„Hinfallen und aufrappeln ist Teil des Projekts“Interview: Die Crew des Meakusma Festivals über die erste Ausgabe seit 2019
18.8.2022 • Kultur – Interview: Kristoffer Cornils, Fotos: David OleDas Festival Meakusma stellt in musikalischer Hinsicht immer eine Besonderheit dar, die diesjährige Ausgabe wird aber nochmal besonderer: Wenn zwischen dem 1. und 4. September Streichereinsembles, Weirdo-Poper:innen, Geräuschmusiker:innen und Club-DJs wie das Splitter Orchester, Anadol, Ulla Straus, Rabih Beaini, Gavsborg, Shed und viele, viele – so viele – mehr in das verschlafene belgischen Städtchen Eupen einreiten, passiert das zum ersten Mal seit dem Jahr 2019.
Erst war es die Pandemie, dann der Doppelschlag aus Infektionszahlen und Überflutung, die der lokal als Veranstalter:innen sowie neuerdings Radiomacher:innen und überregional als Label aktive Crew ums Meakusma zwei fette Striche durch die Rechnung machten. Einfach aufgeben ist aber nicht. Es gibt schließlich der Welt eine Vielzahl spannender belgischer Artists und umgekehrt der belgischen Crowd die Crème de la Crème internationaler Ausnahmekünstler:innen zu präsentieren.
Über den Standortfaktor Kleinstadt, aufstrebende und verdienstvolle belgische Artists, Programm und Pandemie-Mangement sowie das eigene Label hat sich das Team befragen lassen – und standesgemäß im Kollektiv geantwortet.
Warum eigentlich Eupen?
Wir sind ursprünglich aus der Region und haben bereits Ende der neunziger und Anfang der Nullerjahre hier Projekte durchgeführt. Zu dieser Zeit gab es eine recht aktive Szene mit vielen Clubnächten in der Region. Später zogen wir nach Brüssel, wo wir gemeinsam mit drei anderen Mitstreitern Meakusma gegründet haben. Danach waren wir mehrere Jahre vorwiegend in Brüssel aktiv. Nachdem wir dann irgendwann wieder nach Ostbelgien gezogen sind, wurde der Schwerpunkt der Aktivitäten wieder hierher verlegt. Wir möchten einfach vor allem da aktiv sein, wo wir leben. Für das Festival hat sich dann rausgestellt, dass der ländliche Kontext und die geografische Lage von Vorteil sind. In Brüssel oder einer anderen Stadt sähe das Festival ganz anders aus. Die Natur, der eher gediegene Rhythmus hier in Eupen, haben einen positiven Einfluss darauf, wie die Besucher:innen das dichte und kontrastreiche Programm wahrnehmen und verarbeiten können.
Man kann sich als Besucher:in leichter eine Auszeit nehmen, in den Wald, die Wiesen oder die Innenstadt gehen. Auch lässt sich die Umgebung gut ins Programm des Festivals einbinden, sei es durch Fahrten in die Natur, um den Hirschen beim Röhren während der Brunft zuzuhören, wie wir es in den ersten Jahren angeboten haben, oder durch Soundwalks oder Klanginstallationen in der Natur. Bei den Veranstaltungen, die wir so über das ganze Jahr verteilt haben, sieht es etwas anders aus. Da fehlt oftmals das Interesse eines breiteren Publikums. Und man hat auch immer wieder damit zu kämpfen, dass manchmal die Akzeptanz dafür fehlt, was wir hier machen. Da gibt es teilweise Berührungsängste, weil es den Menschen vielleicht fremd erscheint. Wir versuchen, Hemmschwellen abzubauen und zu vermitteln, dass es sich nicht um ein nerdy Insider-Ding handelt, sondern man auch einfach intuitiv mit den gebotenen Inhalten umgehen kann. Auch fällt es den Menschen bei all den unterschiedlichen Aktivitäten und Stilrichtungen, die wir präsentieren, schwer, zu differenzieren. Manchmal laden wir eher experimentellere Künstler:innen ein, wir bieten aber auch durchaus „zugängliche“ Sachen. Das fällt aber nicht immer leicht zu vermitteln.
Das alles hat sich nach der Corona-Krise nochmal verschärft. Durch das fehlende direkte Feedback entstehen natürlich immer wieder Zweifel und man stellt sich schon die Frage, warum man das macht. Was möchte man erreichen und ist das hier überhaupt möglich? Womit beschäftigen sich die Leute? Ist da überhaupt eine Sensibilität vorhanden? Auch haben wir den Eindruck, dass die Corona-Krise auf dem Land einen nochmal stärkeren Einfluss auf das Ausgeh- und Konsumverhalten der Leute gehabt hat. Wir wissen gleichzeitig, dass sich das nicht nur auf unsere Aktivitäten beschränkt. Auch Kulturangebote, die eher im Rock- und Pop-Bereich angesiedelt sind, werden weniger gut besucht. Kirmespartys und einige Bars sind hingegen voll. Der Fokus liegt wohl gerade nicht so stark auf Musik, erst recht nicht auf Musik, die etwas Geduld erfordert. Und dann gibt es das grundsätzliche Phänomen, dass viele Menschen auf dem Land ab einem gewissen Alter einen eher „klassischen“ Lebensweg gehen. Ab dem Moment, wo Haus und Familie anstehen, geht man nur noch selten auf Konzerte. Das ist ausgeprägter als in der Stadt. Daraus entsteht vielleicht eine Bequemlichkeit, aus der man nicht mehr so leicht ausbricht.
