Das ganz normale LebenRegenbogenfamilien boomen, aber wie ticken die eigentlich?
21.3.2014 • Gesellschaft – Reportage: Monika HerrmannRund 2.200 Kinder wachsen zur Zeit in Deutschland bei schwulen und lesbischen Paaren auf. Tendenz steigend. Aber diese Regenbogenfamilien haben mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Die Gesellschaft ist noch nicht so weit, die Politik zurückhaltend. Monika Herrmann hat in Berlin einige Familien besucht und bei Beratungsstellen und Institutionen nachgehakt.
Philipp führt sein Feuerwehrauto vor. Dann springt er kurz auf dem Trampolin und rennt in die Küche, weil er Hunger hat. Der Besuch der Journalistin regt den Kleinen nicht auf. Im Gegenteil. Er spielt ja auch heute irgendwie die Hauptrolle. Schließlich hat der Dreieinhalbjährige, was andere Kinder nicht haben: „Einen Paps, einen Papi und einen Papa“. Und das erzählt er freimütig allen, die neugierig fragen.
Ein normaler Abend in Berlin-Neukölln. Im Dachgeschoß eines modernisierten Altbaus wohnen Michael (47) und Ranjet (39). Und seit gut einem Jahr auch der kleine Philipp. Die beiden Männer sind seit vielen Jahren ein Paar, haben beim Standesamt ihre Partnerschaft eintragen lassen wie viele schwule und lesbische Paare in Berlin. Beide haben gute Berufe, „aber irgendetwas in der Partnerschaft hat gefehlt“, erzählt Michael am großen Tisch im Wohnzimmer. Sein Mann, Ranjet, nickt und schaut zu Philipp hinüber. „Wir wollten ein Kind“, sagt er. Aber dann: „Mein Gott, wie geht das und was werden die Nachbarn sagen, die Familie, die Freunde“? Solche Gedanken hatten die beiden Männer schon. Dennoch: Sie erzählen von einem Leben, das eine andere Richtung nehmen sollte. „Nicht nur Arbeit, ausgehen, Urlaubsplanung – das reichte uns einfach nicht mehr“. Da kam die öffentliche Plakat-Werbung in Bussen und Bahnen in der Hauptstadt für die Aufnahme von Pflegekindern gerade richtig. Michael und Ranjet bewarben sich ganz offiziell bei einem Berliner Kinder- und Jugendhilfeträger um eine Pflegschaft. Dann ging alles seinen Lauf.
„Wir erhielten grundsätzlich die Zusage, wurden aber erst mal auf Herz und Nieren geprüft. Eine Sozialarbeiterin besuchte uns, schaute sich die Wohnung an, fragte nach dem Einkommen, unseren Arbeitsstellen und ob ein mögliches Pflegekind auch ein eigenes Zimmer haben wird“. Die potenziellen Väter mussten ärztliche Atteste vorlegen, die ihre Gesundheit bescheinigen, polizeiliche Führungszeugnisse und ihre Familienstammbäume vorlegen. Aber solche „Überprüfungen“ sind bei allen potentiellen Pflegeeltern üblich. Fast ein Jahr dauerte die Prozedur, und dann kam Philipp. „Wir wollten unbedingt einen Jungen“, geben die beiden Pflegeväter zu. Warum? „Ja, ein Junge passt einfach zu uns“, lachen die beiden und man sieht es ihnen an: Sie sind total glücklich. Das einzige Problem, das sie quälte war: „Wir hatten Angst, dass es eine Pflegschaft für kurze Zeit sein könnte, dass wir das Kind dann vielleicht wieder verlieren“. Jetzt denken Michael und Ranjet erst mal an solche Probleme überhaupt nicht. Die neue Familiensituation genießen alle. „Philipp hat unser Leben total verändert“, sagen sie. Der Junge kommt aus einer problematischen Ursprungsfamilie. Seine Mutter ist psychisch krank, der leibliche Vater schwerbehindert. Doch Michael und sein Mann tun alles, um den Kontakt zwischen ihnen, Philipp und dessen Geschwister so normal wie möglich zu gestalten. „Alle drei Wochen treffen wir uns, feiern zusammen Geburtstage oder machen Ausflüge“. Zerreißt das nicht ein Kind, zwei Familien, drei Väter und eine Mutter zu haben, die ihr Kind bei anderen aufwachsen lässt? Im Moment sei das für Philipp kein Problem, erzählen die Pflegeväter. Wie es wird, wenn er älter wird, nachdenkt, vielleicht zurück zu den leiblichen Eltern will? Noch erzählt er freimütig, dass er drei Papas hat, aber wird ihm das vielleicht irgendwann peinlich sein? „Keine Ahnung – daran denken wir erst mal gar nicht“.
