Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
##60 Jahre Soho, London
Hinten das Rotlicht, vorne die notdürftig geputzte Berwick Street, mitten drin in Soho. Wer in London unterwegs ist, dreht früher oder später auch hier ein paar Runden, durch diesen wildwüchsigen Stadtteil zwischen Bars, Medienunternehmen, Wochenmärkten, Plattenläden und Sex. Soho ist eines dieser Viertel der britischen Hauptstadt, das das Chaos zum obersten Prinzip erhebt, wo das alte und das neue London traditionell aufeinandertreffen. Natürlich wird auch hier auch Hochtouren gentrifiziert, wie überall in der Metropole. Im Observer gibt es auf epischer Länge ganz subjektive Geschichten zu Soho zu lesen. Geordnet nach Jahrzehnten, mit den unterschiedlichsten Anknüpfungspunkten, bildet sich so ein umfang- und abwechslungsreiches Bild dieser sleazy city.
„Soho has always been a village and historically it’s been a village full of low-lifers and high-lifers.“
Der Nirvana-Moment
Wie oft wurde Nirvanas Geschichte seit dem 08. April 1994 schon erzählt? Oft genug, könnte man meinen. Doch auch über zwanzig Jahre später wimmelt es nach wie vor von ungesagten Details und Erlebnissen rund um Kurt Cobains Band. Nick Soulsby hat nun eine Oral History verfasst: mit unzähligen O-Tönen von Leuten und Bands aus Nirvanas damaligem Dunstkreis. Einen großen Ausschnitt gibt's bei medium.
„After an hour or so, everyone started to leave, berating us for bullshitting them. We knew better. Kurt and Dave showed up when there were about 30 people left. We locked the doors, they played six songs, and then we and they and a bunch of our good friends all sat about until God knows when drinking and shooting the breeze.“
##Schneidernder Überlebender
Martin Greenfield hieß früher anders, seinen alten Namen hört er nicht gern. Er hört dann gleich wieder die Schreie der Insassen, riecht den Gestank des KZ Auschwitz. Seine Familie wurde ermordet, er ging in die USA, wurde Star-Schneider und kleidet Präsidenten ein. Ein Mann, der viel zu erzählen hat, das tut er Journalisten gegenüber aber nur selten. Claas Relotius hat ihn für das SZ-Magazin getroffen. Über Mengele, die Clintons und eine Prügelei mit Marlon Brando.
Wir sind dann zurück nach Buchenwald gefahren, in diesem teuren Mercedes, mit zwei arischen Schönheiten auf dem Rücksitz. Auf dem Schild am Lagerzaun stand der Schriftzug »Jedem das Seine«. Manchmal hat Gott einen sehr jüdischen Sinn für Humor.
##Finster futtern
„Eventgastronomie“, das ist die Gastronomie, in der es nicht wirklich ums Essen geht, oder diese zumindest in ein Setting eingebettet ist, das es in den Hintergrund stellt. Es gibt zirkus- und varietéartige Formate wie „Palazzo“ oder „Pomp, Duck & Circumstances“, es gibt Restaurants in Moskau, in denen Bikinischönheiten mit Harpune im Bassin unter den Tischen den Fisch jagen, den der Oligarch verspeisen will. Und es gibt Dunkelrestaurants. Essen im Finstern. Der „Kiezneurotiker“ Carsten Titlbach hat schon zum dritten Mal einen Gutschein für ein solches Restaurant geschenkt bekommen und schreibt, wie es ist, wenn man nicht mit allen Sinnen genießen kann.
„Was ich gegessen habe? Ich habe keine Ahnung.“