Der Regisseur Tim Burton besitzt selbst einige Gemälde der heute kaum noch bekannten Malerin Margaret Keane. In seinem neuen Film Big Eyes erzählt er die faszinierende Geschichte ihres Lebens und ihrer Bilder.
Als Walter Keane (Christoph Waltz) Margaret Ulbrich (Amy Adams) in Tim Burtons neuem Film Big Eyes zum ersten Mal sieht, erkennt er gleich, dass diese zwar als Malerin über einiges Talent verfügt, es ihr jedoch eindeutig an kaufmännischem Gespür mangelt. Auffällig an Margarets Kinderporträts sind die betont großen Augen, die ihren Bildern einen leicht verstörenden und sentimentalen Charakter verleihen. Mit Walters eigener künstlerischen Schaffenskraft ist es so eine Sache. Trotzdem träumt er von einer Karriere als respektierter Star der internationalen Kunstszene. Und eins ist sicher, sich selbst kann er mehr als gut verkaufen. Als Walter einen ersten Annäherungsversuch bei Margaret startet, taucht plötzlich ihre kleine Tochter auf. Der für seine Pariser Straßenmotive bekannte Maler sieht seine Felle davon schwimmen und fragt leicht irritiert, wo denn Mr. Ulbrich stecke. „Mr. Ulbrich is out of the picture“, antwortet Margaret beruhigend, schließlich ist sie ins sonnige San Francisco gekommen, um hier, alleine mit ihrer Tochter, ein neues Leben zu beginnen.
Milli Vanilli des Kunstgeschäfts
Sie ahnt in diesem Moment noch nicht, dass auch Mrs. Ulbrich bald aus dem Bild verschwinden wird. Und dies gleich in zweierlei Hinsicht. Denn nach der überstürzten Heirat mit Walter signiert sie ihre Werke von nun an mit ihrem neuen Nachnamen Keane, und nachdem ihr geschäftstüchtiger Ehemann diagnostiziert hat, dass so gut wie niemand „Lady-Art“ kaufen will, beginnt dieser, sich selbst als Urheber von Margarets Bildern auszugeben. Und siehe da, mit etwas Hilfe durch die örtliche Klatschpresse finden diese plötzlich reißenden Absatz. Margaret und Walter Keane werden zu einer Art ‚Milli Vanilli‘ des Kunstgeschäfts der Sechziger Jahre: Während Margaret im Geheimen Bild um Bild produziert, gibt Walter in der Öffentlichkeit das weltgewandte Künstlergenie. Als er dann auch noch auf die Idee kommt, Margarets Werke auf Poster, Postkarten und T-Shirts drucken zu lassen, starren die großäugigen Kinder potentielle Käufer nicht mehr nur in den Galerien, sondern auch in Supermärkten und Boutiquen an. Walters Traum scheint also wahr geworden zu sein, gäbe es da nicht die böse Kunstkritik, die „seine“ Bilder für absolut trivial hält. Besonders der New-York-Times-Autor John Canaday (Terrence Stamp) hat es auf ihn abgesehen. Hinzu kommt, dass Margaret Keane immer mehr unter der fehlenden Anerkennung zu leiden beginnt.
Wie schon Tim Burtons erstes absurdes Künstlerporträt Ed Wood (1994) beruht auch Big Eyes auf wahren Personen und Begebenheiten. Die echte Margaret Keane ist heute achtundsiebzig Jahre alt. Andy Warhol, ein Bewunderer von Keanes Werk, hat sich einmal folgendermaßen geäußert: „If it were bad, so many people wouldn’t like it.“ Burton hat diesen Satz seinem Film vorangestellt, und manchmal kann man als Zuschauer das Gefühl bekommen, dass der Regisseur mit Big Eyes auch die Rezeption seines eigenen Werks verhandelt, welchem nie derselbe Respekt entgegengebracht wurde wie vielen „ernsthaften“ Filmographien.
Auch wenn Big Eyes häufig ein wenig zu stark an der Oberfläche der dargestellten Problematiken verweilt, so handelt es sich doch um Burtons stärksten Film seit Jahren — genauer gesagt seit Sleepy Hollow (1999). Deutlich anders als die von Burton sonst meist gewohnten märchenartigen Fantasiewelten, aber trotzdem doch irgendwie immer burtonesque ist Big Eyes eine kluge Auseinandersetzung mit weiterhin relevanten Fragen zu den Geschlechterverhältnissen im Kunstbetrieb, dem Unterschied zwischen Kunst und Kommerz und der Kunstkritik im Allgemeinen.
Wer sich für das Werk von Tim Burton abseits seines bekannten Filmschaffens interessiert, dem sei die Ausstellung The World of Tim Burton empfohlen. Das Max Ernst Museum Brühl zeigt ab dem 16. August erstmalig in Deutschland neben einigen Requisiten und unbekannteren Filmen auch viele Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Storyboards, die einen ganz neuen und anschaulichen Einblick in den Schaffensprozess des amerikanischen Regisseurs geben.
Big Eyes
USA 2015
Regie: Tim Burton
Drehbuch: Scott Alexander, Larry Karazewski, Tim Burton
Darsteller: Amy Adams, Christoph Waltz, Terrence Stamp, Jason Schwartzman, Danny Huston, Jon Polito, Krysten Ritter
Kamera: Bruno Delbonnel
Schnitt: JC Bond
Musik: Danny Elfman
Laufzeit: 106 min
ab dem 23. April im Kino