Das Meakusma verteilt sich in diesem Jahr auf noch mehr Venues und sogar den öffentlichen Raum. Hat das pragmatische oder konzeptionelle Gründe?
Sowohl als auch. Der Alte Schlachthof hat viele kleine Räume, die schnell voll sind. Durch die Ausweitung auf mehrere Venues versuchen wir die Situation ein wenig zu entspannen. Und eine Performance wie die des Splitter Orchesters ergibt im Alten Schlachthof einfach weniger Sinn, da musste man auf einen anderen Ort ausweichen. Gleichzeitig ist es uns auch wichtig, die Stadt und die Natur mit in das Festival zu verweben und immer neue Orte zu erschließen. Es trägt zur positiven, entspannten Dynamik bei, dass sich die Leute zwischen den verschiedenen Orten bewegen, und dadurch auch mal in die Bäckerei, in eine lokale Bar oder in die Wiesen gehen und in Kontakt mit dem Ort und den Menschen kommen.
Die regionale Musikszene Belgiens spielt beim Meakusma ebenfalls eine große Rolle, mit dabei sind unter anderem Èlg et la Chimie oder SKY H1 & Mika Oki. Warum ist euch diese enge Einbindung so wichtig?
Das hat sich organisch entwickelt. Es geht nicht um einen lokalen oder nationalen Patriotismus. Vielmehr ergibt es sich daraus, dass Belgien so klein ist und sich so gewisse Kontakte schneller aufbauen. Viele davon stammen schon aus der Anfangszeit von Meakusma. SKY H1 zum Beispiel kam schon vor fast 15 Jahren zu unseren Konzerten und Clubnächten. Über all die Jahre hat sich das dann nach und nach ausgeweitet. Man hat dann auch über all die Jahre teilweise eine ähnliche musikalische Entwicklung gemacht, aus der elektronischen Musik und oftmals dem Clubkontext kommend hin zu einer immer größeren Verschiebung zu anderen, teilweise experimentelleren Musikrichtungen. Nach und nach wurden die Kontakte dann immer persönlicher und das eine führte zum anderen. Èlg beispielsweise teilt sich ein Studio mit Sagat und David Maurissen, der lange beim Label Vlek mitgewirkt hat, mit denen wir schon sehr lange Kontakt haben. Die regionale und nationale Einbindung hat dann auch wieder damit zu tun, dass man einfach Lust hat, in der eigenen Lebenswelt spannende Dinge geschehen zu sehen. Da befruchtet sich zwischen den verschiedenen Künstler:innen einiges gegenseitig, aber auch zwischen den verschiedenen Regionen des Landes. Belgien hat ja durch die drei Sprachen innerhalb des Landes gewisse Grenzen: Man konsumiert andere Medien, hat teilweise unterschiedliche kulturelle Referenzen. Bei der Musik, insbesondere auch in unserem Bereich, lösen sich diese Grenzen eher auf, und es entsteht ein verbindendes Element. Man muss aber auch dazu sagen, dass sich das über die Landesgrenzen hinaus ähnlich verhält. Die internationale Anbindung ist uns wichtig und ebenso organisch.
Das Line-up des Meakusma ist von ungewöhnlichen Entscheidungen geprägt: Ensembles aus der Neuen Musik treffen auf elektronische Musik, des Nachts räumt Shed den Dancefloor auf. Wie passt das alles zusammen?
Für uns ergibt das Sinn. Teilweise hat sich das aus der Entwicklung des persönlichen Musikgeschmacks ergeben, es gibt aber auch den Trend, dass sich experimentelle und elektronische Musik zumindest in einigen Bereichen vermehrt vermischen und annähern. Eigentlich war das bei uns schon von Anfang an der Fall. Bei der ersten Meakusma-Veranstaltung trafen Club- und Hörmusik, aber auch Performance aus dem Tanzbereich und den visuellen Künsten aufeinander. Damals hatten wir beispielsweise Andrew Pekler eingeladen und am gleichen Abend spielten DJs Clubmusik. Mit dem Festival eröffnete sich die Möglichkeit, das auf die Spitze zu treiben. Zu gewissen Uhrzeiten und an gewissen Orten macht jeweils unterschiedliche Musik Sinn. Das erlaubt uns, sehr verschiedene Genres nebeneinander zu stellen und ermöglicht es, Grenzen radikal zu ignorieren, Kontraste zu provozieren. Wir möchten da gerne Diversität beim Wort nehmen und Dingen gleichwertig viel Raum und Wichtigkeit einräumen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Uns ist wichtig, dass Raum für Überraschungen und Risiko vorhanden ist. Es gibt zwar keine Garantie, dass das immer funktioniert, aber es birgt ein größeres Potential. Am Ende des Tages suchen wir einfach noch immer den Kick, den man als Jugendliche:r bei elektronischer Musik gespürt hat. Eine Begeisterung, die Energie freisetzt. Und die verspüren wir meistens dann, wenn wir Musik hören, die sich für uns frisch und originell anhört – ganz egal, aus welchem Bereich. Wir haben das Glück, dass wir ein sehr aufgeschlossenes, aufmerksames und dankbares Publikum haben, das bei all dem mitgeht.
