Zwei Penner namens Daft Punk„Eden“: Mia Hansen-Løve hat einen Spielfilm über Techno in Frankreich gedreht
20.2.2015 • Film – Gespräch: Tim Schenkl, Thaddeus HerrmannLaut den Presseunterlagen ist „Eden ein bewegender Trip in das pulsierende Paris der frühen 90er. Durch die Augen der jungen DJ Gruppen Cheers und Daft Punk taucht der Film in die Elektro-Szene ein.“ Klingt doch super, haben sich unsere Redakteure Thaddeus Herrmann und Tim Schenkl gedacht und sich den Film gemeinsam angesehen.
Die Regisseurin Mia Hansen-Løve ist eine beeindruckende Frau. Bereits mit 17 Jahren feierte sie als Schauspielerin ihr Debüt auf der Kinoleinwand, als sie 26 war, kam ihr erster eigener Spielfilm „Tout es pardonné“ in die Kinos. Mittlerweile ist sie vierundreißig und dreht momentan mit Isabelle Huppert einen Film über eine alternde Philiosophie-Dozentin. Außerdem ist sie Mutter einer Tochter und mit dem französischen Regisseur Olivier Assayas verheiratet. Ihr aktueller Film „Eden“ war 2014 bereits auf einigen Festivals zu sehen und kommt in Deutschland im April in die Kinos. Der Film erzählt die Geschichte des DJs Paul, der mit seinem Partner Greg das Duo Cheers bildet. Paul hat sich dem Garage Sound verschrieben und beginnt nach einigen entbehrungsreichen Jahren im Windschatten von Bands wie Daft Punk, Cassius und Stardust erste Erfolge zu feiern. Doch wirklich glücklich macht ihn dies nicht und so sucht er Zuflucht bei immer wieder wechselnden Partnerinnen und, wie könnte es anders sein, im Drogenkonsum.
Parabel des Scheiterns
Thaddeus Herrmann: Ich habe ja einige Filme über die Dance- und Underground-Kultur gesehen. Die meistens davon waren einfach schlecht. Dieser hier hinterließ mich aber besonders ratlos. Inhaltlich ist es eine Parabel des Scheiterns. Aber auch filmisch konnte ich der Sache nicht wirklich folgen. Dabei war alles super einfach, blass und fast schon wie eine Karikatur.
Tim Schenkl: Vielleicht muss man einführend erwähnen, dass die Regisseurin des Films Mia Hansen-Løve dafür bekannt ist, Geschichten zu erzählen, die eng mit ihrer eigenen Biografie verbunden sind. „Der Vater meiner Kinder“ handelt beispielsweise vom Selbstmord eines befreundeten Filmproduzenten und auch ihr letzter Film „Eine Jugendliebe“ ist ausdrücklich autobiographisch und erzählt von einer gescheiterten Liebesbeziehung der Regisseurin. In „Eden“ geht es nun um ihren Bruder Sven, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat. Er war als DJ, im Film heißt er Paul, Teil der musikalischen Bewegung French Touch. Inwieweit spielt dieses Genre in deiner eigenen Biografie eine Rolle und findest du, dass der Film die damalige Zeit überzeugend wiedergibt?
Thaddeus: Da wäre schon meine erste Frage, warum berührt die Handlung French Touch / House / whatever eigentlich nur am Rande? Das DJ-Team legt New York Garage auf. Das kann man mögen oder hassen, es war aber immer nur eine sehr nischige Spielart von House, gerade in Europa. Clubbing und Techno/House war in Frankreich immer schwierig. Es gab nie diese große Club-Szene, bzw. wurde die von den Behörden schnell plattgemacht. So ein bisschen wie zeitweise in England. Frankreich war aber auch populär wegen der illegalen Raves, der „free parties“. Das sieht man auch sehr gut im Film. Partys ja, aber eben illegal oder dann in Mini-Locations, Bars. Ich war aber zu selten in Frankreich aus, um das wirklich einschätzen zu können. Auch heute noch gibt es wenige Clubs in Frankreich, gerade außerhalb von Paris. Den French Touch habe ich natürlich mitgeschnitten, er spielte für mich aber keine nachhaltige Rolle. Mein großer Vorwurf an den Film ist, dass es für die Zuschauer vollkommen unnachvollziehbar bleibt, warum die beiden DJs plötzlich „Erfolg“ haben. Weil sie einfach immer in komischen Bars auflegen. Und plötzlich dann im PS1 in New York. Häh?
