David Finchers „Gone Girl“ RevisitedGeschlechterverhältnisse in Missouri

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Alle Fotos: 20th Century Fox.

Eigentlich ist unser Autor Tim Schenkl bekennender David-Fincher-Fan. Mit dessen letztem Film Gone Girl hatte er jedoch so seine Probleme. Zeit für eine Relektüre auf Blu Ray.

David Finchers Filme zählen für mich schon seit langer Zeit zu den mit Spannung erwarteten Kinoereignissen des Jahres. Sein Werk beinhaltet bereits jetzt mehrere Meilensteine der Filmgeschichte: Mit Seven (1995) prägte er den Look des modernen Kriminalfilms für die kommenden Jahrzehnte, mit Zodiac (2007) zeichnete er sich für eines der ersten digital gedrehten filmischen Meisterwerke verantwortlich und mit The Social Network (2010) präsentierte er seine Version einer Geschichte, die seitdem nahezu täglich von den modernen Massenmedien aktualisiert wird. Sein letzter Film Gone Girl ließ mich nach dem Kinobesuch etwas enttäuscht zurück, besonders das präsentierte Frauenbild empfand ich damals als sehr limitiert und geradezu misogyn, das änderte sich auch nicht, als man mich darüber aufklärte, dass der Film auf dem gleichnamigen Roman von Gillian Flynn, einer Frau, basiert. Auch bei den diesjährigen Oscar-Nominierungen wurde Gone Girl vergleichsweise spärlich bedacht. Lediglich die Hauptdarstellerin Rosamund Pike konnte sich Hoffnungen auf den prestigeträchtigen Preis machen. In den technischen Kategorien, die Finchers Filme sonst regelmäßig dominieren, gab es diesmal keine einzige Nominierung. Zeit also dafür, meinen ersten Eindruck noch eimal zu überprüfen. Da trifft es sich gut, dass Gone Girl seit kurzem auf Blu Ray und DVD erhältlich ist und man den Film in den eigenen vier Wänden in aller Ruhe einer weiteren Sichtung unterziehen kann.

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Don’t mess with Amy

Gleich zu Beginn von Gone Girl betritt Nick Dunne (Ben Affleck) das Lokal seiner Zwillingsschwester Margot (Carrie Coon), das den treffenden Namen „The Bar“ trägt. Es ist der fünfte Jahrestag seiner Ehe mit Amy (Rosamund Pike). Nick hat das Gesellschaftsspiel Mastermind im Gepäck. Das Präsent ist jedoch nicht für seine Frau, sondern für seine Schwester bestimmt. Dies ist wohl in zweierlei Hinsicht eine weise Entscheidung, denn erstens wäre ein gebrauchtes Brettspiel wohl nur in den wenigstens Fällen ein Begeisterungsstürme hervorrufendes Geschenk zum Hochzeitstag und zweitens ist seine Schwester wohl auch eher einen gleichwertigen Spielpartner für Nick als seine Frau, deren Intellekt den ihres Mannes deutlich übertrifft. Nicht nur Amys Intelligenz ist erstaunlich, auch ihre Kindheit war es. Denn ihre Eltern benutzten das Leben ihrer Tochter als Vorlage zu einer Buchreihe mit dem Titel „Amazing Amy“, und so konnten Millionen von Lesern ihr Heranwachsen in allen Facetten mitverfolgen. Auch Nick und Amy sind Autoren, doch wegen der Rezession haben beide ihren Job verloren. Aufgrund der Krebserkrankung von Nicks Mutter mussten sie außerdem New York verlassen und nach Missouri ziehen, was besonders Amy zu schaffen macht, denn Großstädtern mit Ivy-League-Abschluss wird hier mit Vorsicht begegnet. Die neue Lebenssituation lastet auf der Beziehung des Paars. Die einst perfekt erscheinende Partnerschaft weist bereits deutliche Risse auf. Als Nick nach Hause zurückkehrt, findet er die Eingangstür geöffnet und den Couchtisch im Wohnzimmer zerstört. Von seiner Frau fehlt jede Spur. Schnell gerät er in den Verdacht, für Amys Verschwinden verantwortlich zu sein.

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Cool Girl

Der Vorwurf, David Fincher falle zu den spärlich gesäten weiblichen Figuren in seinen Filmen wenig ein, ist nicht neu. Sein Hollywood-Remake The Girl with the Dragon Tattoo kann daher auch als ein Versuch des Regisseurs gelesen werden, seinen Kritikern mit der für ihn ungewöhnlichen Wahl einer modernen Superheldin-Geschichte entgegenzutreten. Für Gone Girl adaptiert er den Roman einer Frau und trotzdem stellte sich bei mir ein ungutes Gefühl ein. Das hängt besonders mit der Schwester-Figur Margot und der Protagonistin Amy zusammen, auf die sich meine Aufmerksamkeit bei meiner ersten Sichtung im Kino relativ stark konzentrierte. Amy schreibt in einem ihrer Tagebücher, dass die meisten Männer sich die perfekte Frau als ein „Cool Girl“ imaginieren. Dieses männliche Ideal einer Frau gucke mit ihrem Partner bei Bier und Pizza das Footballspiel, begeistere sich für Star Wars oder ähnliches infantiles männliches Pläsier und sei nebenbei noch bereit, keinerlei sexuelle Wünsche offen zu lassen. „She likes what he likes.“ Margot ist in vielerlei Hinsicht genau so ein „Cool Girl“. Sie spielt mit Nick Gesellschaftsspiele, trinkt dabei Bier und hat ein dermaßen schmutziges Mundwerk, dass so mancher Hafenarbeiter neben ihr erblasst. Ihr gegenüber steht Amy. Sie ist smart, selbstständig, verdient deutlich mehr Geld als ihr Mann und hat in ihrer Vergangenheit unschuldige Männer dadurch zur Strecke gebracht, dass sie ihnen gegenüber Vergewaltigungsvorwürfe vorbrachte. Die fleischgewordene Kastrationsangst sozusagen. Beide Frauen definiert der Film sehr stark über ihr Verhältnis zu der männlichen Hauptfigur und die Ängste und Gefühle von Loyalität und Liebe, die Nick mit ihnen verbindet. Andere Frauenbilder spielen nur sehr untergeordnete Rollen. Soweit mein damaliger Eindruck. Bei der zweiten Betrachtung von Gone Girl musste ich jedoch feststellen, dass das Frauenbild und die Geschlechterverhältnisse doch deutlich differenzierter und vielschichtiger sind.

