Tim Cook: „Musik bringt die Menschen zusammen. Das war nie wichtiger als heute.“Exklusiv: Der CEO von Apple besucht die Berliner Philharmoniker
7.2.2017 • Gesellschaft – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannTim Cook, Chef von Apple, ist auf Stippvisite in Deutschland. Das Filter begleitete den CEO exklusiv bei seinem Besuch bei den Berliner Philharmonikern. Das Aufeinandertreffen von Cook, dem Dirigenten Sir Simon Rattle und den Philharmonikern kommt nicht von ungefähr. In der Philharmonie wird schon seit einigen Jahren erfolgreich daran gearbeitet, die Konzerte mit Hilfe einer App auch all denen zur Verfügung zu stellen, die nicht in Berlin leben und die Stadt auch nicht regelmäßig besuchen können. Apples altes Mantra, mit seinen Produkten und Services vor allem dort aktiv zu sein, wo sich Technologie und die freien Künste treffen, wird hier überzeugend umgesetzt. Natürlich schwingt die aktuelle politische Situation in den USA und deren Auswirkungen auf den Rest der Welt während des gesamten Besuchs mit.
Vielleicht ist das ja die Lösung. In unsicheren und jeden Tag von Neuem erschütternden Zeiten, den home turf zu verlassen, den USA für einen kurzen Moment den Rücken zu kehren und in good ol’ Europe aufzuschlagen. Sich einen Moment vom heimischen Chaos abzuwenden, von den Direktiven des neuen Präsidenten, und die kalifornische Sonne mit dem Anfang Februar mit aller Härte zuschlagenden Berliner Winter zu tauschen. Der Jahreszeit, die viele Ex-Pats an ihrer Entscheidung zweifeln lässt, die USA for good hinter sich zu lassen, Brooklyn mit Neukölln zu tauschen, für ein besseres Leben, nicht für mehr Spaß, sondern für mehr Freude: Lebensfreude. Trotz allem Ärger, den Unternehmen wie Apple seit einigen Jahren vor allem aus steuerrechtlichen Gründen in Europa haben: Der Kontinent, der mit seinen zahllosen Wellen von Einwanderern die USA geprägt und mit aufgebaut hat, ist spätestens seit der Inauguration von Trump wieder wichtig, wichtiger, nicht nur als Absatzmarkt für Produkte und Services, sondern auch als Verbündeter in Sachen Freiheit. Nicht mehr und nicht weniger.
Tim Cook, CEO von Apple, ist unterwegs in Europa. Heute in Deutschland, genauer in Berlin. Das ist Tagesgeschäft für CEOs im Allgemeinen und für die der wertvollsten Unternehmen weltweit im Besonderen. Es ist sein zweiter – dokumentierter – Besuch als CEO in Berlin, 2015 schaute er zum ersten Mal in der Stadt vorbei. Ein bisschen Händeschütteln im Regierungsviertel, Besuche bei App-Entwicklern, das geht Hand in Hand und zahlt immer auf die Marke Apple, das Unternehmen und letztendlich auch auf die Kunden ein. Pleasure oder Business? Diese Frage stellt sich gar nicht, es passt alles ins große Ganze. Der Besuch bei den Berliner Philharmonikern und Dirigent Sir Simon Rattle jedoch ist dann doch etwas anderes. In der Philharmonie, dem Hauptquartier des Orchesters, experimentieren die Philharmoniker schon seit Jahren damit, wie man die Tradition des Hauses und der Musik in die Zukunft verfrachten kann. Das alte Modell – Orchester spielt, Publikum kauft Tickets, nimmt Platz, hört zu, trinkt einen Sekt und geht wieder – war den Philharmonikern irgendwann nicht mehr genug. Die Digital Concert Hall ist das Digitalprojekt der Philharmoniker. Livestreams von Konzerten, ein großes Archiv, Bonusmaterial: All das ermöglicht es auch den Fans des Orchesters, die nicht in Berlin leben, nah dran zu sein an ihren Stars. Einen Tag vor seinem Besuch in Berlin sagte Cook in Frankreich: „Technologie kann lokale Kultur einem globalen Publikum vorstellen. Das ist gut für alle, das bringt die Menschen zusammen.“ Also bitte!