Gab es eigentlich Gerede, Vorwürfe vielleicht? Zwei Männer und ein Junge – was machen die da eigentlich? Die beiden Väter schütteln die Köpfe: „Überhaupt nicht."
Denn zunächst sind andere Dinge dran: Ranjet hat seine Arbeitsstelle als Pharmazeutisch-technischer Assistent halbiert, um sich um Philipp zu kümmern. Er holt ihn vom Kindergarten ab, geht mit ihm auf den Spielplatz, bringt ihn zum Kinderchor. Abends besucht er Seminare für Pflegeeltern, wo er alles erfährt, was Väter so wissen müssen. Michael erzählt, dass sie Philipp taufen ließen. „Weil wir Gottes besonderen Segen für dieses Kind wollten“.
Alle sind gekommen: Freunde, Familie, Bekannte, Nachbarn. Gab es eigentlich Gerede, Vorwürfe vielleicht? Zwei Männer und ein Junge – was machen die da eigentlich? Die beiden Väter schütteln die Köpfe: „Überhaupt nicht. Unsere Nachbarn finden es toll, dass ein schwules Paar diese Normalität lebt“, erzählen sie. Sogar die muslimischen Nachbarn seien total aufgeschlossen. Dennoch: Im Berliner Multikulti-Bezirk Neukölln sind Michael und Ranjet mit ihrer Regenbogenfamilie so etwas wie Exoten. „Wir sind das einzige schwule Paar hier, dass ein Pflegekind aufzieht“, erzählen sie, nicht ohne ein bisschen stolz darauf zu sein. Aber dann schauen sie auf die Uhr. Es ist kurz vor 20 Uhr und Philipp muss ins Bett. Die Journalistin hat genug gefragt.
Von Bechern und Leihmüttern
Regenbogenfamilien nennen sie sich, weil die Farben des Regenbogens traditionell die Vielfalt und Buntheit dieser besonderen schwulen und lesbischen Familien spiegeln. Im Berliner Bezirk Schöneberg, wo viele schwule und lesbische Paare und Singles leben, hängen Regenbogenfahnen aus Fenstern und von Balkonen. Hier finden schwul-lesbische Straßenfeste statt, hier gibt es Kneipen und Cafés, in denen sich die Szene trifft. Auch in Schöneberg ist die Beratungsstelle des Schwulen-und Lesben Verband-Deutschland (LSVD). Hier werden Paare beraten, die sich ein Kind wünschen, aber irgendwie nicht wissen, wie das geht. Was ist legal, was vielleicht illegal? Anfragen gibt es jede Menge „Lesben haben es ja einfacher als Schwule“, so die Sozialarbeiterin Constanze Körner. Stimmt, Frauen werden einfach schwanger. Aber wie kommt eine Lesbe oder ein Lesbenpaar zu einem Kind? „Es gibt ja Samenbanken. Die sind zwar sind die in Deutschland verboten, können aber in Österreich, Holland und Skandinavien ganz legal arbeiten. Frauen können sie übers Internet kontaktieren, aber auch Single-Männer, schwule, wie heterosexuelle, die kein Kind haben, aber gern eins hätten, spenden hierzulande gern ihren Samen. Man einigt sich mit den Frauen: über die spätere Vaterrolle beispielsweise, das Umgangsrecht und so weiter“. Constanze Körner erzählt von „wunderbaren Regenbogenfamilien, die dann entstehen, von glücklichen Kindern, Eltern und Großeltern.“
Auch Leihmütter sind für viele eine Option, auch wenn das in Deutschland verboten ist. In den USA ist es teuer, in der Ukraine billig und in Indien noch billiger.
