Let’s Talk About AmericaFilmkritik: „Foxcatcher“

Tatum u Carrell

Channing Tatum und Steve Carrell. Alle Fotos Studiocanal.

Oscar-Buzz für Steve Carell: Der sonst eher für seine Komödienarbeit bekannte Schauspieler überzeugt in „Foxcatcher“ von Bennett Miller als Charakterdarsteller.

„Let’s talk about America“, mit diesen Worten wendet sich der amerikanische Ringer Mark Schultz (Channing Tatum) an eine Gruppe wenig interessierter Schulkinder. Obwohl der Profisportler über einen durchaus imposanten Körperbau verfügt und im wahrsten Sinne des Wortes vor Kraft kaum gehen kann, wird ihm von seinen Mitmenschen meist nur wenig Respekt entgegengebracht. Da hilft auch nicht die um seinen Hals baumelnde olympische Goldmedaille, die Mark wie einen Verweis auf die von ihm geleisteten Dienste für das Vaterland über seinem Anzug trägt. Nach seinem kurzen Vortrag kassiert er einen Scheck über klägliche zwanzig Dollar und kehrt zurück in seinen Alltag, der vornehmlich aus Training und den allein eingenommenen Mikrowellen-Mahlzeiten besteht.
Bennett Miller hat nach dem großartigen Moneyball (2012), der vom einer ungewöhnlichen Siegesserie des Baseballteams „Oakland Athletics“ erzählt, also wieder einen Film über eine Sportart gemacht, die zumindest in großen Teilen der Welt nur ein Nischendasein fristet. Doch für den eigentlichen Sport interessiert sich der Regisseur, der 1998 mit dem Dokumentarfilm The Cruise erstmals auf sich aufmerksam machte, auch diesmal nur eher am Rande. Denn eigentlich will auch er in erster Linie eins: über Amerika sprechen. Bennet Miller, der für Foxcatcher bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis für die beste Regie erhielt, gehört neben James Gray (We Own the Night, Two Lovers) und David O. Russel (Silver Linings Playbook, American Hustle) zu einer Generation von Filmemachern, die sich ohne das Werk von Francis Ford Coppola und besonders dessen Familien-Epos The Godfather kaum denken lässt. Von Coppola hat Miller nicht nur dessen Vorliebe für das Method-Acting übernommen, sondern auch gelernt, dass ein Film immer mehr erzählen muss als das, was als manifeste Spielhandlung auf der Leinwand zu sehen ist.

Steve Carrell

Steve Carell.

Genau wie Moneyball und davor Millers Spielfilmdebüt Capote (2006) basiert auch Foxcatcher wieder auf wahren Begebenheiten: Mark Schultz erhält im Jahre 1987 einen folgenreichen Anruf. Der millionenschwere Unternehmenserbe John du Pont (Steve Carell) lädt ihn zu einem Gespräch auf das Familienanwesen ein. Mark fliegt erster Klasse und wird, als er an der Foxcatcher Ranch angekommen ist, erst einmal warten gelassen. Irgendwann steht du Pont dann vor ihm, ein schmächtiges Kerlchen mit schlechten Zähnen und einer überdimensionierten Hakennase. Du Pont stellt sich als Patriot vor, neben seinem Land liebt er den Ringsport, kennt sich gut mit Vögeln aus und sammelt Briefmarken. Er schlägt Mark vor, gemeinsam mit seinem Bruder Dave (Mark Ruffalo), der ebenfalls Goldmedaillengewinner ist und am Anfang einer Trainerkarriere steht, auf die Ranch zu ziehen. Dort hätten die beiden optimale Möglichkeiten, sich auf die Weltmeisterschaft und die darauffolgenden Olympischen Spiele in Seoul vorzubereiten. Sein Gehalt kann sich Mark frei aussuchen. Er wählt den bescheidenen Betrag von 25.000 Dollar. Wieder zu Hause angekommen, überbringt Mark seinem Bruder die guten Nachrichten. Doch dieser ist nicht gewillt, seine Familie aus dem gewohnten Umfeld herauszureißen, und so zieht Mark alleine auf die Foxcatcher Ranch, wo er ein Chalet bezieht. Von einem Angestellten bekommt er zur Begrüßung eine Video mit der Familiengeschichte der du Ponts in die Hand gedrückt. Mit Schießpulver ist die Familie während des Sezessionskrieges zu Reichtum gekommen, nun gehört ihr ein riesiger Chemiekonzern. Das Vermögen vermehrt sich scheinbar wie von selbst, und so hat John du Ponts unnahbare Mutter Jean (Vanessa Redgrave) genug Zeit für die Pferdezucht, während ihr Sohn sich im Stile eines Renaissancefürsten eine Gruppe professioneller Ringer hält.

