Film it, shake it, share it!TomTom baut Action-Cam mit automatischer Videobearbeitung
6.5.2015 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Benedikt BentlerEine große Sensation sollte es werden, das Launch-Event von TomTom in Amsterdam. Aber im Bereich Navigation? Das schien gleichzeitig ausgeschlossen, denn was sollte hier schon kommen, außer weiterer Verbesserungen und wahrscheinlich irgendwas mit noch mehr „Cloud“? War dann auch so. Die angekündigte „Sensation/Revolution/Weltneuheit“ trägt den Namen „Bandit“ und ist eine Action-Cam, gekommen um GoPro vom Thron zu stoßen. Ob sie das schafft?
Das Potenzial hat sie, für die Bandit hat man das Prinzip der Action-Cam tatsächlich völlig neu gedacht – im Sinne des Anwenders. Es geht um „Quantified Self“, aber nicht für die bessere Gesundheit, sondern für bessere Videos und schnellere Postproduktion: höchster Puls? Highlight. Höchstgeschwindigkeit? Highlight. Und die Kamera weiß das von allein. Nur ob sie auch die perfekte Umsetzung einer durchaus guten Idee ist, bleibt abzuwarten – bis zum Direktvergleich mit dem bereits erwähnten Konkurrenten.
Kosten und Mühen hat TomTom nicht gescheut, um der Produkteinführung das richtige Setting zu verpassen. Im Amsterdamer Kreuzfahrtterminal, schräg gegenüber der TomTom-Firmenzentrale, stellte das komplette TomTom-Gründungsteam die neuen Produkte vor, sichtlich stolz und begeistert von dem was kommen sollte. Aber erstmal standen große Visionen und Auto-Navigation im Fokus.
##Auf der Jagd nach Google Now
„Warum ist Big Data cool?“, fragte Pieter Geelen, stilsicher mit Hochwasserhose und gestreiften Socken, die die Aufmerksamkeit des Publikums geradezu absorbierten. Die Antwort: Weil TomTom Standortdaten von den Mobilfunkanbietern kauft, um Data Mining im großen Stil zu betreiben. Um alles über den Verkehr zu wissen, für den schnellsten und besten Weg zum Ziel. Als Cees van Dok, Head of User Experience, das neue, plattformunabhängige Interface vorstellte, wurde schnell klar, worum es eigentlich geht: Die Lücke zu Google Now muss verkleinert werden. Umgesetzt werden soll das Ganze mit der MyDrive-Cloud. Ziele, Orte, Strecken, – alles an einem Platz. Alles effizienter, schneller, von überall erreichbar. Auf meinen fiktiven Einwand hin, dass ich Google Now nutzen würde und mich dort – dem Kalender sei Dank – gar nicht mehr um Ortseingaben beim Navi kümmern müsse, versicherte mir der junge TomTom-Mitarbeiter bei der späteren Demonstration: „Kommt noch, kommt noch. Offene API, Drittanbieter-Apps, das ist erst der Anfang.“ Das mag ja nett sein, aber nutzen Menschen heutzutage nicht gerade deshalb auch ein externes Navigationsgerät, weil sie eben nicht all ihre Daten in den Rachen eines großen Konzerns werfen wollen? Mal sehen.
##Postproduktion nervt!
Auftritt des Gründers Peter-Frans Pauwels, betont sportlich, zwei Minuten Bildergalerie: Pauwels beim Snowboarden, Pauwels bei der Motorradtour in der Wüste, Pauwels beim Bergsteigen, beim Tauchen und so weiter. Bis auch der letzte kapiert hat, dass er genau der richtige ist, um eine neue Action-Cam vorzustellen. Wobei er zunächst das Kernproblem von Action-Videos schildert: Die Postproduktion. Das Kopieren, Bearbeiten, Kompilieren und eventuell noch Hochladen ist eine nervige Angelegenheit. „Eine Stunde Arbeit für eine Minute vom finalen Film“ – mit der Aussage liegt Pauwels gar nicht mal daneben. Diese Kernproblematik soll mit der TomTom Bandit aufgelöst werden, eine Menge Technik ist dabei behilflich: GPS und somit Position & Geschwindigkeit, Höhenmesser und Bewegungssensoren. Mit entsprechendem Bluetooth-Brustgurt kennt die Kamera sogar den Herzschlag.
