posierten, verzogen sich van Abel und Jan-Peter Wulf nach draußen in ein Café, um bei einem Milchkaffee ein bisschen luftiger zu sprechen.
Hier, mein aktuelles Telefon, vier Jahre alt. Du siehst, ich habe die kaputten Stellen mit Gaffer-Tape abgeklebt.
Gaffer, mein bester Freund! (lacht)
Ich habe mich gefragt: Wie sieht es wohl mit Reparieren aus? Dabei habe ich schnell festgestellt …
… dass es das nicht wert ist. So ist es. Dann bist du heute also zum Shoppen hier?
In gewisser Weise, vielleicht! Ich habe mir gedacht: Jetzt muss ich mir deswegen wieder ein neues besorgen. Und dass das gewollt ist. Vor ein paar Jahren gab es in Deutschland Werbung eines Mobilfunkanbieters: Jedes Jahr ein neues Smartphone.
Die Billboards habe ich gesehen. Wir sind so erfolgreich darin, den Leuten Dinge zu verkaufen, die sich nicht brauchen. Marketing ist so mächtig. Was aber auch Hoffnung birgt: Wenn es so mächtig ist, dann kannst du auch eine andere Story erzählen.
Sechs Jahre Fairphone – eine erfolgreich erzählte Story aus deiner Sicht, dass man das Prinzip Smartphone anders denken kann? Es ist immerhin eine Weile her, seit wir zuletzt gesprochen haben.
Wir erzählen ja keine neue Story in dem Sinne. Sondern eine Fairtrade- und Nachhaltigkeits-Story, die es schon länger gibt, in der Bekleidungsindustrie zum Beispiel, und in vielen anderen Bereichen. Bewusster Konsum wächst in jedem Segment. Das Problem mit Technik ist nur: Sie ist komplex. Eine black box. Darum verstecken wir sie so gut wie möglich vor den Menschen, um sie nicht einzuschüchtern. Ich finde aber: Man muss den Deckel öffnen, um darüber nachdenken zu können. So, wie wir immer mehr über Essen nachdenken. Das hier, das hier (zeigt auf einzelne Fairphone-Teile, Anm. d. Red.), das alles kommt, wie Lebensmittel, aus der Erde. Es sind Mineralien. Faszinierend, oder? Wir können so ein komplexes Produkt aus diesen Rohstoffen machen, zusammen, als eine soziale, globale Gemeinschaft. Alleine nicht.
Bei der Pressekonferenz eben sagte deine Kollegin Laura, die bei euch für die Wertschöpfungskette zuständig ist: Die Zukunft liegt weiterhin im Bergbau. Es mag naiv von mir sein: Aber kann man nicht andere Stoffe nehmen? Synthetisieren? Besser wiederverwerten?
Laura hat es sehr gut herausgestellt: Das Design von Smartphones ist nicht fürs Recycling gemacht. Gut, bei uns sind mehr 50 Prozent der genutzten Materialien recycelt. Schön. Aber Recycling ist dumm. Es sollte unsere letzte Lösung sein: Das Verbundmaterial wird in Öfen geworfen, um die Mineralien rauszuholen. Es muss darum gehen, Teile wiederzuverwenden. Der ganze Kram da drin, die Schrauben, all das ist hergestellt, da ist viel Energie reingegangen. Wir werfen es weg, schmelzen es ein und verwenden die Teile nicht wieder, weil es zu teuer ist, die Dinge voneinander zu trennen. Bei der Kreislaufwirtschaft geht es aber genau darum: Auf den höchsten Wert des Produkts zu schauen. Und der ist es, es so lange wie möglich in den Händen der Konsumenten zu halten.
Noch eine naive Frage: War es nicht eigentlich schon immer das ethische Ziel der Ingenieure, das bestmögliche Produkt zu machen? Sind wir da irgendwann falsch abgebogen?
Guter Punkt. In der Massenproduktion ist es auf jeden Fall nicht mehr so. Da herrscht das Prinzip der geplanten Obsoleszenz.
