American SavageClint Eastwoods Irak-Kriegsfilm „American Sniper“

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Alle Fotos: Warner Bros. Pictures.

Clint Eastwoods kontroverser Film American Sniper ist in den USA ein Sensationserfolg. Seit heute läuft er auch in den deutschen Kinos.

„When the legend becomes fact, print the legend.“ Nach diesem berühmten Zitat aus John Fords Western The Man who shot Liberty Valance agiert die Hollywood-Maschinerie seit Beginn ihres Bestehens. Auch der Western-Ikone Clint Eastwood ist der Satz mit Sicherheit bekannt. Mit American Sniper hat er nun einen Film über einen Mann gemacht, der innerhalb der amerikanischen Armee nicht nur Legendenstatus besitzt, sondern sogar von seinen Kameraden ehrfürchtig „Legend“ genannt wird. Chris Kyles erwarb sich seinen legendären Ruf als Scharfschütze des U.S. Militärs. In seinen vier Irak-Einsätzen als Mitglied der Navy SEALs während seiner Zeit beim Militär zwischen 1999 und 2009 brachte er es offiziell auf 160 getötete Feinde. Kyle selbst behauptete später sogar, für mindestens 255 tote Iraker verantwortlich gewesen zu sein. 2013 ereilte Kyle dasselbe Schicksal wie vor ihm schon Jesse James und anderen Westernhelden, er starb durch die Hand eines Nobodys. Am 2. Februar 2013 wurde er von Eddie Ray Routh, einem an posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden Kriegs-Veteranen, auf einem Schießplatz erschossen. Zu den vielen Paradoxien dieser amerikanischen Biographie gehört es, dass Kyle bis zu seinem Tod an einem Buch über die Geschichte der Schusswaffe in den Vereinigten Staaten arbeitete, in dem sich der ehemalige Scharfschütze für das amerikanische Grundrecht, eine Waffe tragen zu dürfen, einsetzte. Das Buch wurde nach Kyles Tod von seiner Witwe Taya Renae Kyle, die in American Sniper von Sienna Miller gespielt wird, veröffentlicht. Im Internet lassen sich Interviews von ihr finden, in denen sie davon spricht, dass sie darin keinen Widerspruch sehe, denn gerade sie benötige nun, da ihr Mann sie nicht mehr beschützen könne, eine Schusswaffe. Kyles erstes Buch „American Sniper“ erzählt von seiner Jugend und von seiner Zeit als Soldat im zweiten Irak-Krieg. Es wurde in Amerika zum Bestseller. Eastwood diente es als Vorlage für seinen Film.

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Kein politischer Film?

American Sniper spielte bereits am Startwochenende in den Vereinigten Statten über hundert Millionen Dollar ein und entfachte eine heftige Kontroverse. Die Reaktionen des Publikums machen deutlich, dass viele der Zuschauer in Chris Kyle einen strahlenden Helden sehen, der für die Freiheit seiner amerikanischen Mitbürger kämpft. Kritiker werfen Eastwood vor, einen Propagandafilm gedreht und sich über historische Fakten hinweggesetzt zu haben. American Sniper schaffe unter anderem einen direkten Zusammenhang zwischen den Anschlägen vom 11. September und dem Irak-Krieg und gehe nicht darauf ein, dass Kyle nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mehrfach der Lüge und Prahlerei überführt wurde. Clint Eastwood und sein Produzent und Hauptdarsteller Bradley Cooper beziehen die Position, dass es sich bei American Sniper nicht um einen politischen Film, sondern einzig und allein um eine Charakterstudie handele. Und tatsächlich, ein Heldenbildnis nach dem Vorbild Leni Riefenstahls ist American Sniper sicherlich nicht geworden. Nur sehr wenige Szenen unterlegt der Regisseur mit Musik, und auch Action-Szenen mit heroischen Kampfhandlungen des Protagonisten bekommt man in American Sniper kaum zu sehen. Eastwood und Cooper porträtieren Kyle als eine geradezu fremdgesteuert wirkende Kampfmaschine, die phrasendreschend dem amerikanischen Traum hinterher jagt. Zwei große Dreiteilungen bestimmen sein Leben als Familienvater und Soldat: Die von seinem Vater proklamierte Kategorisierung der Menschheit in Schafe, Wölfe und Hirtenhunde, Kyle sieht sich selbst in der Rolle des Hirtenhundes, und seine eigene Dreifaltigkeit, die lautet: God / Country / Family — und zwar genau in dieser Reihenfolge. Am Anfang des Films wird Kyle dabei gezeigt, wie er sich wenig erfolgreich als Cowboy versucht. Die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam wecken dann den von seinem Vater indoktrinierten Beschützerinstinkt in ihm, und so meldet Kyle sich freiwillig zum Militärdienst.

