Der Trieb zum TötenDas Comeback von Keanu Reeves als mörderischer „John Wick“
12.12.2014 • Film – Text: Tim SchenklFrüher arbeiteten sie als Kampfchoreographen mit den größten Stars in Hollywood. Jetzt liefern Chad Stahelski und David Leitch mit „John Wick“ ihr Regie-Debüt ab.
In Jon Boormans Kriminalfilm-Klassiker Point Blank schießt der von Lee Marvin gespielte Berufskriminelle Walker die halbe amerikanische Westküste zusammen, um an die 93.000 Dollar zu kommen, die ihm von der Beute seines letzten Coups zustehen. Dabei wiederholt er mantra-artig den Satz: „I want my money“, als glaube er, dass er dadurch seine brutalen Handlungen in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen könne. Wem Walkers Vorgehen doch reichlich exzessiv erscheint und wer sich die Frage stellt, ob der Zweck in diesem Fall wirklich die Mittel heilige, der kennt noch nicht John Wick, den Helden aus dem gleichnamigen neuen Actionfilm des Regisseurs Chad Stahelski. Stahelski und sein Partner David Leitch, der hier offiziell als Produzent fungiert, machten sich in Hollywood als Kampfchoreographen einen Namen und inszenierten in dieser Funktion bereits für Filme wie The Bourne Legacy, The Expandables 3 und die Hunger Games-Reihe. Mit John Wick liefern die beiden nun ihr Regie-Debüt ab.
It’s a Dog Eat Dog World
John Wick (Keanu Reeves) hat unerwartet seine Frau Helen (Bridget Moynahan) verloren. Als Andenken an den geliebten Menschen bleibt ihm nur die Hündin Daisy, die Helen ihm verbunden mit der Aufforderung, niemals seine Fähigkeit zur Liebe zu verlieren, als ein letztes Zeichen ihrer Zuneigung geschenkt hatte. Gemeinsam mit dem Tier verbringt er nun einen spannungsarmen Alltag in einem modernen Glasbau, der eigentlich genug Platz für eine ganze Familie böte. Doch auch mit dieser trauten Zweisamkeit soll es bald vorbei sein: An einer Tankstelle trifft der Witwer auf Josef, den Sohn des mächtigen russischen Gangster-Bosses Viggo (Michael Nyqvist), gespielt von Alfie Allen, den Fans von Game of Thrones als Theon Greyjoy kennen. Josef hat es der 69er Mustang von John Wick angetan, und er bietet an, ihm diesen abzukaufen. Doch John hat kein Interesse daran, sich von dem Wagen zu trennen. Was Josef jedoch nicht abschreckt: In der Nacht dringen er und einige andere dunkle Gestalten in Johns Wohnung ein, schlagen ihn nieder, töten seinen Hund und düsen mit dem geklauten Auto davon.
Sie ahnen nicht, wen sie sich da gerade zum Feind gemacht haben. John Wick war nämlich nicht immer bloß treu sorgender Ehemann, sondern galt, bevor er aus Liebe dem Business den Rücken kehrte, als der kaltblütigste Auftragskiller der Stadt. Einer seiner wichtigsten Arbeitgeber war ausgerechnet Josefs Vater Viggo und dieser weiß daher auch nur zu genau, was für einen schlafenden Hund sein verzogener Sohn da geweckt hat. Aus diesem Grund heuert er Profikiller an, um Wick zu beseitigen, bevor dieser Rache nehmen kann. Doch der „Ex“-Killer ist nicht mehr zu stoppen. Nachdem er den ersten Trupp russischer Tunichtgute bereits in den eigenen vier Wänden erledigt hat, checkt er in das Hotel Continental ein und ist somit endgültig „back in the game“. Denn ein Ort wie dieser bietet einem Profikiller die benötigte Diskretion und Wick trifft an der Bar alte Kollegen und Weggefährten, für die derselbe berufliche Ehrenkodex gilt. Bezahlt wird mit einer eigenen Währung, und es gibt sogar einen Reinigungsservice, der auf Wunsch die blutigen Spuren eines erfolgreichen Arbeitstages für immer verschwinden lässt.
