Wir lassen den Gong ertönen für die vorerst letzte Vorstellung im Heimkino, denn die echten Kinos öffnen dieser Tage wieder. Endlich! Bis es neue Filmempfehlungen gibt, stellt euch Sulgi Lie zum Abschluss seiner Reihe einen fast 100 Jahre alten Klassiker vor: den ersten Film der legendären Marx Brothers. Mehr zu den Marx Brothers lest ihr in Sulgis im Frühjahr 2021 im Verlag „Vorwerk 8“ erscheinendem Buch „Gehend kommen. Adornos Slapstick: Charlie Chaplin & The Marx Brothers“. Schon jetzt kaufen und lesen könnt ihr seine Dissertation Die Außenseite des Films bzw. in englischer Sprache The Outside of Film und Und das Kino geht weiter, übersetzte Filmtexte von Jacques Rancière zusammen mit Julian Radlmaier. Und nun Film ab.
Wer sich immer schon gefragt hat, warum die berühmten Paramount-Filme der Marx Brothers allesamt Tiere in ihrem Titel tragen – von Animal Crackers, Monkey Business und Horse Feathers bis Duck Soup –, findet womöglich eine Antwort in ihrem allererstem Film, The Cocoanuts (USA 1929, R: Robert Florey & Joseph Santley). Bis heute hat er nicht ganz den Bekanntheitsgrad der späteren Filme erlangt, auch weil er vielleicht mit seinen allzu zahlreichen Song & Dance-Nummern noch zu sehr die Spuren des gleichnamigen Broadway-Musicals trägt, der dem Film als Vorlage gedient hat. Aber wenn man sich ganz auf die animalische Logik der Titel einlässt, lässt sich mutmaßen, dass die harte Nuss von Cocoanuts erst von Animal Crackers so richtig geknackt wird und die Brüder in ihrem ersten Film eben noch nicht ganz zu sich gefunden haben, weil das filmische Affentheater, das Monkey Business, noch erst der Nussschale entspringen muss, um Pferde zu federn oder Entensuppe zu kochen. Nicht nur weil Affen ja gerne Kokosnüsse essen, so weiß es zumindest ein Kinderlied, lohnt ein Rückblick auf The Cocoanuts, sondern auch um den komischen Animismus der Marx Brothers besser zu verstehen. Eben ihren „Blühenden Blödsinn“ (wie der schöne deutsche Titel Horse Feathers übersetzt), der Tiere aller Art lebendig werden lässt, im Körper wie in der Sprache, in der Körpersprache, ganz unabhängig davon, ob die genannten Tiere nun visuell in den Filmen gezeigt werden oder nicht. Die Titel gebenden Kokonauten bezeichnen in dem Film eigentlich ein Urlaubsressort in Florida, das von dem zwielichtigen Manager Mr. Hammer (Groucho Marx) eben total behämmert geleitet oder vielmehr fehlgeleitet wird. Sie bezeichnen aber natürlich aber die Marx Brothers selber, die eben mehr als „nuts“ sind, eben „coconuts“, tierisch verrückt wie Harpo, der während einer Immobilienversteigerung von einer Palme sitzend einem Auktionär eine Kokosnuss auf dem Kopf wirft, dabei einen Affen im Schoß haltend: voll auf die Nüsse.
Fröhliche Zoomorphose
Aber die Kopfnuss des Affen ist nur einer von vielen tierischen Tricks aus dem Reservoir der Marx Brothers, denen ein schier unendliches Reservoir der Metamorphose oder besser noch Zoomorphose zur Verfügung steht. So verwandelt sich in der vielleicht berühmtesten Szene des Films eine Brücke in eine Ente, weil das italienische Immigrantengehör von Chico, Grouchos „Viaduct“ als ein „why a duck“ miss/versteht.
Chicos absurde Hermeneutik operiert streng nach dem Prinzip der Homophonie, die hier ein Ding zu einem Tier mutieren lässt, eine Feststellung in eine Frage, die nicht zuletzt die Gattungssubstanz der Ente ungewiss werden lässt: „Why no chicken?“ Die Ente könnte auch ein Huhn sein, wie in dem Fall der Hasenente der Hase in eine Ente kippt und vice versa. Keine tierische Gestalt ist je eine fertig fixierte, und so taucht in dieser fröhlichen Zoomorphose prompt ein drittes Tier auf: „Why no horse?“ Auf die Frage: „Why a duck?“ gibt aber zumindest einer der folgenden Filme der Marx Brothers eine Antwort: Duck Soup.
Und genau dies, eine Entensuppe, zeigt die erste Einstellung von Duck Soup, allerdings nicht in der kulinarisch erwartbaren Konsistenz, sondern in aller Wörtlichkeit als eine Gruppe von Enten, die in einem Kochtopf sitzt. Was der darauf folgende Film allerdings mit diesen Enten zu tun hat, wird natürlich nicht beantwortet, und so fallen Antwort und Frage ineinander zusammen. Das Bild der Enten fragt sich selbst: Why a duck? Why a duck soup? Und nicht Hühnersuppe?