Also dass irgendwann das Glas meines Geräts splittert und ich mir ein neues kaufe.
Hm, ich weiß nicht, ob gerade das bei Smartphones Teil der geplanten Obsoleszenz ist. Es ist ja ein Laptop (nimmt mein Handy in die Hand, Anm. d. Red.). Würdest du es auch wie deinen Laptop behandeln, dann sähe es vielleicht noch anders aus (lacht).
Verstanden.
Wohl aber ist Teil des Prinzips, dass man alle zwei Jahre eine neue Version, ein neues Produkt laucht, einen Prozessor herausbringt, der ein bisschen besser ist.
Ihr habt gerade Fairphone Nummer drei vorgestellt. Seid ihr in dem Sinne nicht Teil des Spiels? Das neue Fairphone?
Natürlich. Das Schwierige an einer Systemveränderung ist: Du veränderst Systeme von innen. Aber als social enterprise hattest du in der Regel mit diesem System noch nie etwas zu tun, es diktiert also die Regeln. Veränderungen zu bewirken ist als schwieriger als gedacht. Wir gehen Schritt für Schritt, wir machen Innovation stufenweise. Auch, damit wir nicht in Lieferengpässe geraten. Und damit die Konsumenten das Produkt auch kaufen.
Die Fairphone-Welt in Zahlen
72 Mitarbeiter, 65 in Europa, 7 in Asien
175.000 verkaufte Telefone (Fairphone 1: 60.000, Fairphone 2: 115.000)
40.000 Fairphone 3 sollen bis Ende 2019 verkauft werden
Märkte: D, NL, F, UK, Skandinavien/Nordics
Preis: 450€
Komponentenpreise: neuer Bildschirm ca. 90€, neue Kamera 50€, neue Batterie 30€.
Spezifikationen:
Maße: 158 x 71.8 x 9.89 mm
Display: 5,7 Zoll Full-HD (18:9)
Kamera: 12 MP Dual Pixel + 8 MP Frontkamera, 8facher Zoom
Betriebssystem: Android 9 (Pie)
Speicher: interner 64GB Speicher, erweiterbar auf 400GB via MicroSD
Batterie: 3000mAh, wechselbar, Schnelllade-Funktion
Modulares Design: 7 Teile für einfaches Reparieren
Netzwerk: 2G, 3G, 4G, VoLTE
Wann hattest du das erste Mal das Gefühl: Das alles kann funktionieren?
Schon früh. Als wir das Crowdfunding gemacht haben. Würden die Leute das Produkt kaufen? Wenn sie es tun, dann bedeutet es, dass es einen Markt gibt. Und dass wir es durchziehen. Du brauchst Geld, aber du brauchst auch einen Markt. Wir wurden von vielen ausgelacht in dem Business, ihr habt keine Erfahrung, es ist ein saturierter Markt, hat nur große Player, keiner interessiert sich für Nachhaltigkeit, bla bla bla. Und als wir dann nach drei Monaten siebeneinhalb Millionen aufgebracht hatten statt zwei, drei, die wir für die ersten 25.000 Telefone gebraucht hätten, war das eine klare Botschaft an uns. 25.000 Menschen, mehr als die Hälfte übrigens davon Deutsche, haben 325 Euro für ein Produkt bezahlt, das nicht existierte. Von einer Firma, die noch nie ein Telefon gemacht hatte. Wir wussten viel über Nachhaltigkeit, aber nichts über Telefone.
Und dann ging ja das Ganze erst los. Ihr musstet ja sicher mit vielen Akteuren sprechen: Rohstoffhändler, Lieferanten … viele Leute, die sagen: Geht nicht. Oder? Ihr müsst doch viele Neins gehört haben.
Tatsächlich haben wir viel Wohlwollen bekommen. Das war schön! Wir dachten auch, die killen uns. Aber wir wurden und werden nicht als Wettbewerb angesehen, auch weil wir so klein sind. Mehr noch: Fairphone kreiert einen safe space für andere Firmen, um sich nachhaltiger aufzustellen.