Episch langweilige Partys
Tim: Das habe ich genauso empfunden. Ich habe zugegebenermaßen in den 90ern nur wenig elektronische Musik gehört und den Siegeszugs der französischen House-Musik nur am Rande verfolgt. Vielleicht hätte ich mir auch deswegen ein paar Szenen gewünscht, in denen auf die Neuartigkeit der Musik und vielleicht auch ihre musikalischen Wurzeln etwas stärker eingegangen worden wäre. Die Faszination, die die Musik auf die Protagonisten ausübt, und die sie dazu bringt, große finanzielle und persönliche Kompromisse einzugehen, erschließt sich für mich anhand des Filmes überhaupt nicht. Das hat, glaube ich, viel mit dem Regiestil von Hansen-Løve zu tun, die offensichtlich nicht in die Falle tappen wollte, einen nostalgischen Jubel-Film zu drehen, und mit einem sehr unterkühlten und wenig euphorischen Blick das Geschehen observiert.
Thaddeus: Ne, gejubelt wird da nicht, das ist klar. Ihr fehlte offenbar jeglicher Zugang zu dieser Party-Szene. Sollte ich mich da irren, dann kaschiert sie das sehr gut bzw. bricht die damalige Situation auf derart nichtssagende Allgemeinplätze runter, dass sich sich das auch hätte sparen können. Dass die beiden Protagonisten nur an den Plattenspielern so etwas wie Euphorie ausstrahlen und zu Hause eher blass und abgeklärt wirken, finde ich gar nicht so schlimm. Man nimmt ihnen die Rolle einfach nicht ab. Das ist das Problem. Genau wie man der Filmemacherin das ganze Projekt nicht abnimmt. Zwei DJs auf der einen Seite, Daft Punk auf der anderen. Man kennt sich, mag sich, beide Parteien fangen gleichzeitig an mit ihrer Kunst. Daft Punk gehen durch die Decke, die beiden DJs vor die Hunde. Schade, aber toll? Was soll dieser gekünstelte Vergleich. Warum muss mir an Hand von Daft Punk die persönliche Talfahrt eines DJs vorgeführt werden. Ich will doch gar nichts über dieses Scheitern wissen!
Tim: Der Vorwurf eines Mangels an Recherche im Vorfeld ist wahrscheinlich etwas zu hart, schließlich stammt das Drehbuch quasi von einem Augenzeugen des Geschehens und auch die Regisseurin, so kann man es zumindest nachlesen, genoss bereits in sehr jungen Jahren durch ihren Bruder einen privilegierten Zugang zur Szene und war nur aufgrund von persönlichen Kontakten überhaupt dazu in der Lage, die Songs von Daft Punk für ihrem Film zu lizenzieren. Das ist aber eigentlich auch egal, denn ich habe es ähnlich empfunden, irgendwie gelingt es dem Film nicht, glaubwürdig zu wirken. Die Promo für „Eden“ konzentriert sich ja sehr stark auf das Phänomen Daft Punk, dabei spielen die beiden eigentlich nur eine eher untergeordnete Rolle. Daft Punk umgibt auch aufgrund ihrer Anonymität eine gewisse Aura der Coolness, findest du den Film irgendwie cool oder hip?
Thaddeus: Nein. Aber: Die Schauspieler, die Daft Punk geben, sehen aus wie Penner. Das finde ich super.
Tim: Ja, der Film geht in mehreren Szenen ironisch mit Daft Punk um, was mir gut gefällt. Mich erinnert „Eden“ in gewisser Weise an einige Filme der Berliner Schule, bei denen ich auch manchmal das Gefühl habe, dass sie so stark darauf bedacht sind, nichts falsch zu machen, dass sie am Ende manchmal arg verkrampft wirken. Die natürlich Lockerheit und die liebevolle Art der Inszenierung, die Mia Hansen-Løves frühere Filme auszeichnet, fehlt hier völlig. Und die Demaskierung des Lebensentwurfs Pauls geht mir dann doch ein wenig zu weit. Denn selbstverständlich geht von dem Beruf eines DJs auch eine gewisse Faszination aus und natürlich darf man sich, gerade im Film in der Musik auch mal verlieren und fallen lassen. Davor scheut der Film aber total zurück, es gibt keine Ekstase, keine Immersion. Selbst in einem Film wie „The Social Network“, der eigentlich überhaupt nichts mit Musik zu tun hat, gibt es bessere Party-Szenen.
Thaddeus: Ja, die Party-Szenen sind von epischer Langeweile. Dafür aber schön lang.
Tim: Lang schon, aber es erzählt sich in ihnen halt wirklich fast nichts. Das liegt unter anderem auch an dem Soundmix, jedes Wort in der Disko ist klar verständlich und die Musik ist allgemein einfach viel zu leise.
