Review: Lenovo Yoga Tab 3 ProEin Stück Leinwand
29.2.2016 • Technik & Wissen – Text: Thaddeus HerrmannWenn Tablets doch ohnehin vor allem für das Schauen von Filmen und Serien verwendet werden, dann kann man doch auch gleich ein Heimkino einbauen? Yo, sagt Lenovo, das geht. Also „Vorhang auf“ für das Yoga Tab 3 Pro.
Wie soll es eigentlich weitergehen mit dem Tablet, dem Gadget, das nach der Vorstellung des iPads für ein, zwei Jahre als großer Heilsbringer des Medienkonsums galt? Filme, Serien, Zeitungen, Bücher, dazu all die Apps, die man schon auf dem Telefon nutzt, nur in viel größer und für viel länger, dank des dicken Akkus. Es war ein Wunschtraum. Die Katerstimmung der Branche ist nicht zu leugnen, die Verkäufe gehen zurück. Drastisch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits haben Tablets einen deutlich längeren Lebenszyklus als beispielsweise Telefone. iPad und Co liegen einfach länger auf der Couch. Andererseits wachsen Smartphones seit Jahren stetig, bekommen größere Displays und graben den Tablets so Marktanteile ab. Um zu überleben, muss man entweder Apple sein (wenngleich die Verkäufe auch dort dramatisch zurückgegangen sind; ob die Pro-Variante mittelfristig etwas daran ändern wird, bleibt abzuwarten) oder aber man findet als Hersteller eine Nische. Microsoft ist mit den Surface-Geräten als Laptop-Ersatz sehr erfolgreich. Amazon und zig andere machen Tablets, die dezidiert für Kinder gedacht sind (entweder unkaputtbar oder zum Beispiel mit Lego-Branding). Die Telekom schmeißt ihren Magenta-Kunden ein Tablet hinterher, mit denen sich die Entertain-Dienste vermeintlich komfortabel steuern lassen. Oder aber man regelt die Nachfrage von vornherein über den Preis. Das ist zwar für die Bilanzen der Hersteller wenig nachhaltig, schafft aber zumindest kurzfristig Aufmerksamkeit.
Man kann es aber auch wie Lenovo machen.
Seit Herbst 2013 experimentiert man dort mit sehr „beweglichen“ Mobilgeräten, nicht nur im Tablet-Segment. Die Idee – transportiert über die Yoga-Metapher – ist einfach: Laptops verfügen über ein ausgeklügeltes Scharnier, die Displays sind Touchscreens. So lassen sich die Notebooks auch als Tablet nutzen bzw. in den skurrilsten Winkeln aufstellen, um das Display für den jeweiligen Einsatz richtig zu positionieren. Die „Tablet-Tablets“ der Yoga-Reihe weisen zwei Besonderheiten auf. Erstens eine für Tablets ungewöhnliche Bauweise. Anders als die Geräte von Samsung, Apple und Co sind die Yogas nicht flach, sondern haben einen amtlich dicken Knubbel auf der einen Seite. Klingt komisch, ist aber praktisch: Der Knubbel, in dem Batterie und Lautsprecher verbaut sind, dient zum Beispiel als „Haltegriff“, wenn man das Gerät hochkant und nur mit einer Hand halten will, etwa beim Lesen. Die andere Besonderheit ist ein variabel verstellbarer Standfuß, mit dem das Tablet unterschiedlich angewinkelt auf den Tisch gestellt werden kann, zum Schreiben oder auch für das Schauen von Filmen und Serien. Dank eines kreisrunden Lochs in diesem Standfuß kann man das Tablet auch an die Wand hängen. Muss man aber zum Glück nicht.
Das aktuelle Yoga Tab 3 Pro überrascht jedoch noch mit einer zweiten Besonderheit. Es hat einen integrierten Beamer. Nein, no shit. Es hat einen Beamer.„Was zum ...“ könnte man nun denken. Doch das 3 Pro ist nicht einmal das erste Tablet von Lenovo, das damit ausgestattet ist. Hier jedoch ist der Beamer zum ersten Mal so ins Gehäuse integriert, dass das Feature tatsächlich Sinn macht. Aber der Reihe nach.
Dass Lenovo weiß, wie das geht, gute Hardware zu bauen, beweist der Hersteller auch hier.