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The Show must go on

„We protect our own“, hat Kyle immer wieder vom seinem Vater gehört. Aber vor wem eigentlich? Zu solchen Fragen ist er nicht in der Lage. Gegen wen und wofür er kämpft, scheint für ihn keine Rolle zu spielen. Während fast alle um ihn herum irgendwann beginnen, an der Sinnhaftigkeit der militärischen Operationen im Irak zu zweifeln, verweist er stoisch auf seine Verpflichtung gegenüber seinen Kameraden und auf seine Liebe zum Vaterland. Und genau dieser Aspekt, der am Ende des Films in einem realen Fernsehbild kulminiert, in dem ein im Rollstuhl sitzender Veteran, bei der Beerdigung Kyles inbrünstig eine US-Flagge schwingt, ist wahrscheinlich das Interessanteste an American Sniper. Als Zuschauer stellt man sich immer wieder die Frage: Wie ist es eigentlich möglich, dass eine Kriegsmaschinerie, die so offensichtlich fehlgeleitet ist, weiterhin dazu im Stande ist, genügend Menschen zu rekrutieren, die dazu bereit sind, ihr eigenes Leben zu riskieren und ihre Familie im Stich zu lassen? Und daran anschließend: Wie ist es möglich, dass das Porträt eines kleingeistigen Naivlings, der seine Opfer wiederholt als Wilde (Savages) bezeichnet und der in einem Krieg kämpft, der heutzutage von großen Teilen der US-Bevölkerung als falsch angesehen wird, überhaupt als Heldenepos wahrgenommen werden kann?

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Eastwood beantwortet diese Fragen nicht direkt, wahrscheinlich haben sie ihn auch nie interessiert. Trotzdem lassen sich anhand von American Sniper Antworten finden. Denn trotz aller Offenheit, die großenteils divergierende Lesarten zulässt, ist American Sniper mitnichten eine reine Charakterstudie, die sich auf ausgewählte Episoden aus dem Leben Chris Kyles konzentriert. Denn indem Eastwood fiktionale Elemente in die Narration einfließen lässt, entfernt er sich von diesem eigentlich legitimen Vorsatz. So erfindet er beispielsweise einen gegnerischen Scharfschützen namens Mustafa, den es in dieser Form nie gegeben hat, und ein finales Shootout, für das wohl eher die Westerngeschichte als die wirklichen Ereignisse während des Krieges Pate stand. Am verwerflichsten ist jedoch die Darstellung der wenigen irakischen Protagonisten, die fast durchgehend als blutrünstige Aggressoren gezeigt werden. Eine Bohrmaschine schwingende Figur mit dem aussagekräftigen Namen „The Butcher“ wurde zudem vollkommen frei erfunden. Indem Eastwood die Fakten auf diese Art vernachlässigt, trägt er zwangsläufig zur Legendenbildung bei und schreibt an einem Narrativ weiter, das da heißt: gut gegen böse oder auch wir gegen die.

American Sniper
USA 2014
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jason Hall
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Max Charles, Luke Grimes
Kamera: Tom Stern
Länge: 134 min
seit dem 26.2.2015 im Kino

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