Instinkt und Workout | Róisín Murphy im Interview„Was ich auch mache, es wird kein Mainstream“
24.7.2015 • Sounds – Interview: Ji-Hun KimStilikone, Popstar, House-Heroine, Mutter, Muse, Sonic-Youth-Fan, Diva. Die irische Musikerin Róisín Murphy war in den vergangenen 20 Jahren ihrer Karriere eine der schönsten, versatilsten, aber auch zugleich kratzigsten Phänomene der Popmusik. Ob zu ihrer Zeit mit Moloko oder als Solokünstlerin – zu schillernd für den harten Underground, zu sperrig für den Mainstream. Acht Jahre sind nach ihrem letzten Album „Overpowered“ vergangen – in der Popzeitrechnung eine Ewigkeit. Man müsse nur den richtigen Zeitpunkt abwarten, und vor allem instinktiv Dinge anders machen, als andere erwarten, erklärt Róisín Murphy. Ji-Hun Kim traf sie in Berlin. Über ihr aktuelles Album „Hairless Toys“, Inspiration als Lebensaufgabe, Blumensträuße von Pharrell Williams und wieso man Väter auch mal weinen lassen muss.
Einige Jahre sind seit dem letzten Album „Overpowered“ vergangen. Was ist in der Zwischenzeit bei dir passiert?
Zum einen bin ich Mutter von zwei Kindern geworden. Das eine ist jetzt fünfeinhalb, das andere zweieinhalb Jahre alt. Ich habe in der Zeit einige Singles produziert. Es gab diverse Kollaborationen und mit „Mi Senti“ habe ich 2014 erstmals eine italienische EP veröffentlicht.
Ich kenne von vielen Künstlern, dass sie nach einer Familiengründung überlegen, etwas grundlegend anderes zu machen. Sich vom Sex, Drugs and Rock’n’Roll zu verabschieden, einen sicheren, kindertauglichen Job zu beginnen. Ging es dir ähnlich?
Das Musikerleben besteht ja normalerweise daraus, ein Album zu machen, dann auf Tour zu gehen, dann wieder ein Album zu machen und so fort. Das sind Zwei-Jahreszyklen, die dein Leben komplett in Anspruch nehmen. Ich mache das, seitdem ich 19 bin und dieses Leben kann in der Tat wirklich langweilig werden. Bei meinen Alben war es bislang immer so, dass sie aus einer persönlichen Spannung, aus einem Bedürfnis heraus entstehen mussten. Da braucht man diese Energie, dass man etwas um jeden Preis umsetzen möchte. Vielleicht brauchte ich diesmal ein bisschen länger, bis sich dieses Gefühl eingestellt hat. Ich würde aber nicht sagen, dass meine Kinder daran Schuld sind. Ich versuche immer diesen einen perfekten Moment zu finden und abzuwarten. Das kann eine Liebesaffäre sein, eine Beziehung, ein Experiment, eine Familiengründung oder ein guter Witz.
Wolltest du schon immer Popstar werden?
Bevor ich meinen allerersten Plattenvertrag unterschrieb, wusste ich nicht mal, dass ich Musik machen wollte. Das war alles ein einziges Versehen. Als ich dann 2007 „Overpowered“ herausbrachte, meinte das Label euphorisch: Jetzt verkaufen wir Millionen, du wirst ein großer Popstar und wir werden alle steinreich. Wir klatschten in die Hände und ich dachte nur: Gut, dann werde ich jetzt eben Popstar. Aber all diese Erwartungen haben sich am Ende nicht erfüllt. Keine Ahnung, wieso. But that’s fine … (tut kurz beleidigt und lacht)
Warst du enttäuscht?
Irritiert trifft es besser. Ich finde noch immer, dass es eine großartige Pop-Platte ist. Es hatte was von Grace Jones, die ich schon immer bewunderte. Es war verrückt, elegant und freakig zugleich. Ein Jahr später kamen dann Künstlerinnen wie Lady Gaga, die das Bild der Ausgeflippten vermarkteten und sehr erfolgreich wurden.
Man hat von dir geklaut?
Das würde ich nie behaupten. Ich fühlte mich zu der Zeit aber bereit und musste wie erwähnt irritiert feststellen, dass meine Ideen nicht so erfolgreich aufgeblüht sind wie bei anderen. Ich war ja nicht enttäuscht, ich hatte die größte und erfolgreichste Tournee meines Lebens. Dennoch fragte ich mich, ob da etwas an meiner Person ist, das den Mainstream verschreckt.
Woran könnte das liegen?
Das kann ich nicht sagen. Irgendwie geht es auch immer um Erwartungshaltungen. Als ich Pop gemacht habe, haben das die Menschen nicht verstanden. Als ich die aktuelle Platte „Hairless Toys“ aufgenommen habe, fragten mich die Leute, wieso ich keinen mehr Pop mache. Ich habe festgestellt, dass es irgendwie egal ist. Was den Mainstream anbetrifft, werde ich aus der Nischenrolle wohl nie herauskommen.