Im Jahr 2020 machte euch erst die Pandemie und im Folgejahr dann die Flutkatastrophe, die unter anderem eure Büroräume in Mitleidenschaft gezogen hat, einen Strich durch die Rechnung. Wie habt ihr es nach diesen Katastrophen überhaupt geschafft, euch wieder aufzurappeln?
Hinfallen und aufrappeln ist sowieso Teil des Projekts. Wir haben uns gar nicht die Frage gestellt, ob man nun weiter macht oder nicht. Es ging nur um das wie und was. Wir hatten auch das Glück, dass wir weiterhin gefördert wurden. Da sind wir der Kulturministerin sehr dankbar. Sie hat sich stark für den Kulturbereich eingesetzt, weil sie um dessen Wichtigkeit wusste. Da wir auf vielen Ebenen aktiv sind, hatten wir auch durchgehend Projekte laufen, die man umsetzen konnte. Das Magazin, das Label, Installationen, zwischendurch immer wieder mal Konzerte. Und wir haben viel Zeit in das Studio Néau investiert, ein lokales Gemeinschaftsradio, das im Januar 2022 nach zwei Jahren Vorbereitung endlich in Betrieb genommen werden konnte. Die lokale Verankerung, die Einbindung von unterschiedlichen Menschen jeden Alters und Hintergrunds und von Vereinigungen aus dem soziokulturellen Bereich, ist sehr wichtig. Musikalisch ist das weniger an Meakusma gebunden, auch wenn das auch seinen Platz dort hat. Das Studio befindet sich in einem umgebauten Schiffscontainer in einem Park in Zentrumsnähe. Im Grunde betreiben wir damit Jugend- und Sozialarbeit sowie Kulturvermittlung. Das Studio wird dieses Jahr übrigens auch Teil des Festivals sein. Wir sind sehr gespannt, wie sich das Festival anfühlen wird, denn die zwei Jahre haben doch ihre Spuren hinterlassen, auch bei uns.
Die regionale Infrastruktur Eupens wurde durch die Flutkatastrophe schwer beschädigt. Wie geht es der Stadt mittlerweile?
Die Schäden sind noch immer sichtbar, und die Stadt wird wohl noch Jahre brauchen, um sich ganz zu erholen. Die Angst, dass es erneut zu Hochwassern kommt, bleibt den Menschen im Hinterkopf, das spürt und hört man immer wieder in Gesprächen. Aber auch bei einem selber. Für uns hat es auch bis heute Nachwirkungen, da unser Büro seitdem nicht mehr zugänglich ist und wir auch noch keinen neuen Ort haben. Das zieht sich leider schon lange hin und wir hoffen auf eine baldige Lösung. Wir machen viel Home Office, was natürlich gerade in der Vorbereitungszeit des Festivals schwierig ist. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die Flutkatastrophe die ohnehin schon vorhandene Unsicherheit noch vergrößert hat. Dann kommt der Krieg in Ukraine noch hinzu, die Klimakrise, wirtschaftliche Unsicherheiten und so weiter. Das alles hat ja großen Einfluss auf die Menschen, das merkt man auf vielen Ebenen ganz stark. Wir haben den Eindruck, dass sich deshalb viele in Zerstreuung und Konsum flüchten.
Meakusma fungiert auch als Label, zuletzt erschienen Alben von Jeremy Young und Joachim Nordwalls Projekt The Idealist bei euch, der auch auftreten wird. Wie greift beides ineinander?
Beides befruchtet sich ständig gegenseitig. Durch die Labelarbeit kommen wir immer wieder mit frischer neuer Musik in Kontakt. Manchmal erhalten wir beispielsweise Demos von Leuten, die vielleicht nicht für das Label passen, aber dafür gut beim Festival eingebunden werden können. Umgekehrt ist es auch möglich, dass Künstler:innen vom Festival später beim Label veröffentlichen. Das war zum Beispiel beim Konzert von Charlemagne Palestine der Fall, das auf dem Label veröffentlicht wurde. Oder auch die Platte von Don’t DJ und nwaq, die vor dem Festival eine Residenz in Eupen hatten und live beim Festival gespielt haben, woraus ihre gemeinsame Platte entstanden ist.
Meakusma 2022
1.-4. September, Eupen
U.a. mit Anadol, Anthony Naples, Buttechno, Delphine Dora, Èlg et la Chimie, James K, Maurice Louca, Nosedrip, Ossia, Re:ni, Shed pres. The Higher, SKY H1 & Mika Oki, The Idealist, Viola Klein, YL Hooi und vielen anderen.