„ Die Kopfbilder waren sofort da“Interview: Michel Niknafs, Macher der neuen Location „Nåpoleon Komplex“
30.5.2022 • Kultur – Interview: Matti HummelsiepKulturelle Zwischennutzung? Immer heikel. Beim Nåpoleon Komplex setzen die Macher:innen auf eine andere, auf lange Frist angelegte Methode. Ein Zukunftsmodell?
Der Bereich zwischen der Berliner Stralauer Allee und den Bahntrassen weiter nördlich Richtung RAW-Gelände ist gewissermaßen Niemandsland – der blinde Fleck Friedrichshains. Doch es tut sich etwas, schon seit Jahren. Es ist nur niemandem aufgefallen, Corona „sei Dank“. Bereits seit 2019 schält sich an der Modernsohnstraße der Nåpoleon Komplex aus alten Wartungshallen und Baracken heraus. Etablierte Formate wie die Engtanz-Party fanden hier bereits statt, Peggy Gou feierte hier 2021 ihre Release-Party. Raves, Märkte, die immersive Ausstellung Poetic AI, Ende August 2022 steht das African Book Festival an. Der Kopf hinter der neuen Location ist Michel Niknafs, der einst aus der damaligen Blumenbar das Prince Charles mitbegründete – mit gerade mal Anfang 20. 2018 stieg der Veranstaltungskaufmann aus, gründete die Eventagentur Lå Boom und ist mit dem Nåpoleon Komplex nun allein für eine Kulturplattform verantwortlich. Doch Kunst und Kultur geht nicht kostenlos, weiß Niknafs. Es ist ein Balanceakt zwischen profitablem Eventmanagement und freier Kulturarbeit – und dazu steht er auch.
Ein Gespräch über ein altes Bahngelände mitten in der Bauboomstadt Berlin, wieso der Ort ausgerechnet nach einem alten Kriegsherrn benannt ist und inwiefern mehr Geld auch mehr kulturelle Leistung bringen kann.
Euer Konzept bewegt sich zwischen Club, Off Gallery, Kunsthandwerk, Biergarten und einiges mehr. Hat das Model Club ausgedient?
Clubs haben auf jeden Fall ihre Berechtigung. Ich glaube aber auch, dass die Generation Z sehr viel offener gegenüber Kunst ist und ihr einen großen Stellenwert gibt. Außerdem wollen diese Creators, wenn du sie so nennen möchtest, selbst mitgestalten. Der Club als solcher ist auch ein sozialisierter Ort, an dem man sich auf gemeinsame Interessen geeinigt hat. Und wird wahrscheinlich nicht mehr nur der Musik vorbehalten sein, sondern auch Bühne für die Bildende Kunst, Installation und Performance sein. Die 20er-Jahre kehren ja immer mehr zurück. Clubs werden wieder salonfähig, elitärer im positiven Sinne, kreativer. Die Menschen wollen sich an diesen Orten nicht nur austauschen, sondern auch etwas erschaffen und gleichzeitig zeigen.
Manche denken, dass nur nichtkommerzielle Kunst und deren Events auch wertig sind, aber das ist doch Schwachsinn.
Auf der anderen Seite veranstaltest du Konzerte und Events mit Unterstützung von Modemarken und großen Firmen. Ich kann mir denken, was die Club- und Kunstszene davon hält.
Natürlich haben wir auch Events mit großen Firmen. So können wir aber wiederum andere Veranstaltungen finanzieren, wie zum Beispiel die Tape Art Convention oder das African Book Festival, die dafür gar nicht die finanziellen Mittel hätten. Solchen Partner:innen haben wir schon vor anderthalb Jahren zugesagt – und ziehen solche Events trotz Anfragen von Firmen in diesem Zeitraum bewusst vor und durch. Dabei lassen wir viel Geld liegen. Manche denken, dass nur nichtkommerzielle Kunst und deren Events auch wertig sind, aber das ist doch Schwachsinn. Du kannst durch Marken, die ein Projekt vielleicht sogar nur indirekt mitfördern, eine viel größere kreative Leistung auf die Beine stellen und einem Künstler auch nachhaltig eine größere Plattform bieten. Das alles ist natürlich ein Drahtseilakt. Wir wollen weder, dass ein Act durch den Kakao gezogen wird, noch dass sich der Sponsor nicht respektiert fühlt. Wir haben Sponsoren in den letzten Jahren gewissermaßen dazu erzogen, dass man ihr Logo nicht einfach in die Mitte der Ausstellung platzieren kann. Das geht subtiler. Dafür braucht es ein gewisses Gefühl. Viele bekommen das einfach nicht hin.