Wenn man wie du mit so vielen Images und Stilen arbeitet, spielt Intention dabei eine Rolle?
Intention hat nie eine Rolle gespielt. Es handelt sich eher um Instinkt. Meine Frisuren und meine Kleidung würden sich so oder so regelmäßig verändern. Damals mit 12 in Irland trug ich lange, blonde Haare. Ich ging eines Tages zum Friseur und ließ mir einen Marine-Kahlkopf rasieren. Mein Vater hat daraufhin wochenlang geweint. Damit fing es quasi an. Ich mag Kleidung, ich mag das Experimentieren mit Stilen und was es aus deiner Person macht.
Wenn Madonna oder Beyoncé ein neues Album rausbringen, haben sie wahrscheinlich ein großes Team von Stylisten, Designern und Imageberatern, die gemeinsam einen Look entwickeln. Wie stehst du dazu?
Ich mag es, Dinge für mich zu entwickeln. Ich brauche dafür kein Team. Diesmal habe ich mir einfach Kleidungsstücke angeschaut und gefragt: Bist du ein haarloses Spielzeug/hairless toy? War es so, kam es in meine Sammlung, wenn nicht, ist es rausgeflogen. So einfach ist das (lacht).
Was bedeutet Hairless Toys?
Es fing mit einem Missverständnis an. Ich hatte im Studio mal was ganz anderes gesagt, aber mein Produzent verstand „hairless toys“ und so hat es eine eigene Dynamik entwickelt. Anfangs bedeutete es gar nichts. Aber mit der Zeit entstand daraus eine eigene Ästhetik. So kann ein Stuhl zum Beispiel ein haarloses Spielzeug sein.
Ich hätte an Sexspielzeug gedacht.
Es hat weder was mit Spielzeug, noch was mit Haaren zu tun. Es ist für mich eher was Gespenstisches, Trockenes, Minimalistisches. Ein bisschen 70er, Kindheitserinnerungen, Kälte – jetzt diktiert es mein Leben. Die Bühne muss so aussehen, das Albumdesign, ich muss nach Hairless Toys aussehen. Mein Kleid hier ist ein haarloses Spielzeug, meine Nylonstrümpfe auf jeden Fall auch (streckt ihre Beine lang und streicht sich lasziv darüber).
Wie definierst du Stil?
Es ist Spaß! Es fing früh bei mir an. Meine Tante war Schönheitskönigin. Sie hatte eine riesige Sammlung von Kleidern, Schmuck und Accessoires in ihrer Dachkammer. Ich war jeden Tag nach der Schule dort, verkleidete ich mich und spielte herum. Eines Tages lief ich sogar mit ihrem Hochzeitskleid durch mein irisches Kaff.
Deine Tante war eine richtige Schönheitskönigin – auf Wettbewerben mit Krönchen?
Ja. Sie hat sich aber ein bisschen gehen lassen (lacht). Meine Mutter ist ebenfalls eine wunderschöne Frau. Ich bin nicht ansatzweise so schön wie sie. Auch wenn ich immer wieder feststelle, dass sie in den 80ern wahrscheinlich genau das getragen hätte, was ich heute trage. Sie war aber nie so davon besessen wie ich. Wenn sie ausging, wusste sie sich aber elegant aufzumotzen: mit Pelzmantel und Lippenstift.
Damals ging es noch nicht um diesen schnellen Wahnsinn, den man heute mit Primark, Topmodel-TV und Instagram-Körperkulten hat. Kleidung und Stil bilden sich heute in der Gesellschaft doch ganz anders ab.
Früher wie heute geht es noch immer um die Ausnahme und die Seltenheit. Ich glaube, dass es auch heute noch wenige exzentrische Köpfe sind, die die Sache weiter vorantreiben. Ob Bücher, Musik, Kleidung oder Frisuren – es sind immer die schrägen, seltsamen Dinge, die spannend sind. Ich glaube sogar, dass die Gesellschaft heute offener damit umgeht. Zu meiner Teenagerzeit war man ein Freak, wenn man ungewöhnlich gekleidet war. Heute nennt man das Geek Chic. Man hat feststellen müssen, dass jene seltsamen Personen gerade die Welt übernehmen. Sei es, indem sie Facebook gründen oder irgendwas anderes machen, über das man vor zehn Jahren noch mit den Schultern gezuckt hätte.
Was bedeutet eigentlich Musik für dich?