Wie das?
Unternehmen folgen ja nur den Regeln der Konsumenten. Und wenn die nach anderen Produkten fragen, und wissen wollen, wie Unternehmen ihre Wertschöpfungskette ausrichten, dann fangen die Menschen in den Unternehmen auch an, Dinge zu hinterfragen. Unternehmen selbst sind Soziopathen, aber die Menschen in den Firmen nicht.
Das beobachte ich auch. Ich schreibe viel im Getränkebereich. Spreche ich dort mit Menschen, die zum Beispiel in oder für Unternehmen arbeiten, die Kaffee in Aluminiumkapseln verkaufen, und denen auf Anfrage sage, euer Produkt interessiert mich nicht, es ist ein falsches Produkt, dann habe ich schon öfter als Antwort bekommen: Persönlich finde ich das gut, dass du das so siehst. Tue ich ja auch.
So viel Entfremdung da draußen. Die Systeme sind heute so komplex, dass wir es als schwer empfinden, Verantwortung für etwas zu übernehmen, das weit von uns entfernt zu sein scheint.
Du warst früher Leiter der Waag Society. Ihr habt viele Themen wie Open Source, Fablabs, vorangetrieben. Ich habe mir damals in Amsterdam euer Open-Source-Restaurant angeschaut, Instructables. Hast du diesen offenen Ansatz von damals ein Stück ins Telefon übertragen?
Absolut, genau deshalb bieten wir allen unseren Source Code an. Das spricht eine Nische in der Nische an, klar. Aber die Idee dahinter ist: Nur wenn du das Telefon „öffnen“ kannst, dann besitzt du es auch. Sonst nicht. Es ist auch ein symbolisches Öffnen: Besitz bringt Verantwortung mit sich. Wie kannst du von den Leuten verlangen, Verantwortung zu übernehmen, wenn andere nicht wollen, dass man es öffnen kann? Dann bleibt es eben ein Wegwerfprodukt.
Sprechen wir über deine Funktion bei Fairphone. Du bist nicht mehr CEO, aber noch Vorstandsmitglied.
Ja, ich bin noch in die strategischen Fragen involviert, aber nicht mehr in die täglichen Prozesse. Als CEO bin ich irgendwann, auch physisch, zusammengebrochen, es ist ein tougher Job in dieser Industrie. Erschöpfend. Und um die Firma zu skalieren, braucht es auch andere Leute.
Gibt dir das mehr Zeit fürs Größerdenken? Jetzt, wo Fairphone einen „proof of concept“ geliefert hat, andere Fair-Wasauchimmer?
Ich habe viel über faires Kokain nachgedacht.
Oh echt. Das ist auch kein faires Business. Es könnte auch ein Markt für alternatives Kokain vorhanden sein.
(Lacht). Es ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Aber als Denkmodell: Kokain assoziieren wir mit viel Schlechtem, und das ist richtig so. Aber die Wertschöpfungskette – wenn du dir die anschaust, da gibt es viele Ähnlichkeiten zur Herstellung eines Telefons. Bauern, die Koka anbauen und schlecht bezahlt werden. Die Chemielabore sind denen nicht unähnlich, in denen die Mineralien herausgeschmolzen werden. Die Sweatshops … Wertschöpfungsketten werden immer übel und dunkel, wenn du an die Quelle gehst. Es wäre naiv zu glauben, dass keine Kinderarbeit in unser Produkt involviert ist. Ich weiß zu 100 Prozent: Da steckt Kinderarbeit drin, weil wir im Kongo tätig sind. Man muss eben etwas dagegen tun.
Gab es eigentlich mal die Idee, ein günstigeres Fairphone-Modell für die Herkunftsländer der Rohstoffe zu machen? Nach dem Vorbild von One Laptop per Child?