Channing Tatum

Channing Tatum.

Wie sehr sich die Lebensbedingungen von Pferden und Sportlern auf der Foxcatcher Ranch ähneln, unterstreichen Miller und sein Kameramann Greig Frasier in einer aus dem Haupthaus gefilmten aufsichtigen Einstellung, in der Mark auf den Grünflächen des Anwesens Laufübungen absolviert und dabei an ein tollendes Jungpferd erinnert. Doch Mark ist kein Mensch, der viele Fragen stellt. Er redet überhaupt sehr wenig. Zwischen ihm und du Pont entwickelt sich im Laufe des Films eine von Marks finanzieller Abhängigkeit dominierte Beziehung. John du Pont will Mentor, Trainer und Vaterfigur für seinen Schützling sein, doch für keine dieser Rollen besitzt der exzentrische und teilweise geradezu autistisch wirkende Unternehmerspross die nötigen Fähigkeiten. Er hat jedoch von seinen Vorfahren gelernt, dass man sich mit genügend Geld seine Geschichte auch selbst schreiben kann, und so lässt er seine Aktivitäten von einem eigenen Filmteam dokumentieren, deren einzige Aufgabe es ist, den künftigen Millionenerben in einem besonders positiven Licht darzustellen.

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Channing Tatum und Mark Ruffalo.

Beim Schreiben über Foxcatcher steht man vor der selben Problematik wie beim Sehen des Films: Es passiert auf der Handlungsebene einfach sehr wenig wirklich Spannendes. Bennet Miller erzählt die wahren Ereignisse auf der Foxcatcher Ranch vornehmlich als eine Anhäufung gescheiterter Sprechakte: Du Pont kann nicht mit seiner Mutter kommunizieren, seine Gespräche mit Mark und später auch Dave Schultz laufen immer wieder ins Leere, und irgendwann verstehen auch die beiden Brüder sich nicht mehr. Zurück bleibt Unverständnis. Zusätzlich versucht der Regisseur geradezu krampfhaft, das Gezeigte symbolisch aufzuladen. Besonders zu erwähnen sind dabei die vielen Trainings- und Kampfszenen und die damit verbundene innige männliche Körperlichkeit, durch die Miller immer wieder auf du Ponts vermutliche unterdrückte Homosexualität anspielt. Und auch die Darstellung des Verhältnisses von Mutter und Sohn droht häufig zu einem Einführungskurs in die Freudsche Psychoanalyse zu geraten. Selbst nicht verstehen und sich dabei unverstanden fühlen, dies muss zur Gewalt führen. Das ist es wohl, worauf Miller letztendlich hinaus will, und so muss man die dröhnenden USA-USA-Rufe am Ende des Films wohl auch eher als einen spöttischen Abgesang denn als patriotische Liebesbekundungen verstehen.

Foxcatcher
USA 2014
Regie: Bennett Miller
Drehbuch: E. Max Frye, Dan Futterman
Darsteller: Steve Carell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Vanessa Redgrave, Sienna Miller, Anthony Michael Hall
Kamera: Greig Fraiser
Musik: Rob Simonsen
Laufzeit: 134 min
ab dem 5.2.2015 im Kino

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