Aber auch das gibt es: Single-Lesben oder Single-Schwule adoptieren ein Kind. Als Einzelpersonen. Wenn sie sich dann irgendwann verpartnern, bleibt das Kind in der neuen Regenbogenfamilie. Der Partner, die Partnerin kann das Kind adoptieren. Eine sogenannte Stiefkindadoption. Voraussetzung: Das Paar muss eine eingetragene Lebenspartnerschaft vorweisen. Ein Recht auf gemeinsame Adoption ist – wie bei Heteropaaren üblich - bisher nicht erlaubt. Schwule und lesbische Paare klagen gerade gegen diese Ungleichbehandlung. Sie wollen beim Kinderwunsch wie heterosexuelle Paare behandelt werden. Ob es eine Gleichstellung geben wird, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in den nächsten Monaten. Constanze Körner denkt, dass es eine Gleichstellung geben wird, „aber in der deutschen Adoptionspraxis werden Hetero-Paare dann sicher bevorzugt werden“. Grund: Der Mythos, dass Kinder eben in einer „normalen Vater-Mutter-Kind-Familie“ aufwachsen müssen, um sich „normal“ zu entwickeln. Schwule Paare denken nicht nur über Pflegschaften nach, wie die beiden Männer in Neukölln, sondern oft auch über Leihmutterschaft. Doch die ist in Deutschland verboten. In den USA ist sie dagegen ganz legal, aber teuer. Zwischen 100.000 und 200.000 Dollar verlangen die Agenturen. Das Problem: Die Leihmutter bleibt die leibliche Mutter. Sie ist in der Geburtsurkunde eingetragen. Das Kind kann dann von einem der schwulen Männer adoptiert werden. Constanze Körner rät deshalb lieber ab, „solche Geschichten anzuleiern“. Natürlich wird es dennoch probiert. Auch Frauen in der Ukraine stellen sich zur Verfügung. Für weniger Geld. Oder auch Frauen in Indien. Für noch weniger Geld. Die Kinder, die im Ausland von Leihmüttern ausgetragen werden, sind dann nicht deutsche Staatsbürger. Sie dürfen das Land nicht so ohne Weiteres verlassen.
In einem Café in Kreuzberg erzählt Vera (40) ihre „Regenbogen-Geschichte“: Sie ist alleine zum Gespräch gekommen. Ihre Frau Ina und sie leben seit Kurzem getrennt. „Auch das ist Realität in Regenbogenfamilien“, erklärt sie. „Wir wollten immer ein Kind in unserer Partnerschaft, das war uns von Anfang an wichtig. Wir fanden einen schwulen Mann, der bereit war, seinen Samen zu spenden, nicht anonym, nein er wollte als leiblicher Vater für das Kind da sein. Ein Glücksfall, dachten wir.“ Vera erzählt beim zweiten Glas Kakao, wie alles dann ablief und erklärt die gängige so genannte Bechermethode: „Mit seinem gespendeten Sperma rannten wir schnell nach Hause, warm eingepackt war der Becher und dann zogen wir das in eine Spritze und ich führte es einfach ein. Eine ganz normale Befruchtung. Ich wurde schwanger“. Bei Vera und Ina standen deren Familien zu der Entscheidung für ein Kind. „Alle freuten sich auf das Baby und als Finja dann da war, hatten wir viel Unterstützung von Eltern, Großeltern und Freundinnen“. Finjas Vater stehe als leiblicher Vater in der Geburtsurkunde, komme mit seiner Rolle aber zunehmend nicht zurecht, erzählt Vera. Und was ist das Problem? „Er hält unsere Vereinbarungen nicht ein, kommt, wann er will, ruft nicht an und so weiter.“ Naja, davon berichten alleinerziehende Hetero-Mütter doch auch und es kursiert der Spruch, dass die Väter bei der Geburt noch mitatmen, ihnen aber bald danach die Puste ausgeht. Vera lacht, sie kennt den Spruch und natürlich die Probleme anderer Mütter, aber für sie ist auch ein großer Traum zerbrochen. Die junge Mutter mit den kurzen braunen Haaren sieht auch nicht gerade glücklich aus. Sie denkt dennoch positiv: „Das ist eben unser Leben jetzt, aber wenn lesbische oder schwule Paare mit einem Kind scheitern, wiegt das in der Gesellschaft doch viel schwerer. Gedacht und gesagt wird dann: Da seht ihr mal, so etwas kann eben nicht gut gehen“.