Wie war dein Eindruck, als du das Gelände zum ersten Mal betreten hast?
Es war ein grauer Tag, und eigentlich fehlte nur noch so ein Strohballen, der über das Gelände wehte. Die Deutsche Bahn war damals noch hier und die Mitarbeitenden hatten sich gewundert, was denn jetzt diese Künstler:innen hier suchen. Ich stand im vorderen Hallenteil, der ja unser großer Veranstaltungsraum ist, auf der Empore und sah diese Y-förmigen Dachträger. Das sah für mich schon sehr nach Warehouse Party aus. Bei den Garagen wusste ich: Da muss der Floor hin, hier die sanitären Anlagen. Die Kopfbilder waren sofort da und so ist es glücklicherweise auch geworden. Dann kam noch der Biergarten St. Helenå dazu – benannt nach Napoleons Exil. Das war zu Coronazeiten quasi unser Exil und hat uns finanziell den Arsch gerettet. Wir hatten während der Pandemie viele Ideen gesammelt. Eine gute Portion Größenwahn war sicher auch mit dabei.
Nåpoleon Komplex: Warum?
Wir waren fertig mit den Umbauten, die ersten Partys fanden statt, dann kam Corona. Irgendwie passte der Name „Neuzeit Ost“, so wollte ich das Gesamtprojekt eigentlich nennen, überhaupt nicht mehr. Letztes Jahr habe ich meinem Team gesagt, dass wir neu starten müssen, sonst könne das Projekt nicht weiterlaufen. Wir haben überlegt, wie wir trotz Pandemie für eine kurze Zeitspanne Menschen zusammenbringen können. Clubs, Konzerte und andere Corporate Events gingen natürlich nicht. Im Herbst 2020 haben wir die „Nåpoleon Akademie“ gestartet. Über die Sozialen Medien haben wir nach Künstlerinnen und Künstlern gesucht, die unsere große Halle für ein paar Monate kostenfrei belegen wollen: gesagt – getan. Das erste Bild, dass wir aufgehängt haben, war zufälligerweise von der Mutter meines Geschäftspartners gemalt worden – ein großformatiges Portrait von Napoleon Bonaparte. Dann kamen die ersten Kreativen in die große Halle, machten ihre Kunst. So entstanden die ersten Netzwerke. Es gab ja sonst nicht viel zu tun. Irgendwie kamen wir dann darauf, dass wir jetzt in den Krieg für die Kunst ziehen und der Abriss und das Ende dazugehören würden.
Wir haben das Projekt nach einem weißen, alten Kriegsherrn benannt haben. Das ist genau meine Punk-Attitude.
Der Begriff bezeichnet die Vermutung, dass kleine Männer, Napoleon war ja auch einer, durch ihr Verhalten und Status ihre geringe Körpergröße zu kompensieren versuchen. Wie passt das zu einem Clubnamen?
Eigentlich war das Problem ja noch viel größer, weil wir das Projekt nach einem weißen, alten Kriegsherrn benannt haben. Das ist aber genau meine Punk-Attitude. So war das beim Prince Charles auch. Für mich als Berliner war dieses Image vom Alteingesessenen, dem Royalen, der ideale Gegensatz zu Berlin. Wir haben diesen Gegensatz quasi geköpft, wenn du so willst. Wenn du an der Bushalte einen unter 30-jährigen nach Prince Charles fragst, sagt der vielleicht, dass das ein Club in Kreuzberg ist. Und wenn du irgendwann die Leute nach Napoleon fragst, hoffe ich, dass die Leute dann unseren Ort im Kopf haben und durch unsere Arbeit dieser alte weiße Mann sozusagen entthront wurde. Schlimmer geht’s für ihn ja gar nicht. Lasst uns die Dinge neu übermalen!