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It's a Woman's World

Trotz gründlichen Nachdenkens fällt es mir schwer, mich an einen aktuellen Kinofilm zu erinnern, in dem mehr Frauenfiguren auf der Leinwand erscheinen, als dies bei Gone Girl der Fall ist. Dabei ergibt sich immer wieder dieselbe Konstellation. Die Protagonistinnen sind ihren männlichen Gegenübern intellektuell überlegen und dominieren daher die Beziehung. Dies gilt für Nick und Amy, den weiblichen Detective Boney (Kim Dickens) und ihren männlichen Adlatus Officer James (Patrick Fugit), für Amys Eltern und auch für das Gangsterpärchen, auf das Amy trifft. Lediglich das Verhältnis von Nick und seiner Schwester erscheint relativ ausgeglichen. Um jedoch absolut sicher zu gehen, dass es sich bei Gone Girl um keinen frauenfeindlichen Film handelt, habe ich mich dazu entschieden, den aus den Gender Studies bekannten Bechdel-Test durchzuführen, um so eine „definitive“ Antwort zu erhalten. Dieser Test soll anhand von drei immer gleichen Fragen feststellen, ob ein fiktionales Werk seine weiblichen Figuren genügend Aufmerksamkeit und Respekt entgegenbringt. Die erste Frage „Kommen mindestens zwei Frauenfiguren vor?“ kann für Gone Girl eindeutig mit ja beantwortet werden. Auch die zweite Frage „Reden diese miteinander?“ kann bejaht werden. Amy redet einige Male mit anderen Frauen, meist jedoch in Voice-Over-Montage-Sequenzen, bei denen man den Dialogton nicht hört. Die dritte Frage lautet: „Wenn ja, reden sie über etwas anderes als einen Mann?“ Auch diese Frage lässt sich für Gone Girl mit ja beantworten. In einer kürzeren und einer längeren Szene unterhält sich Amy mit dem weiblichen Part des Gangsterpärchens, und das Gespräch kreist nicht um einen Mann. Gone Girl hat den Test also bestanden. Natürlich kann der Bechdel-Test bestenfalls ansatzweise eine Auskunft darüber geben, ob ein Film frauenfeindlich ist oder nicht. Er bestätigt jedoch meine Beobachtung, für die es zwei Anläufe brauchte, dass Gone Girl eine Welt zeigt, in der Frauen nicht nur eine Nebenrolle spielen, sondern ganz im Gegenteil das Geschehen aktiv gestalten. Es sind die Männer, denen eine passive Rolle zukommt. Jedoch macht der Film sie nicht zu unschuldigen Opfern, sondern legt ihr eigenes Versagen und ihre Unfähigkeit zu jeglicher Form von aufrichtiger Selbstkritik schonungslos offen.

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Nichts ist wie es scheint

Ansonsten ist Gone Girl ein David-Fincher-Film, wie man ihn kennt und liebt. Slick, smart und technisch auf höchstem Niveau. Mit dabei sind wieder Finchers treue Gefährten: Jeff Cronenweth an der Kamera, der Cutter Kirk Baxter und Trent Reznor und Atticus Ross, die für den Soundtrack zuständig sind. Sie sorgen dafür, dass Gone Girl an die großen Zeiten Hollywoods erinnert, in denen die festangestellten Regisseure, Autoren und technischen Crews noch für einen wiedererkennbaren und eigenen Stil eines jeden Filmstudios sorgten. In digitalen Bildern, die oft mehr an einen TV-Movie als an einen Kinofilm erinnern, inszeniert Fincher einen Film über das Erinnern, Sein und Schein und falsche Fährten. Er zeigt zwei Figuren, deren Leben bei dem Versuch, die Fehler aus der Vergangenheit zu kaschieren, immer mehr zu öffentlichen Inszenierungen werden. Ein Katz-und-Maus-Spiel, das in seiner Raffinesse an Alfred Hitchcock und Brian de Palma erinnert. Nichts ist in Gone Girl wie es scheint und somit immer einen zweiten Blick wert.

Gone Girl
USA 2014
Regie: David Fincher
Drehbuch: Gillian Flynn
Darsteller: Ben Affleck, Rosamund Pike, Neil Patrick Harris, Tyler Perry
Kamera: Jeff Cronenweth
Schnitt: Kirk Baxter
Musik: Trent Reznor und Atticus Ross
Laufzeit: 145 min
Jetzt erhältlich als DVD, Blu Ray und Video on Demand

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