Es wäre eine wirklich schöne Sache, dass die Menschen, die das Produkt herstellen, es auch selbst nutzen. Wir haben es den Leuten vor Ort in den Bergwerken zumindest mal gezeigt, was am Ende ihrer Arbeit steht. Aber ehrlich: Das Telefon, so wie es jetzt ist, ist für den europäischen Markt gedacht. Hier sind die finanziellen Ressourcen vorhanden. Und darüber hinaus die Risikobereitschaft, es von einem unbekannten Hersteller wie uns überhaupt zu kaufen.
Du hast eingangs gesagt, Nachhaltigkeit wird mehr zum Teil des demonstrativen Konsums. Insgesamt oder produktspezifisch?
Letzteres. Alles, was dem Körper nahe ist, Essen, Kleidung – da zeigen die Zahlen, es tut sich was. Beim Banking oder bei Consumer Electronics ist es anders.
Aber das Smartphone ist dem Körper ja sehr nahe. Viele Menschen, ich gehöre dazu, behalten es fast immer in einem Nahkreis von wenigen Metern um sich herum, Tag und Nacht.
Das ist das Paradox des Smartphones, und deswegen haben wir es gewählt, um die Geschichte der Wertschöpfungskette der Consumer Electronics zu erzählen. Wir hätten einen Laptop nehmen können, aber das Smartphone steht heute im Epizentrum. Wir sind süchtig danach, es gibt Ängste, die entstehen, wenn wir es zu Hause vergessen haben, wir glauben, es würde klingen, dabei ist es ein anderes. Doch was die unsichtbare Seite, die „dunkle Materie“ angeht – wo es hergestellt wird, wie, wo es endet – dazu stellen wir keine Fragen. Wir wollen dies an die Oberfläche bringen. Und dabei auch zeigen: Es gibt auch Gutes hinter den Kulissen. Es ist ja, wie schon gesagt, eigentlich etwas Schönes, gemeinsam ein Smartphone zu bauen.
Software-as-a-Service fiel eben in der Pressekonferenz als Stichwort. Worum dreht es sich da?
Fairphone basiert immer noch auf einem alten Marktmodell. Wir müssen Telefone verkaufen, um Geld zu verdienen. Verkaufen wir keine, sterben wir. Somit sind wir sehr an die Ressourcenverwendung gebunden – der Ansatz, dass die Leute ihre Fairphones länger benutzen, macht das zu einer Herausforderung. Aber so lange wir ausreichend viele Telefone verkaufen, geht es. Die Idealsituation wäre aber, den Ressourceneinsatz von unserem Geschäftsmodell zu entkoppeln.
Wie das?
Sobald ich dir dieses Telefon verkauft habe, kostest du mich nur noch Geld. Es bringt mir mehr, mich neuen Leuten zuzuwenden und ihnen auch ein Telefon zu verkaufen. Wenn man das umdrehen würde, zum Service, habe ich eine intrinsische Motivation, das Telefon so lange wie möglich in deinen Händen zu halten – du zahlst jeden Monat, damit du telefonieren und Apps nutzen kannst, ein sicheres Telefon hast, Support bekommst.
Ist das nicht im Grunde das Modell der Mobilfunkanbieter?
Schon, aber das Dumme ist: Nicht die Betrachtungsweise des Herstellers. Es erzeugt keine nachhaltige Motivation für sie. Auf diesem Wege könnte man eine Verbindung zwischen Hersteller und Verwender herstellen. Hättest du zum Beispiel dein Smartphone drei Jahre lang nicht geschrottet, dann verringerte sich dein Monatsbetrag.
Wie bei einer Versicherung.
Genau. Statt eines neuen Telefons weniger Kosten. Damit die Menschen mehr drauf aufpassen.
Wann geht das Projekt los?
Jetzt. Als Pilot mit der Stadtverwaltung in Amsterdam, sobald wir die Telefone haben. Im ersten Schritt ist der Service für Unternehmen am besten, denken wir. Es nimmt ihnen eine Menge Ärger ab.
Bas, vielen Dank.