Ein Berliner SpukgemäuerFilmkritik: „Suspiria“ von Luca Guadagnino
16.11.2018 • Film – Text: Alexander BuchholzMit „A Bigger Splash“ und zuletzt „Call Me By Your Name“ hat sich Luca Guadagnino als einer der interessantesten Formalisten des aktuellen europäischen Genrekinos empfohlen. Nun versucht sich der Italiener mit „Suspiria“ an einer Neuinterpretation des knallbunten Giallos seines Landsmannes Dario Argento. Und? Kann der Film was? Alexander Buchholz kennt die Antwort.
Na, schon Halloween gesehen? Also den neuen, der jetzt gerade im Kino läuft? Den neunten Teil – oder sogar bereits elften, wenn man die beiden räudigen Rob-Zombie-Remakes mitzählt. Da haben wir uns doch tatsächlich auf das zehnte Sequel einer Reihe gefreut, die bereits spätestens mit Teil 4 völlig durch war. Diesen Umstand hat Universal Pictures nicht ungeschickt verschleiert und uns Nostalgiker alle schön heiß darauf gemacht, dass wir Jamie Lee Curtis vierzig Jahre nach John Carpenters Film von 1978 wieder in der Rolle zu sehen bekommen würden, die sie damals bekannt gemacht hat. Da ist uns vor Vorfreude glatt entfallen, was für ein Mist Halloween: H20 war, der 20 Jahre nach Carpenters Film rausgekommen war und ebenfalls damit angegeben hatte, Curtis für eine Reprise ihrer Rolle gewonnen zu haben.
Ein kurioser Film ist das: Ein Slasher für die #MeToo-Ära. Außerdem Gegenstand lächerlicher politisierter Diskurse und voll mit Ostereiern. Und dann ist da dieser Moment, der so aussieht, als sei er aus Gus van Sants Elephant rausgefallen: Diese nüchterne, explizite Abbildung eines Amoklaufs, wo sich Michael einmal quer durch die Nachbarschaft fräst – eine für das Genre Horrorfilm so sonderbare Inszenierung, die unseren Blick nicht an den des verfolgten Opfers koppelt und so unsere masochistische Schaulust abruft –, sondern nur an den des Täters. Will Halloween sich und uns hier noch einmal nachdrücklich an Michael Myers’ unbestreitbare Schuld erinnern? Seh nur ich das so oder hat Halloween ganz einfach keinen Schimmer, wessen Geschichte er eigentlich erzählen, mit wem er sich eigentlich solidarisieren will? Sollen wir mit Laurie Strode (Curtis), einzige Überlebende des Massakers von Haddonfield, mitfiebern? Oder vielleicht doch eher mit Michael Myers, der, erst lebenslang weggesperrt von einer korrupten Justiz und Medizin, dann zur Zielscheibe einer bis an die Zähne bewaffneten Verschwörungsspinnerin wird, die sich, auf einem Areal wegbarrikadiert hat, das David Koresh neidisch gemacht hätte?
Wer ist hier eigentlich das Final Girl? Eine etwas aufgeladene Frage, ich weiß. Aber man muss tatsächlich nur wenig Druck auf den Filmtext ausüben und schon fällt einem diese gegen den Strich gebürstete Lesart von Michael Myers als heimlicher Held von Halloween von ganz allein in den Schoß. Schaut euch doch nur mal den Prolog des Films an: Michael ist da wortwörtlich nur eine Schachfigur – die, die ihn spielen, bleiben im Verborgenen. Demnächst breche ich dann mal eine Lanze für Freddy Krueger aus A Nightmare on Elm Street. Das ist mal eine arme und missverstandene Seele.
Im Gegensatz zu Halloween weiß Suspiria sehr genau, wessen Geschichte er erzählen will, offenbart dies aber erst am Ende und lässt sich bis dahin nicht in die Karten schauen. Was Guadagninos Film aber von Anfang an klar macht, ist, dass da in der Tanzschule, die Madame Blanc (Tilda Swinton) Ende der 1970-Jahre im geteilten Berlin leitet, eine Verschwörung der Hexen im Gange ist. Das Drumherum gleicht einem einzigen Schlachtfeld, auf dem sich revoltierende Studenten an einer unverrückbaren Staatsmacht abarbeiten. Die „Landshut“ ist gerade entführt worden, erfahren wir aus den Nachrichten. Die Geiselnehmer drohen, die Flugzeugbesatzung und die Passagiere zu erschießen, sollte die Baader-Meinhof-Bande nicht freigelassen werden. Vor diesem Hintergrund tritt Susie Bannion (Dakota Johnson) der Tanzkompanie bei und entpuppt sich schon bald als eines ihrer größten Talente. Ein großer Fan ist sie von Madame Blanc – deren Auftritte sie auf Video zuhause in Ohio sorgfältig studiert hat und deren Tanzschritte sie aus dem Effeff beherrscht. Für die Aufführung eines neuen Stücks namens „Volk“ soll eine Hauptrolle besetzt werden, und da Susies Kommilitoninnen nach und nach unter mysteriösen Umständen verschwinden, steht ihrem Weg an die Spitze kaum jemand mehr im Wege.