Die lesbisch-hetero-Patchwork-Familie
Auch Andrea (45) und Birgit (51) kennen solche Geschichten von Vätern, die sich irgendwann verabschieden. Die beiden sind seit fast 20 Jahren ein Paar, vor einem Jahr haben sie geheiratet. Das heißt: Sie haben ihre Lebenspartnerschaft offiziell beim Standesamt eintragen lassen. Zu der Zeit waren beide bereits Mütter von drei Kindern. „Diejenige, die schwanger wurde, war ich“, lacht Andrea. „Das haben wir einfach so festgelegt. Und wir sind eine total glückliche Regenbogenfamilie“, betonen die beiden Frauen. Und das merkt man sofort. Paul (8) und die Zwillinge Pia und Anton (2) toben an diesem Winterabend durch die großzügige Wohnung im Berliner Bezirk Kreuzberg. Kindergarten und Schule haben sie hinter sich. Jetzt ist Spielen angesagt. Aber erstmal sind sie neugierig auf die Journalistin, die so viele Fragen stellt. Pia kriecht auf Andreas Schoß, mit Keksen in der Hand. Eine Familie, in der die Welt in Ordnung ist? Andrea meint, dass sie hier und jetzt absolut in Ordnung sei, „welche möglichen Probleme vielleicht irgendwann auftauchen, wissen wir nicht, aber dann werden wir auch damit fertig werden“. Die beiden Frauen strahlen Selbstbewusstsein aus. Ihre Samenspender haben sie über Freunde kennengelernt. Dass die später auch als Väter „funktionieren“, war ihnen nicht so wichtig. Der Vater von Paul ist schwul, er lebt im Ausland, der von Pia und Anton heterosexuell. Er hat inzwischen offiziell auf seine Rechte als Vater verzichtet, kümmert sich aber zusammen mit seiner derzeitigen Freundin sporadisch weiter um alle drei Kinder. Eine lesbisch-hetero-Patchwork-Familie. Fest steht: Andrea ist für die Kids die Mami, ihre Frau Birgit die Mama. „Wir sind die Eltern“, sagt Birgit. Sie hat die Zwillinge nach der Eintragung der Lebenspartnerschaft adoptiert. Die Erziehung teilen sich die Frauen, den Alltag organisieren sie auch gemeinsam. Beide sind Akademikerinnen. Ihre Arbeitgeber wollen sie nicht nennen. Denn trotz aller Offenheit und Toleranz: „So ein Regenbogenfamilienmodell auch durchzusetzen, ist nicht immer einfach“, sagt Birgit. Deshalb wollen sie ihre richtigen Namen, auch die der Kinder, lieber nicht genannt haben. Manchmal sei es anstrengend als Regenbogenfamilie zu leben, weil die Gesellschaft eben noch ganz anders ticke.
Entwickeln sich Kinder, die nur bei Papas oder nur bei Mamas aufwachsen, auch normal? Werden sie vielleicht drogenabhängig, leiden sie unter einem Trauma, vermissen sie etwas und müssen sie vielleicht zum Therapeuten?
„Viele Menschen haben noch nie etwas gehört von Regenbogenfamilien. Da müssen wir immer noch viel erklären, uns selbst als Lesben immer wieder outen und Fragen beantworten. Zum Beispiel ob sich Kinder, die nur bei Papas oder nur bei Mamas aufwachsen, normal entwickeln? Werden sie vielleicht drogenabhängig, leiden sie unter einem Trauma, vermissen sie etwas und müssen sie vielleicht zum Therapeuten? wird dann die Stirn runzelnd gefragt.“ Regenbogeneltern kämpfen gegen solche Vorurteile an. „Verschiedene Studien über ihre Kinder zeigen, dass sie in keiner Weise von den Entwicklungen und Interessen anderer Kinder abweichen“, hat Udo Rauch zum Beispiel herausgefunden. Der Baseler Professor für klinische Psychoanalyse weist darauf hin, dass Kinder nicht unbedingt Vater und Mutter brauchen, um sich „normal“ zu entwickeln. Die Bamberger Sozialwissenschaftlerin Marina Rupp kommt in ihren Untersuchungen zu dem gleichen Ergebnis. „Es gibt keine Unterschiede zwischen Hetero- und Regenbogenfamilien“, sagt sie. „Jedenfalls nicht, was die Entwicklung der Kinder angeht. Diese Familien geben sich sehr viel Mühe mit ihren Kindern, die – wie oft vermutet – keine therapeutischen Hilfen brauchen“. Was noch fehle, so die Sozialwissenschaftlerin, sei eine breitere Akzeptanz in der Gesellschaft, auch eine rechtliche Absicherung für schwule und lesbische Paare.
„Regenbogen-Eltern“ seien vielleicht sogar verantwortungsvoller als Eltern in „Hetero-Familien“, meint Constanze Körner vom LSVD. Klar, sie wissen, dass sie in dieser Gesellschaft immer noch die Ausnahme darstellen. Noch sind sie nämlich eine Minderheit, denn gerade mal 2.200 Kinder wachsen in Deutschland bei schwulen oder lesbischen Paaren auf. „Aber das ändert sich gerade, wir werden immer mehr“, lacht Andrea. Für sie und ihre Frau sind die beiden Samenspender zwar die Väter ihrer Kinder, aber vor allem sehr gute Freunde. Sie gehören zur Familie, wie andere Freunde oder Nachbarn zum Beispiel, die mal auf die Kinder aufpassen, mal einspringen, wenn es nötig ist. „Wenn die jeweiligen Väter uns besuchen, sind sie herzlich willkommen, wenn sie nicht kommen, ist das auch kein Drama“, erklären Andrea und Birgit. Heutzutage sei Familie doch eher ein Netz von Menschen, die sich kennen, ergänzen und für einander da sind. Ob die leiblichen Väter da immer so mitspielen, wie sie eigentlich müssten und mal versprochen haben, ist Birgit und Andrea egal.