„Oasis haben mich umgehauen!“Der Britpop-Starfotograf Michael Spencer Jones im Interview
9.7.2015 • Kultur – Interview: Jasmin TomschiAls Michael Spencer Jones Fotografie studierte, kam der Punkt, an dem er sich entscheiden musste — für ein kreatives Dasein in der Mode oder in der Musik. Es lief auf Letzteres hinaus, genauer gesagt auf die Kunst des Album-Artworks. Inspiriert vom Design-Duo Hipgnosis, deren Surrealismus Platten von Pink Floyd oder Led Zeppelin ziert, tauchte der britische Künstler in die Musikszene von Manchester ein und als treibende Kraft hinter den Covern von Größen wie The Verve und Oasis wieder auf.
In Zeiten der Selbstinszenierung auf Instagram, ungewollt persönlichen Einblicken auf Snapchat und wackeligen Videopremieren auf Meerkat zieht Michael Spencer Jones den analogen Film vor. Er liebt den intellektuellen Prozess hinter der Fotografie und lebt für den Countdown von 36 zu dieser einen perfekten Aufnahme. Unsere Autorin Jasmin Tomschi traf den Fotografen in der Neuköllner Bar „Posh Teckel“. Nach einer großen Werkschau in der altehrwürdigen Londoner „Royal Albert Hall“ im vergangenen Jahr, stellte er dort eine Auswahl seiner ikonografischen Britpop-Fotografien aus. Über gute Cover-Fotografie, Shootings mit Oasis und was die Gallagher-Brüder mit dem zweigeteilten Captain Kirk zu tun haben.
Wenn man kürzlich noch in der Royal Albert Hall ausstellte und nun hier in einer Neuköllner Divebar sitzt – da geht es plötzlich um andere Kapazitäten, nicht wahr?
Die Ausstellung in der Royal Albert Hall war groß, sehr groß sogar. Da hingen zwischen 50 und 60 Fotografien. Da ist man von der Größe einer Bar wie „Posh Teckel“ natürlich erstmal schockiert (lacht) ... aber nach ein paar Tagen in der Nachbarschaft fand ich die Idee doch ziemlich cool, das Ganze dort aufzuziehen ...
Wie bereitet man sich auf eine Ausstellung in so einer Location vor?
Eine Galerie ist ja bekanntlich der Friedhof für Kunst, ihr letzter Ruheort. In einer Galerie kann Kunst schon mal klinisch und kalt wirken. Deshalb war’s erfrischend, meine Fotografien zur Abwechslung in eine „reale“ Umgebung zu hängen. Ich habe mich dann für eine Auswahl aus den Jahren 1994 und 1995 entschieden.
Bleiben wir gleich bei Ihrer Kunst. Als Rockfotograf haben Sie den Britpop durch Ihr Objektiv miterlebt. Was ging da ab?
Es war wahnsinnig aufregend. Damals hat es zwar noch niemand Britpop genannt, aber es war eine spannende Zeit für die Musik mit vielen guten Bands wie The Verve, Oasis oder Radiohead. Ich erinnere mich noch genau daran, als Noel [Gallagher] 1996 mit seiner Union-Jack-Gitarre in Maine Road auf die Bühne ging. Das war riskant und ein Statement: Die Flagge ist für alle da!
Wie kam es zum Gig mit den Gallagher-Brüdern?
Ich war gerade sehr auf The Verve fokussiert, als mir jemand von dieser Band namens Oasis erzählte. Noel fand meine Fotos auf den Covern von The Verve cool. Das brachte den Stein ins Rollen. Ich habe mir keine sonderlich großen Gedanken darüber gemacht, bis auf dem Weg zum ersten Meeting plötzlich dieser Song im Radio lief — eine Kopie von „Columbia“. Ich dachte nur: Wahnsinn, von wem ist dieser Track? Als sich herausstellte, dass er von Oasis war, hat’s mich erstmal umgehauen. Als ich Liam und Noel kennengelernt habe, nahmen sie in Manchester gerade Demos für „Definitely Maybe“ auf. Ich habe also ein paar Bilder von der Band im Studio geschossen — alles in Schwarzweiß und mit einer Technik, bei der die Blende nach dem Blitz für zwei, drei Sekunden offenbleibt, damit das Bild einen gewissen Schaden abbekommt.
Welchen Eindruck machte die Band damals auf Sie?
Ich war wahnsinnig beeindruckt. Wenn man ständig mit irgendwelchem Musikern arbeitet, merkt man sehr schnell: Die einen werden es schaffen, die anderen nicht. So war es schon mit The Verve, aber Oasis hatten diesen Fokus, dieses Selbstvertrauen und diesen Übermut — als ich das erste Mal die Lyrics zu „Shakermaker“ hörte, war ich fasziniert. Es gab keinen Zweifel, dass aus dieser Band etwas Großes werden würde. Und das wussten auch die Jungs von Anfang an ...