##Intelligenter Humbug
Aus diesen Daten bestimmt die Kamera automatisch die „besten“ oder actionsreichsten Momente einer Videoaufnahme: Die schnellste Stelle der Snowboard-Abfahrt, der Mountainbike-Sturz, der Salto, bei dem die Herzfrequenz am höchsten ist. Das ist die eine Hälfte. Der zweite Clou: Die Kamera fungiert als Medienserver. Sie wird per WiFi mit dem iPhone verbunden, mit der zugehörigen App kann das Video dann bearbeitet werden, wobei die Daten auf der Kamera bleiben. Denn auf der Skipiste bleibt wenig Zeit, um ein paar Gigabyte HD-Film zu verschieben, zumal der begrenzte Speicherplatz des Smartphones dem ganzen schnell einen Strich durch die Rechnung machen würde. Um ein Video aus den automatisch ermittelten Highlights zu schneiden, wird das Handy geschüttelt. Die Schüttelfunktion ist natürlich kompletter Humbug, aber aus Marketingperspektive eben doch sehr intelligenter Humbug.
Zurück zur Präsentation. Um die Kamera vorzuführen, hat man kurzerhand vier Rampen in die Veranstaltungshalle gestellt und ein paar Profi-BMXer eingeladen. Die hatten die Kamera auf dem Kopf und haben sie nach kurzer 360°- und Tailwhip-Session den an Bildschirmen bereitstehenden TomTom-Mitarbeitern überreicht. Film it, shake it, watch it – funktionierte alles einwandfrei. Allerdings konnte man nur schwerlich beurteilen, ob die von der Kamera gepickten Momente tatsächlich die besten waren, in den kurzen Sessions der BMX-Jungs gab es ja keine Langeweile. Und ein abschließendes Urteil kann eh nur der Sportler selbst fällen.
Auch in Sachen Bildqualität ist nicht sicher, ob die Bandit wirklich auf dem gleichen Level liegt wie GoPro. Technisch gesehen ist die Bandit der GoPro Hero 4 zum Verwechseln ähnlich: Auch hier gibt’s 4K nur bei 15 Bildern pro Sekunde. Meines Erachtens eine tote Funktion, denn gerade in actionreichen Sportvideos zerstört ein nicht flüssiger Film jeden Video-Spaß. Da bleibt man dann doch lieber bei ordentlichen Full-HD-Bewegtbildern mit 60FPS.
Kostenpunkt der Bandit: 429 Euro. Damit liegt sie preislich deutlich über dem entsprechenden GoPro-Modell und zirka 100 Euro unter der GoPro-Hero 4 Black Edition, die dann auch 4K mit 30FPS kann. So bleibt die Bearbeitungsfunktion, wenn sie denn gut funktioniert, das entscheidende Kaufkriterium. Dass sich die Bandit was die Form angeht von der GoPro unterscheidet, liegt an der Bauweise von Akku und Speichermodul. Der Akku wird von hinten herausgezogen, mit 1.900 mAh und angesagten drei Stunden Laufzeit bei Full-HD.
Außerdem ist der Akku nicht nur Akku: Zieht man ihn aus der Kamera hat man eine Art USB-Stick in der Hand, der einfach in den PC gesteckt werden kann. Damit entfallen jegliche Kabel.
Die TomTom Bandit macht eine Menge richtig und geht mit der Sensorik als Grundlage für die schnellere Postproduktion einen innovativen Weg. Doch wie gesagt: Entscheidend ist, wie sie sich im Direktvergleich mit Platzhirsch GoPro schlägt. Und der steht noch an. Schaden tut der Wettbewerb mit Sicherheit nicht.