Edelkitsch trocknet den Amazonas ausBerlinale 2017: James Grays „The Lost City of Z“

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Alle Fotos: © 2016 LCOZ HOLDINGS, LLC / Aidan Monaghan

Wie aus reflektiertem Neoklassizismus biederer Neokonservatismus wird. Grays neuer Film ist kaum mehr als ein historischer Kolonialschinken. Sulgi Lie ist enttäuscht.

Wenn ein Film wie La La Land, der von der Pracht der klassischen Hollywood-Musicals rein gar nichts verstanden hat, schon als traditionsbewusste Wiederbelebung eines alten Genres gefeiert wird, sind berechtigte Zweifel am Geschichtsbewusstsein vieler jüngerer Regisseure angebracht, die sich wie Damien Chazelle (La La Land) schon als der nächste Nicholas Ray wähnen, wenn sie den Sternenhimmel über dem Griffith-Observatorium digital einfärben. Im Vergleich zu dieser so-la-la-Sloppiness eines Chazelles, der sein eigenes Nichttalent und das öde Rumgesteppe von Gosling und Stone mit CGI-aufgemotzten Kamerafahrten zu kaschieren versucht, unterhält ein Regisseur wie James Gray ein ungleich seriöseres Verhältnis zur kulturellen Tradition des Kinos. Schon im zarten Alter von 24 Jahren hat er mit Little Odessa (1994) einen Film gedreht, der wie ein Spätwerk anmutet, in Chiaroscuro getaucht und mit russisch-orthodoxen Chören untermalt.

Auch in seinen folgenden drei Filmen hat Gray seine Neighborhood, das russisch-jüdische Milieu von Brighton Beach in New York, nicht verlassen und seinen neo-klassizistischen Stil immer weiter verfeinert. Traditionalist blieb Gray dabei gleich im doppelten Sinne: als genauer Chronist der Familenriten seiner Community sowie als Bewahrer der großen alten Schule des New-Hollywood-Kinos von Francis Ford Coppola und Michel Cimino. Gray beließ es nicht beim handwerklich perfekten Retro-Pastiche der Meister, sondern modernisierte deren Stil mit großartigen ambient- und droneartigen Szenen, von denen die hypnotisch heruntergepitchte Verfolgungsjagd in We Own the Night und Joaquin Phoenix’ Tanz zu einem Moby-Track in Two Lovers als ikonische Momente in Erinnerung bleiben.

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Leider hat sich James Gray bereits in seinem letzten Werk The Immigrant, in dem sich Marion Cotillard als polnische Tränenfrau durch ein historisches Melodram leidet, ganz seiner filmischen Zeitgenossenschaft entledigt und wäre nun wohl gerne eine Mischung aus David Lean und Luchino Visconti – mit viel Verdi und Wagner auf dem Soundtrack inklusive. Dass das eine ungute Tendenz ist, bewahrheitet sich jetzt auch mit The Lost City of Z, einer Art historischem Kolonialschinken voller edelmütiger Gentlemen und still weinender Frauen, in dem Grays reflektierter Neoklassizismus nun endgültig in einen biederen Neokonservatismus zurückfällt.

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#Gepflegte Senioren-Langweile
In dem Film reist Charlie Hunnam als britischer Kartograf kurz nach der Jahrhundertwende nach Bolivien und glaubt, eine verlorengegangene Amazonas-Zivilisation im Dschungel entdeckt zu haben. Besessen von dieser (post)kolonialen Fantasie, treibt es ihn in Laufe der nächsten 20 Jahre immer wieder in die traurigen Tropen, bis er schließlich mit seinem ebenso traditionsbewussten Sohn im Dschungel verschwindet. Im gemächlichen Erzählrhythmus plätschert der Film vor sich hin.

Action gibt es trotz Abenteuer fast keine, denn Gray will natürlich jeden Indiana-Jones-Verdacht von vornherein aus dem Weg räumen.

Daneben gibt es eine Menge wohlartikulierte Wortgefechte zwischen britischen Edelmännern. Außerdem werden viele Briefe geschrieben und rezitiert. Kameramann Darius Khondji malt erwartbar in Rembrandt-Licht, dezent wird auf Herzogs Aguirre und auf Coppolas Apocalypse Now verwiesen, ohne jedoch, dass der allzu brave Film je deren mythologische Power erreichen würde. Auch Charlie Hunnam und Robert Pattinson als sein treuer Kompagnon müssen sich schauspielerisch extrem zurücknehmen, beide werden von Grays Konzept des Nobelkinos erdrückt, das nun zwei überaus schwerfällige Filme lang vom Edelkitsch immer schwerer zu unterscheiden ist. Womöglich versteht sich Gray nun mit The Lost City of Z nicht nur als Coppola- und Visconti-Wiedergänger, sondern auch eine Art Joseph Conrad des Kinos, der wieder zurück möchte zum bürgerlichen Realismus des historischen Romans. Soviel Traditionslast kann einem immer noch jungen Regisseur wie Gray nicht wirklich gut tun. Bei der gepflegten Senioren-Langweile des immerhin 140-minütigen Films habe ich mich jedenfalls zu etwas erregenderen Amazonas-Filmen zurückgesehnt, etwa Mel Gibsons Metzel-Meisterwerk Apocalypto oder dem ebenso grandiosen, leider in Deutschland nicht im Kino gezeigten The Green Inferno von Eli Roth, in der eine Handvoll öko-affiner Ivy-League-Studenten beim Dschungel-Trip kurzerhand von den dortigen Maya-Kannibalen verspeist werden.

The Lost City of Z
USA/Irland 2016
Regie: James Gray
Darsteller: Charlie Hunnam, Robert Pattinson, Sienna Miller, Tom Holland

Screenings während der Berlinale:
Mi, 15.02., 21:30: Haus der Berliner Festspiele
Fr, 17.02., 15:00: Friedrichstadt-Palast
Sa, 18.02., 09:30: Haus der Berliner Festspiele

Voraussichtlicher Kinostart: 30.03.2017

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