Leseliste 07. Oktober 2018 – andere Medien, andere ThemenChina-Hack, Bullshit, ostdeutsche Jugend in den Neunzigern und die Stadt über der Stadt

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Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich vier Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.

Chinas großer Hack

Seit dem 04. Oktober hält eine Bloomberg-Story die Tech-Welt in Atem. Man habe herausgefunden, dass um die 30 Tech-Firmen in den USA mit Hardware, in diesem Falle Chips der Firma Supermicro, beliefert wurden, auf deren Platine sich ein winziges Bauteil befand, das dort eigentlich nicht hingehört. Dieses kaum sichtbare Bauteil habe Hackern eine Art Backdoor mit vollumfänglichem Zugang offengehalten. Dass dafür der Staat des Zulieferers, also China, verantwortlich ist, steht dabei fast schon außer Frage. Apple und Amazon haben die Vorwürfe in entsprechenden und durchaus fundiert anmutenden Pressemeldungen als unwahr deklariert. Was wirklich passiert ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Klar ist jedoch: Wenn Bloomberg richtig liegt, handelt es sich um einen der größten Spionage-Vorfälle der Geschichte.

„‚It’s untrue that AWS knew about a supply chain compromise, an issue with malicious chips, or hardware modifications when acquiring Elemental,‘ Amazon wrote. ‚On this we can be very clear: Apple has never found malicious chips, ‘hardware manipulations’ or vulnerabilities purposely planted in any server,’ Apple wrote. ‚We remain unaware of any such investigation,‘ wrote a spokesman for Supermicro, Perry Hayes.“

The Big Hack: How China Used a Tiny Chip to Infiltrate U.S. Companies
Offizielles Statement von Apple
Offizielles Statement von Amazon

Bullshit-Berufe

Fünf Jahre alt ist dieser Essay, an Frische verloren hat er nicht, im Gegenteil: „On the Phenomenon of Bullshit Jobs: A Work Rant“ von David Graeber ist Ausgangspunkt eines kürzlich erschienenen Buchs (wird gerade gelesen und bald ebenfalls vorgestellt). These: Arbeit ist Bullshit, wenn sie keinen Sinn macht. Von der selbst diejenigen, die sie ausführen, finden, dass sie völlig überflüssig ist. Und von dieser Arbeit gibt es jede Menge – irrer Weise in einer Gesellschaft und Zeit, die eigentlich weniger arbeiten und folglich den Bullshit abschaffen könnte. Wegrationalisiert werden nicht die unnützen, sondern die nützlichen Jobs. Handelt es sich hierbei um ein besonders glitischiges Sich-Winden der Schlange namens Kapitalismus? Sieht ganz so aus.

It's as if someone were out there making up pointless jobs just for the sake of keeping us all working. And here, precisely, lies the mystery. In capitalism, this is precisely what is not supposed to happen.

On the Phenomenon of Bullshit Jobs: A Work Rant

ostdeutschland brandenburg

Irgendwo in Brandenburg. Foto: Susann Massute

Ostdeutsche Jugend in der Nachwendezeit

Daniel Schulz schildert in „Wir waren wie Brüder“ seine Jugend in den Neunzigern – in Ostdeutschland. Zum Tag der deutschen Wiedervereinigung wurde wieder viel über die ehemalige DDR geschrieben. Sicherlich zu Recht erzählen viele Menschen, die den Zusammenbruch der DDR nicht nur positiv empfanden, ihre Biografien. Aber wie erging es denen, die beim Mauerfall noch Kinder waren und die sich, während ihre Eltern versuchten im neuen System zu überleben, oft sich selbst überlassen waren? Schulz’ Erinnerungen zeigen ein Ostdeutschland, wie es viele erlebt und mittlerweile verdrängt haben: Prügelnde Nazibanden, die durch die Dörfer ziehen und sich willkürlich ihre Opfer auswählen. Und wie einige derer aber auch enge Freunde sein konnten.

„Die Erwachsenen konnten sich nicht vorstellen, dass die lieben kleinen Ricardos, Michaels und Kais von früher zu Kampfmaschinen mutiert sein sollten. Ich hätte es ihnen auch nicht erklären können. Also beschworen sie eine Parallelwelt herauf. Es gibt kein Problem mit Rechtsextremismus, sagten die Bürgermeister, wenn wieder mal einer verpocht wurde oder starb. Ich fragte mich, wer verrückt ist, die oder ich?“

Wir waren wie Brüder

Brücken bauen

Es war eine utopische Antwort auf eine falsche Gegenwarts-Analyse. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Teile Londons nicht nur wieder aufgebaut, sondern auf fit gemacht werden für die Zukunft: mehr Menschen, mehr Business und vor allem mehr Individualverkehr. Architekten träumten von einer effizienten wie futuristischen Neugestaltung der City. Raus mit dem Mief, rein mit den Wolkenkratzern, die die neue Gesellschaftsordnung widerspiegelten. Und die Fußgänger? Schon vor dem Krieg starben jährlich mehrere tausend Menschen in Verkehrsunfällen. Die Lösung schienen die „Pedways“, eine neue, zweite Ebene für die ohne Auto. Eine „Etage“ über der Straße sollte man sich frei und gefahrlos bewegen können. Faktisch – so der Traum der Planer – würde so das gesamte städtische Leben nach oben verlegt werden. Eine alte Idee, die schon in den 1920er-Jahren im Bauhaus diskutiert und entworfen worden war. Natürlich kam alles anders. Reste des Großprojekts lassen sich jedoch noch ausfindig machen, nicht nur rund um das Barbican Centre, diesem Paradebeispiel des Beton-Brutalismus. Oliver Wainwright unternimmt einen Spaziergang durch London. Denn das gescheiterte Konzept von damals ist aktueller denn je.

„Development didn’t proceed quite as quickly as had been imagined, while the fire brigade struggled to find equipment suitable for the walkways and the police were unsure of their legal powers on these new-fangled floating arteries.“

Walkways in the sky: the return of London's forgotten 'pedways'

Wochenend-WalkmanDiesmal mit Steffi & Martyn, Adrianne Lenker und Dominique Lawalrée

„Das Rauschen muss von innen kommen“Iron Curtis im Interview