Mehr Triebtäter als Racheengel
Beim sonntäglichen Tatort wurden in letzter Zeit gerne mal die sich ansammelnden Toten gezählt. Freunde solcher Statistiken sollten an John Wick ihre helle Freude haben, denn in dem Film reiht sich eine Action-Sequenz inklusive Kugelhagel und Kampfsport-Exzess an die nächste. Der von Keanu Reeves gespielte Protagonist gleicht dabei mehr einem psychopathischen Triebtäter als einem trauernden Racheengel. Sein mörderischer Feldzug durch die New Yorker Unterwelt steht in keinem Verhältnis zu dem, was ihm der Sohn des Gangsterbosses angetan hat. Und so muss man letztlich zu dem Schluss kommen, dass er nicht aus Rache tötet, sondern weil er töten muss.
Den eigentlich obligatorischen „Love-Interest“ gibt es schon gar nicht. Das ist gerade das Tolle an dem Film.
Getriebene sind ganz offensichtlich auch die Macher von John Wick. Mit bemerkenswerter Konsequenz verzichten sie auf jegliche genretypischen Nebenhandlungen, die sonst gerne dazu genutzt werden, den Charakteren eine gewisse Tiefe zu verleihen. So wird die Freundschaft des Helden zu seinem Kollegen Marcus (Willem Dafoe) bestenfalls anerzählt und den eigentlich obligatorischen „Love-Interest“ gibt es schon gar nicht. Aber das ist gerade das Tolle an dem Film. Während viele andere Superhelden-Blockbuster krampfhaft versuchen, ihre Figuren zu mythischen Helden zu stilisieren, konzentrieren sich Stahelski und Leitch allein darauf, was sie am besten können: Action-Szenen zu choreographieren. Und das können sie verdammt gut! Dabei fehlt es ihnen nicht an der nötigen Selbstironie, und so kann es schon mal passieren, dass es in John Wick im dramatischsten Moment wie aus dem Nichts zu regnen beginnt.
Durch seine relativ langen Einstellungen und ruhigen Kamerabewegungen erinnert John Wick häufig mehr an Filme der Siebziger als an zeitgenössische Blockbuster, deren Dramatik meist durch viele Naheinstellungen und eine hohe Schnittfrequenz generiert wird. Die moderne digitale Cinemascope-Ästhetik lässt jedoch kein wirkliches Retro-Feeling aufkommen. Besonders Fans amerikanischer Serien kommen in John Wick auf ihre Kosten, denn viele der kleineren Rollen wurden mit vor allem aus dem TV bekannten Schauspielern besetzt: So kann man sich zum Beispiel über einen Gastauftritt von Ian McShane aus Deadwood und ein Wiedersehen mit Clarke Peters und Lance Reddick aus The Wire freuen. Chad Stahlelski und David Leitch legen mit ihrem ersten eigenen Film die Latte gleich ganz schön hoch, hunderteins Minuten gibt es in John Wick voll auf die Zwölf, mehr dann aber auch nicht. Und ganz nebenbei verhelfen sie dem schon arg in Vergessenheit geratenen Keanu Reeves zu einem gelungenen Comeback, das man ihm so eigentlich gar nicht mehr zugetraut hat.
John Wick
USA 2014
Regie: Chad Stahelski
Drehbuch: Derek Kolstad
Produzenten: David Leitch, Basil Iwanyk, Eva Longoria, Michael Witherill
Darsteller: Keanu Reeves, Michael Nyqvist, Alfie Allen, Willem Dafoe, Dean Winters, John Leguizamo, Clarke Peters, Ian McShane, Lance Reddick
Kamera: Jonathan Sela
Laufzeit: 101 min
ab dem 29.1.2014 im Kino