Wirklich viel. Musik hat mir mein jetziges Leben geschenkt und ermöglicht. Ich zog mit 15 von zu Hause aus und landete in Manchester. Alle meine Freundschaften, die dort entstanden sind, kamen durch die Musik zustande. Sie war die fundamentale Basis für uns alle. Ohne sie hätten wir nur Scheiße gebaut, und hätte ich keine anderen Sonic-Youth-Fans in Manchester getroffen, ich wäre für immer einsam geblieben.
Hörst du im Alltag viel Musik?
Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich keine Musik höre. Wenn ich ein Album aufnehme zum Beispiel. Momentan höre ich viel. Ich habe vor einiger Zeit Soundcloud und Mixcloud für mich entdeckt. Seitdem höre ich täglich DJ-Mixe. Teils von alten DJ-Freunden aus Sheffield, Rave-Mixe aus den 90ern, aber auch von Lieblings-DJs wie Maurice Fulton. Seit einem Jahr gehe ich ins Fitnessstudio und dort höre ich eigentlich immer Musik. Wobei ich im Gym lieber HipHop höre. Ich liebe dieses prollige „Fuck You!“, das treibt einen erst richtig an (lacht). Ich finde das Gefühl durchaus vergleichbar, ob man beim Sport Musik hört und sich dazu bewegt oder auf dem Dancefloor die Sau raus lässt: man schwitzt, macht repetitive Bewegungen …
Für viele kann auch Sport zu einer Droge werden.
In der Tat. Man kann sich reinsteigern, darin verlieren und man gewöhnt sich an den Zustand, fünfmal die Woche voll auf Adrenalin zu sein.
Im Laufe deiner Karriere hast du immer mit musikalischen Partnern gearbeitet. In meinen Augen sehr unterschiedliche Charaktere: Matthew Herbert, dein jetziger Produzent Eddie Stevens, aber auch dein heutiger Lebenspartner Sebastiano Properzi.
Die Zusammenarbeit mit Matthew Herbert war in vielerlei Hinsicht speziell. „Ruby Blue“ war die erste Platte, die ich nicht mit einem Lebenspartner gemacht habe. Die Ära Moloko war ja bekanntlich auch die Phase einer gemeinsamen Beziehung mit Mark Brydon. Nach dem Ende von Moloko war ich zunächst wie gelähmt. Ich wusste nicht, ob ich je wieder Musik machen würde … Matthew Herbert hat seine ganz eigene Weise Musik zu machen. Er hat ein Manifest, ganz genaue Vorstellungen von Sound. Er hat sich also meiner angenommen, mich behütet und er hat mir viel zugehört. Das Besondere bei Matthew ist nämlich – wenn es ums Hören geht, geht es bei ihm nicht nur um Töne und Klänge. Es geht bei ihm auch darum, dem Menschen und seinen Geschichten zuzuhören, ihn als klingendes Gesamtobjekt zu verstehen. Er mochte meinen Sound, den meines Gesangs, aber auch wenn ich tanzte oder im Supermarkt einkaufen ging. Er hat all das aufgenommen und verarbeitet. Das gab mir eine neue Form des Selbstverständnisses zurück.
Anders die Beziehung zu Eddie Stevens, mit dem ich meine letzten Alben produziert habe. Er ist für mich wie ein perfekter Bruder. Wir stehen uns geistlich sehr nahe. Festzustellen, dass es meine Berufung ist, Musik zu machen, vor Leuten zu singen, dieses Verständnis zu entwickeln – das ist durch die langjährige Zusammenarbeit mit Eddie entstanden. Aber auch meine Produktionen mit meinem Freund Sebastiano oder auch auch die House-EPs, die ich mit meinem alten Sheffielder Freund DJ Parrot mache, entstanden immer aus einer persönlichen, organischen Partnerschaft heraus.
Und wenn Pharrell Williams dich fragt, ob du was mit ihm machen möchtest?
Er müsste sich schon wirklich bemühen und mich anflehen.
Dir Blumen kaufen?
Unter anderem. Dann vielleicht (lacht).
Was für eine Rolle spielt Unsicherheit in deiner Arbeit?
Eine untergeordnete. Ich gehe jedoch nicht ins Studio und finde mich so brillant, dass alles nach dem ersten Take perfekt ist. Natürlich hinterfragt man Sachen und versucht Dinge zu optimieren. Man muss aber wissen, wann etwas fertig ist. Das ist der entscheidende Punkt: Das Gefühl zu entwickeln, wann man etwas loslassen kann. Diese Unsicherheit nicht gewinnen zu lassen, die viele Kreative in den Wahnsinn treibt. Da braucht man schon mal Eier für.
Was heißt Inspiration für dich?
