„Keine Symmetrie“Interview: Marcel Weber ist der Lichtdesigner des Berliner Atonal Festivals

Marcel Weber lead

Fotos: Daniel Müller

Marcel Weber sorgt dafür, das Festivals wie das Berlin Atonal in das richtige Licht getaucht werden. Musik, Projektionen und Scheinwerfer: Alles muss sich ergänzen und ein schlüssiges Gesamtkonzept ergeben. Egal wie hell das Berliner Kraftwerk dann auch erleuchtet ist, Marcel Weber bleibt mit seiner Arbeit im Hintergrund, im sprichwörtlichen Dunkel. Kevin Chow portraitiert den kreativen Kopf des Teils einer Nacht, über den sich kaum jemand Gedanken macht.

Ein Club-Besuch kann viele Gründe haben. Freunde treffen, Drogen nehmen, tanzen, Musik hören, DJs gucken. All diese Dinge – von den Freunden vielleicht abgesehen – setzt man im Club irgendwie voraus. Die passieren eh. Über viele Aspekte so einer Nacht macht man sich einfach keine Gedanken. Dazu gehört auch das Licht. Vollkommen klar, dass die Party nicht in kompletter Dunkelheit stattfindet, dass die Blitze zucken, die Fluter den Raum im genau richtigen Moment durchfluten, sich ihr Schein im Kunstnebel bricht. Aber wer sind die Menschen, die genau das steuern, sich darüber Gedanken machen? Man kennt sie nicht. Die Wochenendplanung orientiert sich vielleicht noch daran, welcher DJ wann spielt. Das Licht, obwohl es für die Atmosphäre im Club eine so große Rolle spielt, wird gesteuert von namenlosen Profis. Marcel Weber ist einer von ihnen.

Seit 2001 arbeitet Weber mit Licht und hat seitdem mit vielen seiner Installationen weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Aber auch die Kollaborationen mit Künstlern wie Kode9, Biosphere, Kuedo, Clark oder Ben Frost haben dazu beigetragen, dass seine Ideen mittlerweile sowohl in Clubs und Konzerthallen genauso gefragt sind, wie an renommierten Theatern. Bei der verwendeten Technik ist Weber leidenschaftslos. Er fühlt sich im Analogen wie auch im Digitalen zuhause.

Seit vergangenem Jahr kümmert er sich federführend um das Licht und die Visuals des Atonal-Festivals in Berlin. Um dessen Spielstätte, das Kraftwerk an der Köpenicker Straße, wo auch der Tresor beheimatet ist, angemessen zu illuminieren, bedarf es nicht nur viel Planung, sondern vor allem Mut. Die entkernte und betonierte Kargheit der riesigen zweigeschossigen Turbinenhalle bietet so viel Projektionsfläche, dass man schnell die Orientierung verlieren, aber auch eine immense Leinwand, auf der man sich austoben kann.

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Wie ging das mit dir und dem Licht los?
Ich habe zunächst als VJ gearbeitet, kannte mich also mit Videoprojektionen, auch unter Live-Bedingungen, gut aus. Später habe ich dann auch für das Theater und die Oper gearbeitet, das war aber eher technisch, in den kreativen Prozess war ich nicht wirklich involviert, zumindest nicht am Anfang. Wie man einen Raum gut ausleuchtet und Licht wirklich einsetzt, das habe ich mir Schritt für Schritt erarbeitet. Letztendlich hängen aber alle Komponenten zusammen. Video, das Platzieren der Leinwände, andere Komponenten wie Nebel, die abgestimmte Lichttemperatur: Am Ende geht es darum, dass das Publikum sich in diesem Konstrukt verlieren kann.

Wie kam der Kontakt zum Atonal zustande?
Als das Festival reanimiert wurde, habe ich dort mit meinem Projekt MFO gespielt. Hinterher habe ich ein paar freche Bemerkungen gemacht über die Dinge, die mit nicht gefielen, und ich hatte den Job! Mir fällt auf, dass es bei meiner jetzigen Arbeit oft viel weniger um Kreativität, als um Verständnis geht. Was braucht der Raum, was will der Raum? Das sind Fragen, die ich mir stelle. So entschied ich mich auch für die große, vertikale Leinwand hinter der Bühne. Die Architektur des Kraftwerks strebt förmlich nach oben, wie eine Kathedrale aus Beton. Mir wurde klar: Dieser Raum braucht eine vertikale Leinwand.