Doch der Besuch in der Berliner Philharmonie manifestiert auf besondere Weise einen alten Leitspruch von Apple, einem Unternehmen, dass sich selbst immer wieder dort verortete, wo sich Technologie und die freien Künste treffen. Technik muss menscheln, um für das verwendet zu werden, was ihren Besitzern am wichtigsten ist. Könnte man das stilisierte Straßenschild irgendwo auf der Welt ohne Wenn und Aber aufstellen, hier, an der Berliner Philharmonie, zwischen Potsdamer Platz und Tiergarten, wäre der richtige Ort dafür. Dass die Digital Concert Hall nicht nur für die Philharmoniker ein Riesenerfolg, sondern auch für Apple eine Art Halo-App ist, also Vorzeigecharakter hat, hilft bestimmt. Und dann steigt Tim Cook aus dem Auto.
Eine Stunde durchschnaufen
Der Besuch in der Philharmonie ist auf eine Stunde angesetzt, auch exakt eine Stunde, aber natürlich verplappert man sich. Man hat das Gefühl, Tim Cook fühlt sich hier sauwohl. Eben weil hier vieles von dem zusammenkommt, wofür Apple steht. Entspannt und interessiert lässt er sich den Digitalen Konzertsaal erklären. In der kleinen Regie steht er mit Olaf Maninger, selbst Orchestermitglied und Geschäftsführer des Digitalbetriebs, und Christoph Franke, dem creative producer, setzt sich an das Kontrollpult, lässt Kameras durch den großen Saal flitzen und sagt dabei die Dinge, die man ihn eh fragen wollte, wenn es denn dazu kommen sollte. Das weiß man bei solchen Terminen ja nie so genau.
Tim Cook ist niemand, der hier provokant auf den Balkon der von Hans Scharoun entworfenen Philharmonie stellen und zum Widerstand gegen die Politik Trumps aufrufen würde. Bei Cook muss man ganz genau zuhören, zwischen den Zeilen lesen. Dort liegt seine Message, nicht kodiert, einfach nur eingebettet und ein bisschen leiser. Er sei ja nicht in der Regierung, sagt er, aber schon allein der Blick auf das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland zeige, dass man nur gemeinsam ans Ziel kommen könne. „Ein Land kann nur gewinnen, wenn das andere auch gewinnt.“ Rund 250.000 Menschen arbeiten laut Cook in Deutschland am „Projekt Apple“: Entwickler und Programmierer, vor allem aber auch Zulieferer. Einige davon hatte er im Laufe des Tages besucht und war beeindruckt von den handwerklichen und intellektuellen Fähigkeiten, die mit dafür verantwortlich sind, dass Apple heute da steht, wo es steht.
Hier aber, genau hier in der Philharmonie, komme all das in beeindruckender Art und Weise zusammen, hier treffen sich Technologie und die freien Künste, im besten Sinne des Wortes. „Musik spielt eine ganz große und wichtige Rolle in meinem Leben, ist eine Inspirationsquelle. Und wenn sie dann noch mit einer App wie der Digital Concert Hall in die Welt getragen wird, macht mich das stolz. Musik bringt die Menschen zusammen. Das war nie wichtiger als heute.“
Im großen Saal der Philharmonie probt Sir Simon Rattle gerade mit dem Orchester „Le Grand Macabre“ von Györgi Ligeti. Cook hört dem Ensemble und dem sperrigen Werk eine Weile gebannt zu. Dann ziehen sich Cook und Rattle für ein paar Minuten auf den Rang zurück, reden angeregt miteinander, man hat das Gefühl, die beiden kennen sich schon ewig, das british english von Rattle und der Alabama-Ton Cooks verschmelzen zu einem melodiösen Singsang, es wird gelacht, gestikuliert, es ist privat. Auch das muss sein bei einem solchen Termin.