Ich denke, dass Inspiration viel mit Arbeit zu tun hat. Das Problem bei der Inspiration ist, dass sie abrufbar sein muss. Man muss sich daher permanent mit Einflüssen von außen beschäftigen, diese sortieren und analysieren. Sonst passiert es, dass man dich fragt: „Jetzt schreib einen Song“, und es passiert ewig nichts – ein quälender Zustand. Für mich ist Inspiration etwas, das man als eine Energie verstehen muss. Man setzt sich konzentriert hin und versucht all die Fäden, die in deinem Kopf verlaufen zu verknüpfen, um etwas Energetisches daraus entstehen zu lassen. Im Idealfall fängt diese Energie Funken und es passiert etwas Großartiges daraus.
Inspiration als Lebensaufgabe?
Das gesamte Leben ist Inspiration! Jede einzelne Erfahrung, die du im Laufe deines Lebens sammelst ist eine Inspiration, egal wie banal sie ist. Dann gibt es aber immer noch die Konzentration. Konzentration ist für mich wie Workout fürs Gehirn. Als wenn man den Bizeps anspannt, aber nur eben im Kopf. Dafür braucht man Disziplin und man muss es wollen.
Handelt es sich um Erkenntnisse, die du erst später im Leben gemacht hast?
Absolut. Anfangs habe ich mir über nichts Gedanken gemacht. Es kam so viel aus dem Nichts und ich habe mich von einem Ereignis zum nächsten gehangelt. Aber Mark hat mir damals viel beigebracht. Er war immer streng mit mir. Er brachte mir bei, wann etwas in der richtigen Stimmung war und wann nicht. Er hat mich hundert Mal die gleiche Stelle singen lassen, bis es gut war. Auch bei meinen Texten war er immer kritisch: „Du singst zu viel „Du“ und „Ich“. Das kannst du besser.“
Du wirst von vielen als Stilikone angesehen. Wie geht man damit um?
Man muss Fehler machen dürfen. Ich bin ein gefühlvoller, aber auch ausdrucksstarker Mensch, und ich versuche auf allen möglichen Kanälen zu kommunizieren. Das, was ich mit Stil kommuniziere, ist eher nonverbal, abstrakt. Mir ist Komplexität wichtig. Wenn alle auf einmal minimalistisch gekleidet sind, grätsche ich bewusst hinein. Ich bin ja auch keine Person, die supersimpel ist oder nur aus geraden Linien besteht. Ich liebe es, wenn es mir gelingt, Leute zu überraschen. Darum geht es doch im Leben, es ist eine kontinuierliche Überraschung.
Mode ist für dich also Kommunikation?
Natürlich. Über Kleidung führt man doch immer die erste Kommunikation. Bevor wir mit unserem Gespräch angefangen haben, sah ich dich mit deinen hübschen Haaren und deinem roten Pulli und du mich mit meinem weirden 80er-Kleid. Das ist immer der erste Kontakt.
Diese Kommunikation kann aber auch tiefer gehen?
Durchaus. Man kann mit Kleidung komplexe Kommunikationen schaffen. Es muss aber nicht immer um High Fashion gehen. Als ich vor einigen Jahren an Overpowered gearbeitet habe, habe ich mich viel mit Fashion und ihren Codes auseinandergesetzt. Ich wollte Dinge aus dem Äther des Zeitgeists greifen und ihnen einen Twist zu geben – sie uminterpretieren. Damals fand ich die Fashion-Szene inspirierend. Die Industrie war noch naiver. Als ich zu jener Zeit mit Gareth Pugh zusammengearbeitet habe, habe ich ihn zuvor einfach angerufen. Er meinte nur: „Klar, komm vorbei!“ Ich ging also in sein Warehouse im Londoner Eastend und auf dem Boden lagen unzählige schwarze Plastiksäcke mit all seinen Stücken drin. Ich wühlte darin herum, pickte Teile raus und fragte, ob ich das tragen dürfe. Er meinte immer nur: „Ja sicher, mach mal.“
Das ist heute anders?
Heute findest du so etwas nicht mehr. Für das Cover meiner EP „Mi Senti“, die ich mit Sebastiano produziert habe, trug ich ein Stück von Thomas Tait und obwohl das Label noch so jung ist, ging es da schon immer nur darum, welches Kleid bei welchem Event, von welchem Celebrity oder in welcher Modestrecke getragen wird. Vor acht Jahren war das anders. Es war nicht alles im Vorhinein mathematisch durchstrukturiert und geplant. Das hat für mich mit Mode nicht mehr viel zu tun. Für das aktuelle Album und die Tour ist daher alles vintage. Ich trage Plastik, Polyester, es riecht und quietscht. Kürzlich musste ich feststellen, dass die aktuellen großen Kollektionen alle so aussehen wie meine Vintage-Fundstücke. Nun wollen alle wieder schrille Farben und Nylon (lacht). Es lag wohl in der Luft, und ich habe mal wieder verstanden, das früh genug aufzugreifen. Das ist doch gelebter Modernismus. Als Irin sagt man sowas nicht ohne Ironie, aber es stimmt.