Das Kraftwerk ist ein wirklich beeindruckender, aber auch einschüchternder Ort.
Es ist der größte Spielplatz überhaupt! Aber auch nicht ganz einfach. Die mächtigen Streben aus Aluminium sehen unförmig und sehr technisch aus. Die verändern den Raum, jedoch nicht unbedingt zum Besseren.

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Wie planst du Projekte dieses Ausmaßes?
Die Musik spielt von Anfang an eine entscheidende Rolle. Der Raum, den es zu bespielen gilt, natürlich auch. Ihm zuzuhören, ist sehr wichtig. Vor allem natürlich bei einer Veranstaltung wie dem Atonal. Hier kommen alle Aspekte zusammen, das ist ein Gesamtkunstwerk. Dass alles zusammengehört, habe ich bei dem Projekt „Ephemera“ gelernt, 2014 beim Unsound im Krakau. Tim Hecker, Ben Frost und Kode9 haben die Musik gemacht, Geza Schoen kreierte spezielle Parfüme, die im Raum versprüht wurden, ich machte das Licht. Das Thema war klar umrissen – Noise, Bass, Drone. Ich mag diesen Ansatz. Beim Atonal Festival herrscht eine sehr rohe Atmosphäre. Die hat keine wirkliche Entsprechung außerhalb des Kraftwerks, fühlt sich aber dennoch vertraut und bekannt an. Ich habe versucht, diese Stimmung zu verstärken. Ich assoziiere mit dem Kraftwerk, mit dem Moment, wenn man mitten im Raum steht, Naturerfahrungen. Eine große Höhle etwa, oder auch draußen auf dem Meer zu sein, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst. Wichtiger noch: die Berge. Die schiere Kraft und Imposanz ist überwältigend.

„Ich „zerlege“ den Raum Stück für Stück, so dass sich jeder Lichtblitz anders anfühlt.“

Klare Assoziationen. Aber wie setzt man das um?
Ich vermeide zum Beispiel symmetrische Arrangements. Das wirkt technisch und konstruiert. Ich platziere Licht vielmehr im ganzen Raum. Als Besucher denkt man dann vielleicht: Ach, da hängt ein Licht, da drüben auch. Die Arbeit an diesem Setup ist allerdings sehr langwierig. Der gesamte Raum muss in die Planung mit einbezogen werden, jede Säule, jede Nische. Keine Symmetrie. Ich „zerlege“ den Raum Stück für Stück, so dass sich jeder Lichtblitz anders anfühlt. Schatten spielen auch eine große Rolle. Zudem ist mir enorm wichtig, dass das Publikum nicht geblendet wird. Das ist immer work in progress. So eine Location wie das Kraftwerk verändert sich ja kontinuierlich, auch wenn nur neue Leitungen oder Röhren verlegt werden. Nichts liegt unter Putz, darauf muss ich dann reagieren.

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Das Kraftwerk wirkt alt, vergangen und sehr dystopisch. Lässt du dich von solchen Stichworten inspirieren?
Architektur ist generell eine große Inspiration für mich. Aber auch Kunst – Gemälde, Zeichnungen. Und tatsächlich auch Literatur: J.G. Ballard oder Jorge Luis Borges. Letztendlich ist der Prozess immer der gleiche. Ich versuche diese Inspirationen aus der realen Welt für ein Projekt zu abstrahieren. Wie in einem Traum. Finde den Kern, die Essenz und baue das im Club nach. Es geht um die Verstärkung der Realität.

Mehr zu Marcel Weber hier.

Dieser Text ist eine Kollaboration mit Freunde von Freunden. Dort hat der Autor Kevin Chow ein englischsprachiges Portrait von Marcel Weber veröffentlicht.

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