Konsum statt Hedonismus
Thaddeus: Eigentlich ist die Szenerie des Films ja komplett austauschbar. Denn das ist nicht die Geschichte die erzählt werden soll. Ob der Typ jetzt House-DJ, Rapper, Heavy-Metal-Gitarrist oder Elektriker ist, eigentlich vollkommen egal. Scheitern kann man immer. Der Unterschied ist einzig die Tatsache, dass es in der spießigen Vorstellung des breiten Publikums in der spießigen Welt des Elektrikers nicht so viel Koks gibt, was dem DJ doch letztendlich das Leben vermiest. Auch das ist ja ein derart antiquierter Vorwurf, den ich einfach nicht mehr aushalten kann. Elektriker nehmen mehr Drogen als DJs. Frag' mal die Bauarbeiter in Thüringen nach ihrer täglichen Crystal-Ration.
Tim: Der Film ist ja eh durch und durch konservativ, ja fast schon reaktionär. Das hat mich wahnsinnig geärgert.
Thaddeus: Techno ist auch wahnsinnig reaktionär. Das passt ganz gut eigentlich.
Tim: Klar. Aber das Lebensideal, das der Film präsentiert, ist einfach extrem engstirnig. Ich war schon etwas skeptisch, als bereits relativ früh in der Filmhandlung immer mehr Kinderfiguren in die Handlung eingeführt wurden, jedes Mal mit dem deutlichen Hinweis: Guck mal, das ist doch viel besser! Am Ende habe ich es dann aber fast nicht mehr ausgehalten. Als wäre jetzt das monogame Familienleben der einzige Ausweg aus dem hedonistischen und selbstzerstörerischen Lifestyle des Protagonisten. Und als er dann in einer der letzten Szene des Films von einer Tafel in seiner Küche ein Bild aus seiner Vergangenheit entfernt und es durch eine Einkaufsliste ersetzt, da hätte ich schreien können: Der Hedonismus der Jugend muss ersetzt werden durch Kinderglück und Konsum! Anders kann man das eigentlich nicht lesen.
Thaddeus: DJs brauchen ja auch Müllbeutel. Aber eine ganz andere Frage: Sind Kinder im Film immer eine sichere Bank? So wie ein DJ, der einfach nur Hits spielt?
Tim: Schwierige Frage. Irgendwie wohl schon, weil sie meist eine gewisse Emotionalität mit sich bringen, aber gerade dieser Film versucht ja nun fast schon krampfhaft, sich jeder Emotionalität zu widersetzen.
Thaddeus: Auch weil die Dialoge so wahnsinnig flach sind. Oder? Die reden alle immer nur Schwachsinn. Der auch noch schlecht vorgetragen ist. Schauspielerisch. Egal ob der DJ, der Promoter, der Radio-Moderator - hey, gerade der müsste doch eigentlich ... tut er aber nicht. Das ist so ein bisschen wie in der „Feuerzangenbowle“. Wo dieser Typ etwas vorliest und das entscheidende letzte Wort auf der nächsten Seite steht und er nicht schnell genug umblättert. Willst du mich etwa ... ermorden? Echt merde. Aber: Tony Humphries spielt mit. Tony Humphries!
Ist das wirklich cool?
Tim: Ja. Aber ist das wirklich cool? Ich komme immer wieder zu diesem Wort zurück, weil es mir einfach nicht wirklich ganz klar ist, was der Film eigentlich macht oder machen will. Einerseits gibt es so viele Referenzen aus der Popkultur, man scheint immer wieder seinen guten Geschmack zeigen zu wollen. Das beginnt mit der Musikauswahl, führt sich fort über die Gastauftritte und Drehort wie das PS1 in New York. Dann besetzt man auch noch zwei Rollen mit den angesagtesten Hipster-Schauspielern Vincent Macaigne aus Frankreich und Greta Gerwig aus Amerika und dann ist das am Ende trotzdem, vielleicht ja auch bewusst, so bieder gefilmt und inszeniert, dass es mich total irritiert zurücklässt. Allein schon die Kostüme der Darsteller, das sah mir viel zu häufig wie eine Mischung aus Studentenfilm und Telenovela aus.
Thaddeus: Wait, wut!? Das war eine Folge „Verbotene Liebe“?
Tim: Es gibt zumindest ein paar Überschneidungen. Mia Hansen-Løve spricht ja in ihren Interviews davon, dass der Film als ein Generationsporträt angelegt ist. Vielleicht hält sie uns ja auch nur einen Spiegel vor, aber wenn wir das wirklich sind, dann gute Nacht.
Thaddeus: Ob sie den Spiegel dann waagerecht halten könnte, bitte? Dann zieht sich die Line besser.
Eden
Frankreich 2014
Regie: Mia Hansen-Løve
Drehbuch: Mia & Sven Hansen-Løve
Darsteller: Félix de Givry, Pauline Etienne, Vincent Macaigne, Roman Kolinka, Greta Gerwig, Brady Corbet
Kamera: Denis Lenoir
Schnitt: Marion Monnie
Laufzeit: 131 min
ab dem 30.4.2015 im Kino