Viel Sitzfleisch für wenig StarsSo wird die Berlinale 2016

Berlinale

Filmstill aus: A Lullabay to the sorrowful Mystery Foto: Bradley Liew

Zu viele Filme, zu wenig Zeit. Tim Schenkl verschafft sich und euch einen ersten Überblick über das diesjährige Programm der Berlinale und sichtet Highlights aus Wettbewerb, Forum und Panorama.

Am Donnerstag eröffnet der neue Film der Coen-Brothers Hail, Caesar! die 66. Berlinale. Die Hollywood-Satire mit George Clooney, Josh Brolin und Scarlett Johansson läuft bereits seit einigen Tagen in den USA und startet daher in Berlin außer Konkurrenz. Kein Wunder, sagen jetzt die Kritiker von Festival-Direktor Dieter Kosslick, die ganz großen internationalen Autorenfilmer konnte man ja noch nie für den Berlinale-Wettbewerb gewinnen, denn die zeigen ihre Filme lieber bei den Festivals von Cannes oder Venedig. Und tatsächlich ist die Abwesenheit wirklich großer Namen 2016 besonders augenscheinlich. Konnte man im letzten Jahr mit Werner Herzog, Peter Greenaway, und Terrence Malick zumindest drei Filmemacher von Weltruf präsentieren, so drängt sich aktuell die Frage auf, ob die Mitglieder der von Meryl Streep geleiteten Jury jemals vorher die Namen der diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer Mohamed Ben Attia, Gianfranco Rosi und Mani Haghighi gehört haben.

l'avenir

Filmstill aus: L'avenir

Wettbewerb

Auch der philippinische Filmemacher Lav Diaz ist nur Insidern bekannt. Mit der Einladung seines Films A Lullabay to the sorrowful Mystery ist dem Team der Berlinale dennoch ein kleiner Coup gelungen. Mit seinem letzten Film From what is before gewann Diaz 2014 den Goldenen Leoparden beim Festival von Lorcano, und nicht wenige Cinephile halten den Regisseur für einen der wichtigsten Filmemacher des Gegenwartskinos. Sein neuester Film ist erneut eine Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte seiner Heimat und erzählt die Geschichte des philippinischen Revolutionärs Andrés Bonifacio. Zu empfehlen ist der Film allerdings ausschließlich Das-Filter-Lesern mit besonders gutem Sitzfleisch, denn Lav Diaz ist bekannt für seine ultralangen Filme und A Lullabay to the sorrowful Mystery dauert ganze 482 Minuten. Ja, das sind mehr als acht Stunden.

Deutlich weniger anstrengend dürfte ein Besuch von Mia Hansen-Løves neuem Film L’avenir werden. Ihr Daft-Punk-Film Eden war nicht unbedingt jedermanns Sache, aber mit Le père de mes enfants (2011) hat die Ehefrau von Olivier Assayas durchaus schon bewiesen, was für eine tolle Regisseurin in ihr steckt. In L’avenir spielt Isabelle Huppert eine Philosophielehrerin, die in eine Lebenskrise schlittert. Das könnte spannend werden.
Spannend fand ich auch Jeff Nichols letzten Film Mud (2012), der von dem 14-jährigen Romantiker Ellis (Tye Sheridan) erzählt, der gemeinsam mit seinem Kumpel auf einer kleinen Insel im Mississippi-Gebiet auf den flüchtigen Mud (Matthew McConaughey) trifft. Nichols neustes Werk heißt Midnight Special und scheint ein Road-Movie über einen kleinen Jungen mit übernatürlichen Fähigkeiten zu sein. Mit dabei ist, wie immer bei Jeff Nichols, der wunderbare Michael Shannon, außerdem sind auch noch Kirsten Dunst, Joel Edgerton, Sam Shepard und der Mann der Stunde Adam Driver am Start.

Forum

Hier interessieren mich dieses Jahr besonders die Dokumentarfilme: Philip Scheffners letzten Film Revision über einen Mordfall an der deutsch-polnischen Grenze sollte jeder auch nur halbwegs an den aktuellen politischen Geschehnissen in Deutschland interessierte Mensch unbedingt gesehen haben. Mit Havarie – über ein Flüchtlingsboot – und And-Ek Ghes… – einem gemeinsamen Projekt mit einem der Protagonisten aus Revision – ist Scheffner in diesem Jahr gleich zweimal im Forum vertreten. Mit Superlativen sollte man grundsätzlich vorsichtig sein, aber Philip Scheffner ist meines Erachtens nach momentan der wichtigste und beste Filmemacher Deutschlands.

Auch Rudolf Thomes zählt zu den wenigen wirklich relevanten Filmemachern der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Berliner Regisseurin Serpil Turhan hat dem Macher von großartigen Werken wie Berlin Chamissoplatz, System ohne Schatten und Ins Blaue ein filmisches Porträt mit dem Titel Rudolf Thome – Überall Blumen gewidmet.
Die größte Qualität der Filme des israelischen Dokumentarfilmregisseurs Avi Mograbi ist wahrscheinlich, dass man lange und viel über sie streiten kann. Mograbis neuester Film Bein gderot dokumentiert einen von Mograbi selbst initiierten Theaterworkshop in einem israelischen Internierungslager nahe der ägyptischen Grenze. Sollte man sich unbedingt anschauen!

PS

Philip Scheffner Foto: Khaled Abdulwahed

Panorama

Jedes Jahr gibt es hier internationale Autorenfilme in Welt- oder Europapremieren zu sehen. Ich kann mich, um ehrlich zu sein, nicht mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal einen Film im Panorama gesehen habe, der mir wirklich gefallen hat. Viel mehr hatte ich häufig das Gefühl, dass hier zumeist einfach die teuersten bzw. erfolgreichsten Filme aus anderen Nationen präsentiert werden. Ein definitiv ausgefeilteres kuratorisches Konzept steckt hinter der in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindenden Woche der Kritik. Unabhängig von der Berlinale zeigen mehrere Filmkritiker in den Hackeschen Höfen aktuelle internationale Kinofilme, die sie für politisch relevant und/oder ästhetisch herausfordernd halten, und damit genau solche Filme, die man im Programm des Panoramas so arg vermisst. In diesem Jahr laufen in der Woche der Kritik unter anderem der Film Despite the Night des französischen Regisseurs Philippe Grandrieux, ein neues Werk mit dem Titel Cosmos von Possession-Regisseur Andrzej Żuławski sowie ein Kurzfilm von Apichatpong Weerasethakul.

Die Berlinale findet vom 11. bis zum 21. Februar statt.

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