##Deckenfluter
Das Yoga Tab 3 Pro will also den heimischen Beamer ersetzen oder auch den Fernseher. Bevor wir uns darum kümmern, zunächst noch ein paar Worte zum Tablet im Tablet. Dass Lenovo weiß, wie man gute Hardware baut, beweist der Hersteller auch hier. Hochwertige Materialien, elegantes Design (Lenovo muss sich nur – ganz PC-Hersteller like – schnell abgewöhnen, den Display-Rahmen mit Aufklebern zuzukleistern), ein gigantischer Akku mit über 10.000 mAh Leistung, ein knackiges 10” großes Display mit 2.560 x 1.600 Pixeln, toller Farbwiedergabe und ebensolchen Kontrasten, ein schneller Prozessor, genug Speicher und zwei Kameras, die sogar ansprechende Bilder und Videos aufnehmen. Dazu kommt ein „Soundsystem“ von JBL. Die Lautsprecher – verbaut im Knubbel – klingen ansprechend, sind laut genug und durchsetzungsfähig. Ein Klangwunder sollte man zwar nicht erwarten, doch immerhin stellt sich so etwas wie Räumlichkeit bei Musik und Bewegtbild ein: Das ist schon viel wert.
Was Lenovo nach wie vor nicht wirklich im Griff hat, ist Software. Das Yoga Tab 3 Pro läuft mit dem (längst nicht mehr aktuellen) Android 5.1. Das ist nicht weiter schlimm, Googles Betriebssystem auf einem Tablet fühlt sich mangels App- und Darstellungsoptimierungen auch 2016 nach wie vor so deplatziert an, dass hoffentlich ohnehin niemand auf die Idee kommt, außer Spielen, dem Webbrowser, YouTube, Amazon Instant Video oder Netflix auch nur irgendetwas zu öffnen. Lenovo lässt es sich leider nach wie vor nicht nehmen, eine eigene Oberfläche über Android zu legen. Die ist – klassisch chinesisch – bunt, ziemlich überflüssig und bietet wenig bis gar keinen Mehrwert. Immerhin ist auf dem Yoga Tab 3 Pro nicht mehr so viel Bloatware wie noch bei früheren Geräten installiert. Apps für eigene Dienste, die Bedienelemente für den Projektor: das wars. Aber wir wollten ja eh einen Film schauen.
Hier schlafen keine Arme ein.
Und genau hier zeigt das Tablet, was in ihm steckt. Lenovo hat den Projektor im beweglichen Standfuß verbaut. Das ist neu: In einem älteren Gerät war der kleine Pico-Bruder an einem der nicht beweglichen Enden des Batterie-Knubbels untergebracht, sodass man das Tablet erst mühsam auf die gewünschte Leinwand ausrichten musste. Das erübrigt sich mit dem neuen Gerät: Klappt man den Standfuß ganz aus, bringt ihn also in die Position, mit der sich das Tablet auch an die Wand hängen lässt, und legt es auf den Fußboden, werden Videos (und natürlich auch alles andere: Der Beamer funktioniert mit allen Apps, eignet sich also auch für Präsentationen etc.) auf die Decke projiziert. Praktisch und angenehm, kann man so doch endlich flach im Bett liegen und einen Film oder eine Serie schauen. Da schlafen keine Arme ein, weil man Laptop oder Tablet halten muss. Ebensowenig muss man sich Kissen in Rücken und Nacken drücken, um den richtigen Winkel für den Fernseher an anderen Ende des Schlafzimmers zu erwischen. Dass die Auflösung des Beamers bei nur 480p liegt, also weit von HD entfernt ist, entpuppt sich dabei als nicht weiter störend. Sowohl die Decke oder die Wand in der Wohnung als auch die improvisierte Leinwand auf der Terrasse ist weit genug weg. Erfreulich ist außerdem die Tatsache, dass der Beamer hell genug ist, um auch tagsüber bei zugezogenen Vorhängen gute Ergebnisse zu liefern. Oder eben nachts auf dem Dachgarten.
##Gimmick oder Zukunft?
Ein bisschen von beidem. Die Idee ist so skurril wie genial, dazu technisch überzeugend umgesetzt. Tablets sind Maschinen für den Medienkonsum, und wenn man für diesen Konsum das Gerät nicht immer in den Händen halten bzw. eine passende Position auf der Couch oder im Bett für das Gerät finden muss, dann ist das gut. Ob dieses eine Feature, egal wie groß und interessant es ist, jedoch die Anschaffung lohnt, müssen die bettlägerigen Cinephilen entscheiden. Rund 460 Euro kostet das Yoga Tab 3 Pro aktuell, das ist nicht gerade ein Schnäppchen. Aber: Wer im Tablet-Markt auch zukünftig mitreden will, braucht die Nische. Dort verkauft man vielleicht weniger Geräte, kann sich aber sicher sein, dass man die Zielgruppe exakt bedient. In der Nische wird auch nicht um 50 Euro gestritten. Jetzt bitte nur nicht mit dem Popcorn im Bett rumkrümeln.