Dass die Marx Brothers oftmals als Anarchisten bezeichnet werden, liegt wohl an dieser Komik der Kontingenz und der Kontingenz der Komik, die jeder Ordnung den festen Boden unter den Füßen wegzieht: Das Feste wird flüssig, die Brücke wird durch den Fluss der Enten brüchig. Und nicht zuletzt werden Klassenverhältnisse in den Antagonismen des Unsinns durchgearbeitet, wenn Chico Groucho erklärt, warum er und sein „silent partner“ Harpo als mittellose Proletarier nach Florida gekommen sind: „I read in paper, Big boom in Florida. So we come. We're big booms, too.“
Nachträglich verweist dieses „boom boom“ auf eine frühere Szene, in der Harpo von einem snobbigen Hotelgast als ein „bum“, ein Penner bezeichnet wird. Kein „boom“ ohne „bum“, der „boom“ produziert „bums“, die aber in der Gestalt Marx Brothers den Herrschenden einen mächtigen Bums versetzen, sie aus der Fassung bringen, das Fass überlaufen, die Entensuppe aufkochen lassen. Why a duck? „Bum“ wird bei Harpo blitzschnell zu „Bum Bum“, die Beleidigung prompt zum Rhythmus resignifiziert und mit Groucho als Tanznummer aufgeführt. In der vorsprachlichen Homophonie Harpos ist die Musik ein Akt des komischen Widerstands gegen den „Hate Speech“ des Klassenfeindes. Dass Harpos Sound-Mimikry in dieser Szene eine animistische und lautmalerische Waffe wird, hat Wayne Koestenbaum in einem lesenswerten Buch über „The Anatomy of Harpo Marx“ wie folgt beschrieben:
„Here is word that Harpo can handle a juicy, containable morphem, an almost onomatopoetic syllable, whose low corporeal sound reinforce its sense. Again he mouths the word: 'bum.' It may mean nothing to him, but it offers a pretext for testing out repetition, for moving his lips, for enunciation. Bum – insult – turns into kernel of a song. Harpo mouths the word to Chico who provides sound. And as bum repeats – 'bum bum bum' – it accretes into a rhythm, an abstract pattern. Chico sings and Harpo mimes 'bum-bum bum' while exiting, Harpo holding a phantom flute and audibly whistling.“
Harpos Pantomime und Chicos Gesang bilden eine unwiderstehliche akustische Einheit, in der Geräusch und Musik zusammenmontiert werden. So geben die beiden in einer weiteren Duo-Perfomance den Zigeunerchorus aus Verdis Il trovatore mittels Chico Stimme, Harpos Hupe und dem Geräusch einer Registerkasse zum Besten. Harpo "bumst" dabei rhythmisch gegen die Kasse, sexuell anzüglich, aber eben zugleich musikalisch sublimiert.
Musik im Naturlaut der Tiere
Überhaupt wäre es verkürzt, in Harpo nur den polymorph-perversen Wüstling zu sehen, der Frauen hinterher jagt und sich in unnachahmlicher Manier statt dem Händeschütteln bei seinen Gegenübern mit einem Bein einhakt. Harpo wütet zuweilen wie ein Dämon, aber er kann auch zart wie ein Engel sein, verdankt er doch seinen Namen einem Engelsinstrument, der Harfe. Kein Marx-Brothers-Film ohne das obligatorische Harfensolo, aber in Cocoanuts findet Harpo erst über einige Umwege zu seinen goldenen Saiten: Denn metonymisch ist Harpo zunächst mit seiner Hupe verbunden, die als Stock aus seinem Hosenbund herauslugt. Nun erinnert der Klang von Harpos Hupe entfernt auch an das Quaken einer Ente, womit wir wieder bei der Why-a-duck?-Frage wären: Warum eine Ente? Weil Harpo quakt wie eine Ente. Dazu passt auch, dass Harpo Wayne Koestenbaum zufolge sein Gesicht zu einem „duck mouth“ verzieht, was weniger mit der heute als „duck face“ bekannten Selfie-Grimasse zu tun hat als vielmehr mit dem ausgeprägten oralen Partialtrieb Harpos: futtern, gähnen und hupen, Luft rauslassen. Konsequenterweise folgt auf das Hupkonzert ein Blaskonzert: Auf einer Klarinette variiert Harpo den Titelsong des Films, Irvings Berlins harmlose Schmonzette „When my dreams come true“, verhupt jedoch am Ende die Melodie mit einem Entenlaut. Aber Hupen und Blasen waren nur eine Übung, auf die fast unmittelbar die Kür folgt: Harpo findet eine Harfe, die Harfe findet Harpo und eine ungeschnittene Einstellung lang können wir nur staunen, wie nun Harpos Engelshände den etwas vulgären Schlager mit zarten Arabesken ins Sublime erhebt. Von der Hupe zur Harfe, vom „Quak“ zum Klang: Why a duck? Weil die Marx Brothers im Naturlaut der Tiere nichts anderes als Musik hören.
Deshalb muss der Film auch mit einem Potpourri musikalischer Wunder enden, der gemäß dem Geist der Komödie das Loblied auf die Variation, die Wiederholung und die Adaption singt. Nicht nur „Il trovatore“ wird nun im Gesangskollektiv dargeboten, auch Bizets populäre Titelmelodie aus Carmen wird angestimmt; sind beide doch Zigeunervariationen, dem nicht-identischen Nomadentum der Marx Brothers ganz entsprechend. Vielleicht ist jedoch diese Liebe zur Oper (man denke an den späteren A Night at the Opera) auch der Italianata Chicos geschuldet, der den ausufernden Maskenball mit einem Klaviersolo beenden darf.
So wie Harpos Harfe erklingt Chicos Piano in jedem Marx-Brothers-Film in Serie. Von Groucho als „Senor Pastrami, a Lithuanian Pianist“ angekündigt, gibt Chico eine Demonstration seiner Klavierkunst, die in Virtuosität der Harpos in nichts nachsteht. Insbesondere hat Chico seinen Zeigefinger zur manuellen Autonomie trainiert, der manchmal fröhlich wie ein Floh über die Tasten hüpft.
Vom Floh gebissen sind die Marx Brothers sowieso, aber: Why a duck? Vielleicht weil sie alles andere als Duckmäuser sind.