Was ist es, das Oasis von anderen Britpop-Bands abhebt?
Die Beziehung zwischen Liam and Noel ist wahnsinnig launisch, aber genau das ist der Ursprung des ganzen Hypes. Es ist ein bisschen wie in dieser Star-Trek-Episode, wo Captain Kirk zweigeteilt wird und der gute Kirk nicht mit dem schlechten auskommt (überlegt) ... trotzdem herrschte immer diese eigenartige Balance in der Band. Es gab Spannungen, ja. Aber kreative Spannung!
Wie kamen Sie auf künstlerischer Ebene mit der Band aus?
Wenn ich Cover fotografiere, stellt sich mir immer zuerst die Frage: Soll die Band drauf sein oder nicht? Manchmal ist es einfacher, wenn sie auf dem Cover ist, weil man sonst zu viel kreativen Freiraum hat. Im Gegensatz zu anderen Bands waren Oasis immer offen für Vorschläge, das ergab einen sehr organischen Prozess. Es ging darum, gemeinsam einen Ausgangspunkt zu finden und von dort in die richtige Richtung zu gehen.
Lassen Sie uns über „Definitely Maybe“ sprechen.
Die ursprüngliche Idee kam von der Rückseite eines Beatles-Albums: Oasis sollten um einen Tisch im Haus von [Gitarrist] Bonehead sitzen. Damit konnte ich gar nichts anfangen. Was hätten sie dort machen sollen? Karten spielen? Als ich dann das Wohnzimmer mit seinen großen Fenstern entdeckt habe, dachte ich, das hingegen könnte funktionieren.
Also wurde improvisiert?
Ich überlegte erstmal, was die Band im Wohnzimmer treiben könnte. Fernsehen vielleicht? Es war riskant, direkt ins Licht zu fotografieren, aber ich fing an, zu experimentieren und langsam kam alles zusammen — der Raum, das Objektiv, der Film. Doch plötzlich wirkten die Dielen am Boden massiv und ich musste diese Lücke im Bild füllen ...
... und legten Liam mitten in den Raum.
Genau. Und so hat’s funktioniert! Solche Prozesse können entmutigend sein, aber dann kam noch jemand mit dem Globus an und wir hatten alle Elemente, die es brauchte.
Wann war das Bild endgültig im Kasten?
Als ich durch meine Linse schaute und dort das Cover sah, musste es schnell gehen. Beim Fotografieren geht es darum, etwas Magisches einzufangen — wenn der Moment da ist, muss ihn der Fotograf sofort erkennen, bevor er seine Chance für immer verpasst hat.
Könnten Sie sich für ein Lieblingscover von Oasis entscheiden?
Eindeutig „Definitely Maybe“, weil sich Cover und Musik nicht mehr voneinander trennen lassen. Das Foto in Boneheads Wohnzimmer hat der Musik ihre visuelle Identität verliehen. Es ist das beste Cover für das beste Oasis-Album. Ich mag aber auch das Single-Cover von „Live Forever“ vor John Lennons Haus oder das Cover von „Be Here Now!“ Die Storys von diesem Shoot würde mir niemand glauben ...
Schade, dass man beim Blick aufs Cover nie die ganze Geschichte erfahren wird.
Es reicht schon, wenn ein Cover etwas Interessantes an sich hat. Es wäre furchtbar, wenn man sich ein Album kauft und dann erstmal auf ein langweiliges Bild starren muss. Musik ist nun mal eine Kunstform, die nur schwer zu fassen ist. Sie ist auf Bilder angewiesen, die sie zum Leben erwecken. Da muss viel Energie reingesteckt werden. Aber Plattenfirmen unterschätzen die Wichtigkeit von visuellen Identitäten heutzutage schwer, und die Musik leidet darunter.
Verliert die Musik ohne Artwork an Substanz?
Das Schlimmste, was der Musik passieren könnte, wäre, wenn man sie noch weniger fassen könnte. Zuerst gab es Platten, danach CDs, heute verschwindet das physische Produkt nach und nach. Dadurch geht nicht nur die zentrale Rolle des Artworks, sondern auch der gesamte Wert der Musik verloren.
Wie sieht dann die Zukunft von der Coverfotografie aus?
Ein Album wie „Definitely Maybe“ ist ein Kunstwerk von der Tracklist bis zum Coverbild. Im digitalen Zeitalter zerlegen wir dieses große Ganze mit einzelnen Downloads, wir holen Songs aus ihrem Kontext und beschäftigen uns nur noch mit Stücken des Gesamtkunstwerks. Aber vielleicht wird es genau hier wieder spannend — wenn man sich fragen muss, wie dieses Konsumverhalten die Produzenten und Musik im Allgemeinen beeinflusst.