Liebesentzug und Trugbilder
Eine dieser verschollenen Tänzerinnen, Patricia (Chloë Grace Moretz), hinterlässt ihr Tagebuch ihrem Therapeuten Dr. Klemperer (wieder Tilda Swinton, ganz rührend fragil verkleidet als „Lutz Ebersdorf”). Es ist voller rätselhafter Aufzeichnungen, Bilder, Diagramme und Listen, die die Struktur einer Kabale alter Frauen (u.a. Angela Winkler, Ingrid Caven und Renée Soutendijk) sichtbar macht. Ob er, wie Patricia, etwa auch an Hexen glaube, fragen die Polizisten Dr. Klemperer, als er diesen von seinem Verdacht berichtet, die Leiterinnen der Tanzschule seien verantwortlich für das Verschwinden des Mädchens. Nein, er glaube nicht an Hexen, aber daran, dass Leute sich manchmal zusammenschließen, um Verbrechen zu begehen und dieses Band dann Magie nennen. Welchen Zweck dieser Zauber eigentlich haben soll, was also die langfristigen Ziele der Hexen sind, lässt Suspiria im Unklaren. Umso mehr zeigt der Film aber, welchen Terror sie den Körpern aussetzen, die das Pech haben, in ihren Wirkungskreis zu geraten: Als die junge Tänzerin Olga (Elena Fokina) die Heuchelei ihrer Mentorinnen satt hat und diese zur Rede stellt, endet sie vor einem grausamen Straftribunal, in dessen Verlauf ihr Leib regelrecht ausgewrungen wird. Über den Schnitt verbunden mit Susies Initiationstanz inszeniert Guadagnino diese Szene als bewundernswert rohes Stück Body Horror, in der Art wie David Cronenberg das vor langer Zeit mal gemacht hat. Es ist der grellste aber auch der effektivste Moment in dieser Geschichte, die von den vielfältigen Formen mütterlichen Missbrauchs an den Töchtern erzählt. Es ist ein Krieg, ein wahrer Eroberungsfeldzug, den die Alten gegen die Jungen entfesseln und Suspiria schaut ziemlich genau hin, wie diese Dynamik eigentlich funktioniert, wenn eine Gruppe im gleichen Takt tanzen soll. Und wenn es nicht die grobe, körperliche Gewalt ist, mit der die Mädchen diszipliniert und auf Kurs gebracht werden, dann eben Liebesentzug und Trugbilder.
„Wenn Horror-Filme ihre verschiedenen soziopolitischen Hüte tragen – der B-Film als Aufmacher der Regenbogenpresse –, fungieren sie nicht selten als außergewöhnlich treffsicheres Barometer für die Dinge, die den nächtlichen Schlaf der gesamten Gesellschaft plagen“, schreibt Stephen King 1981 in Danse Macabre. Wie sehr ist Suspiria am Puls der Zeit? Wenn Guadagnino und sein Drehbuchautor David Kajganich von den Fremd- und Selbstzerfleischungen der RAF im Rahmen eines Horrorstreifens erzählen müssen, formulieren sie da ihr Unbehagen über das heutige Sektierertum sich radikalisierender Gruppen? Halloween mag es für eine gute Antwort halten, seiner Hauptfigur eine Waffe in die Hand zu drücken, damit sie sich und ihre Familie in einer Miliz organisieren kann. Suspiria ist bei der Aussicht auf selbstgerechtes Blutvergießen sehr viel indifferenter.
Ob Suspiria sich eine treffende Zeitdiagnose leistet, wage ich nicht abschließend zu beurteilen. In jedem Fall ist Guadagnino eine imponierend stilsichere und wagemutig inszenierte Tragödie gelungen. Der Film ist wunderschön. Guadagninos Berlin sieht aus wie einziges Spukgemäuer. Die Mauer ist überall, um jeden und alles einzuengen und bloß niemanden ausbrechen zu lassen. Ein permanenter Grauschleier hängt über den Bildern des thailändischen Kameramanns Sayombhu Mukdeeprom, der diese nur noch schöner macht. Und Suspiria ist ein einziger Casting Coup, ein Showcase für ein vollständig großartiges Darstellerinnen-Ensemble. Drei Rollen muss Tilda Swinton in dem Film stemmen und ist trotzdem nicht mal die Hauptattraktion. Die ist ganz klar Ingrid Caven, die ab jetzt meine neue Lieblingsschauspielerin ist.
SUSPIRIA
I/USA 2018
Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: David Kajganich
Darsteller: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Chloë Grace Moretz, Elena Fokina, Angela Winkler, Ingrid Caven, Renée Soutendijk, Sylvie Testud, Jessica Harper
Kamera: Sayombhu Mukdeeprom
Schnitt: Walter Fasano
Musik: Thom Yorke
Laufzeit: 152 Min.
seit dem 15.11.2018 im Kino