Filmtipp: Das Leben danachVom „Glück“ die Loveparade überlebt zu haben
28.9.2017 • Film – Benedikt BentlerEindringlich und nah erzählt „Das Leben danach“ die Geschichte einer jungen Frau, die das Unglück der Loveparade 2010 in Duisburg überlebt hat und seitdem scheitert, beim Versuch ein normales, selbstbestimmtes Leben zu führen. Einen bessere, deutsche TV-Produktion hat es lange nicht gegeben.
Loveparade 2010. Auf der Rampe zum Gelände und im dahin führenden Tunnel sterben 21 Menschen in einer Massenpanik, in einer Enge, die man mit gewissenhafter Vorbereitung hätte erahnen müssen. Im Dezember beginnt der Prozess gegen zehn Angeklagte. Derweil versuchen Überlebende mit der Erfahrung weiterzuleben. Manchen gelingt das besser, manchen gelingt das schlechter, anderen gelingt es gar nicht. Mindestens sechs der Überlebenden haben sich im Nachhinein das Leben selbst genommen, teilte der Selbsthilfeverein „LoPa 2010“ mit – Stand 2014.
Antonia Schneider, Protagonistin des Films und unglaublich überzeugend gespielt von Jella Haase, gehört nicht dazu. Noch nicht, möchte man fast sagen, denn die Ahnung, dass sie doch den Freitod wählen könnte, schwingt die ganzen 90 Minuten des Films mit, ohne überhaupt ausgesprochen zu werden.
Als sie eines Nachts die Kerzen, Bilder und Gedenkstücke am Unglücksort zertrümmert, steigt sie anschließend ins Taxi von Sascha (Carlo Ljubek). Die beiden freunden sich an, scheinen sich zu verlieben. Er gibt vor, selbst bei dem Unglück dabei gewesen zu sein, was sich im Nachhinein noch als die kleinere Lüge herausstellen soll. Die Beziehung zwischen den beiden dient dem Film zwar als roter Faden, den es vielleicht braucht, der aber nur scheinbar inhaltliches und keineswegs emotionales Zentrum des Films ist. Das eigentliche Drama, dass nicht aufgelöst werden kann und dessen Auflösung Regisseurin Nicole Weegmann zum Glück auch gar nicht erst versucht, ist die Gedanken- und Gefühlswelt von Antonia.
„Die, die tot sind, das sind die Guten, die ach so wunderbaren, um die alle trauern können. Und die, die überlebt haben, wir sind die Kaputten, die Arschlöcher, die nichts auf die Reihe kriegen.“
Die Momente, in denen die Protagonistin ihre Gedankenwelt preisgibt, hallen lange nach. Mitnichten sind das immer unausgesprochene Wahrheiten, auch wirre und irre Intrigen kommen in Worten und im Handeln zum Vorschein. Die Kamera ist über weite Strecken nur auf Jella Haase gerichtet, die den Zuschauer mit überragendem Schauspiel ganz dicht an Antonia heranführt. So dicht, dass völlig irrationales Handeln plötzlich verständlich wird. Aber man sollte sich nichts vormachen, denn wie sie selbst im Film sagt:
„Bild’ dir bloß nicht ein, dass du irgendwas weißt, nur weil du es dir anguckst.“
Neben Antonia selbst sind es die zahlreichen Nebenschauplätze, die einen Eindruck vermitteln von den Schwierig- und Unmöglichkeiten „des Lebens danach“: Da ist die Mutter einer Freundin, die ihren Sohn verloren hat, der an Seite von Antonia zur Loveparade ging – und die es lieber andersrum gesehen hätte. Da sind der Vater (Martin Brambach) und die Stiefmutter (Christina Große), die über Antonias selbstzerstörerisches Verhalten in ihrem Beisein sprechen, als wäre bloß neue Frisur missglückt, weil es längst Alltag geworden ist. Trotzdem lieben sie ihre Tochter ohne jeden Zweifel. Da sind die Albträume, Flashbacks und Panikattacken, für die der kleinste Zündfunke ausreicht. Da ist der Leiter der Selbsthilfegruppe, der die Wände voll mit Texten und Bildern zur Katastrophe hat, Merkmale einer eigenen niemals enden wollenden Aufarbeitung der Geschichte. (Achtung Spoiler:) Er ist es schließlich auch, der herausfindet, dass Sascha im Rahmen der Loveparade nicht Opfer, sondern Gutachter war und damals sein OK für die Veranstaltung gab. Selbst das Thema Schuld wird also noch angerissen, zum Glück aber nicht mehr als das.
„Das Leben danach“ verarbeitet das Thema Loveparade im Privaten, abseits von Schlagzeilen, Prozessen und der öffentlichen Suche nach Erklärung. Eindrucksvoll, bewegend und viel besser als beim Klick auf Play erwartet. Am Ende ist man einmal mehr froh, den Tunnel bereits Stunden zuvor passiert zu haben.