Monster BRDBerlinale 2019: „Der goldene Handschuh“ von Fatih Akin

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Alle Fotos: © Gordon Timpen / 2018 bombero int./Warner Bros. Ent.

Der Wettbewerbsbeitrag „Der goldene Handschuh“ von Fatih Akin spaltet die Kritiker. Tim Schenkl gefällt an dem Film besonders, wie der Hamburger Regisseur unangepasstes Außenseitertum abfeiert.

Von Charlotte Gainsbourg stammt die Aussage, ihr Vater Serge habe aus Rache an seinem eigenen Gesicht die schönsten Französinnen seiner Zeit verführt. Diese Form der Vergeltung gegen die eigene Visage hätte Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler), der Protagonist von Fatih Akins neuem Film Der Goldene Handschuh, vermutlich auch vorgezogen, doch sein Antlitz ist durch eine platte Boxernase, verfaulte Zähne und tiefe Aknenarben so stark entstellt, dass er in den frühen Morgenstunden, der Zeit des sogenannten Restefickens, fast immer allein nach Hause geht. Wenn es ihm dann aber doch gelingt, eine „Dame“ mit dem Versprechen, dort werde jede Menge Alkohol auf sie warten, in seine verranzte Dachgeschosswohnung zu locken, dann kann schnell ihr letztes Stündlein schlagen, denn Honkas Geilheit schlägt unter dem Einfluss von Alkohol nicht selten in rachsüchtige Mordlust um.

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Der Goldene Handschuh basiert auf dem gleichnamigen Buch von Heinz Strunk und ist nach Tschick (2016) Fatih Akins zweite Literaturverfilmung in nur wenigen Jahren. Strunks Roman fußt auf eingehenden Recherchen und erzählt den Fall des Hamburger Serienmörders, der in den 1970er-Jahren mindesten vier Frauen tötete. Seine Opfer lernte Honka auf dem Hamburger Berg kennen, wo er Stammgast in der auch heute noch existierenden Spelunke „Zum Goldenen Handschuh“ war.
Zur Handlung von Der goldene Handschuh ist damit fast schon alles gesagt. Eventuell sollte man noch erwähnen, dass Akin seinem Film einen erzählerischen Rahmen verpasst, in dem Willi (Tristan Göbel), ein Blankeneser „Bonzenkind“, versucht, seine schöne Schulkameradin Petra (Greta Sophie Schmidt), von der auch Honka fasziniert ist, durch einen gemeinsamen Besuch im „Handschuh“ zu beeindrucken, was für den Jungen jedoch in einem feuchten Alptraum endet.
Außerdem gab es in Honkas Biografie eine Episode, in der dieser als Nachtwächter in einem Hamburger Großunternehmen arbeitete, für einige Zeit dem Alkohol und seiner Mordlust abschwor, und stattdessen versuchte, ein „normales“ Leben zu leben. Das war es dann aber auch schon mit der Normalität in diesem Film, denn normal ist hier sonst gar nichts.

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Body-Horror

Fatih Akin ist angetreten, mit Der Goldene Handschuh seinen ersten Horrorfilm abzuliefern. Nach nervenaufreibenden Spannungsmomenten sucht man jedoch während der 110 Minuten fast vergeblich. Der Goldene Handschuh ist eher dem Body-Horror-Genre zuzuordnen. Jonas Dassler, im wirklichen Leben kein häßlicher Mann, lässt den Serienmörder mit Hilfe des Maskenbildner-Teams auch äußerlich zum Monster werden. In gebückter Haltung, ächzend und stöhnend, sucht dieses die Leinwand heim. In seinem präferierten Jagdgebiet, dem „Goldenen Handschuh“, trifft Honka fast ausschließlich auf Menschen, die äußerlich ein ähnliches Schicksal wie er teilen. Schön ist etwas anderes. Dazu scheinen fettige Haare, schmutzige Fingernägel und diverse Hautkrankheiten in dem Etablissement zur Standardausstattung der meisten Gäste zu gehören. Und auch die exzessiven Versuche, sich die anderen so wie sich selbst schön zu trinken, scheitern zumeist kläglich. Alles ist und bleibt hier vor allem eins: fertig!

Der Hamburger Fatih Akin zeichnet in Der goldene Handschuh ein Bild der BRD der 1970er-Jahre, welches nicht versiffter und abgewrackter sein könnte. Den Serienmörder Fritz Honka betrachtet der Regisseur mit einer gewissen Faszination, und trotzdem bleibt dieser immer Monster durch und durch. Seine Bluttaten werden schonungslos dargestellt und bis ins Detail durchexerziert, sodass es beim Zuschauen und auch beim Zuhören – der Film verfügt über ein sehr aufwändig gestaltete Tonspur – teilweise nur schwer auszuhalten ist.

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Nordsee ist Mordsee

Auch wenn Der goldene Handschuh die Geschichte von Fritz Honka erzählt, sind die wahren Helden des Films die Stammgäste der Hamburger Kiezkneipe. Sie tragen Spitznamen wie Doornkaat-Max, Cola-Rum-Waltraud und Nasen-Ernie. Noch mehr als eine Verbeugung vor den Großmeistern des Body-Horrors wie David Cronenberg und George A. Romero ist Der goldene Handschuh nämlich eine Hommage an Hamburger Kultfilme wie Rocker (R: Klaus Lemke, 1972), Rollo Aller! (R: Henna Peschel, 1990) und Nordsee ist Mordsee (R: Hark Bohm, 1976), in denen rebellisches Außenseitertum eben auch immer mit einer guten Portion ungekünstelter Fertigkeit Hand in Hand geht. Denn auch wenn das Leben es mit den Protagonisten nicht immer gut meint, so haben sie doch stets einen Spruch auf den Lippen – wenn vielleicht auch nicht unbedingt einen guten, aber die schlechten sind ja meistens sowieso viel besser.

Der goldene Handschuh
BRD/FRA 2019
Regie und Drehbuch: Fatih Akin
Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Hark Bohm u.a.

Deutscher Kinostart: 21.2.2019

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