Dann ist die eingeplante Stunde definitiv vorbei. Cooks Entourage, erstaunlich übersichtlich, ruft zum Aufbruch. Es werden Bilder gemacht, die Tagesthemen bekommen 1'30“. Wo es denn noch hingeht, will Simon Rattle wissen, „Mrs. M?“ Tim Cook nickt. Winkt, dankt und verschwindet umringt von iPhones durch den Hinterausgang.
Die Digital Concert Hall
Die Digital Concert Hall, der Digitale Konzertsaal also, ist zwar noch nicht so alt wie das Internet selbst, die Berliner Philharmoniker waren mit diesem Projekt dennoch sehr früh dran. Digitale Pionierarbeit in einem Bereich, in dem man ein solches Engagement nicht zwingend erwarten würde. Ende 2008 ins Leben gerufen, ist die Idee dahinter so einfach wie einleuchtend. Fans der Philharmoniker können online Konzerte in der Philharmonie live mitverfolgen. Schon wenige Tage später steht eine Aufzeichnung der Aufführung im seitdem stetig wachsenden Archiv bereit. Weit über 400 Konzerte lassen sich so aktuell bereits jederzeit abrufen, in jeder Saison wird kräftig aufgestockt.
Doch nicht nur Konzerte aus der „Jetztzeit“ werden so weltweit zugänglich. Nach und nach werden auch historische Mitschnitte mit ins Portfolio aufgenommen. Dazu gehören sowohl Aufnahmen aus den 1990er-Jahren mit Claudio Abbado als auch solche mit Herbert von Karajan aus den 60er- und 70er-Jahren. Seit 2014 kümmert sich das Team der Digital Concert Hall um die Einstellung dieser historischen Aufnahmen. Kein Zufall. Denn auch wenn das Angebot zunächst nur über den Webbrowser verfügbar war, steht die Digital Concert Hall seit Anfang 2013 auch für iPhone und iPad zur Verfügung, seit Mitte vergangenen Jahres auch für die aktuelle Generation der Streaming-Box Apple TV. Eine Android-Version für den Google- und Amazon-Store folgte 2014. Ein überwältigender Anteil der Philharmoniker-Fans nutzt das Angebot jedoch auf Apple-Geräten. Die aktuellsten Zahlen (Stand: April 2016) konstatieren rund 740.000 registrierte Nutzer, mehr als 600.000 Downloads entfallen dabei auf iOS. Das ist irgendwie keine große Überraschung. Denn auch wenn sich die App mittlerweile unter Android auf den Chromecast und Amazons FireTV-Produkte versteht, funken iOS-Geräte dank AirPlay schon deutlich länger in Richtung TV. Und wo, wenn nicht auf der großen Mattscheibe, würde man sich lieber in die Philharmonie beamen. Die aufgezeichneten Konzerte aus dem Archiv kann man zudem temporär herunterladen und somit auch dann schauen und hören, wenn kein WiFi zur Verfügung steht. Die Umsetzung der Digital Concert Hall für den aktuellen Apple TV dürfte den Wohnzimmer-Trend hingegen nur noch verstärkt haben.
Kunden aus über 100 Ländern greifen auf das Angebot zu, ein Viertel des Umsatzes wird in Deutschland generiert, gefolgt von den USA und Japan. Im vergangenen Jahr lösten von den 740.000 Nutzern über 26.000 ein kostenpflichtiges Ticket. Eine Woche kostet 10 Euro, ein Monat 20 Euro und das Jahresabo schlägt mit 150 Euro zu Buche. Wer gar nicht bezahlen will und sich mit Hilfe der App nur über die Aktivitäten seines Lieblingsorchesters auf dem Laufenden halten will, profitiert von kostenlosen Angeboten wie Interviews, Dokumentationen und Filmen rund um die zahllosen Aktivitäten in der Philharmonie.
Zahlreiche Kameras und Mikrofone kommen bei den Live-Übertragungen zum Einsatz. Für die Umsetzung wurde in der Philharmonie eine Regie eingerichtet, in der die Einstellungen in Echtzeit für den Stream bereitgestellt werden. Dessen Qualität kann je nach Internet-Anbindung variieren, aufgezeichnet wird jedoch bei 48 kHz in 24 Bit, die Standardausspielung erfolgt mit 256 kb/s, kodiert mit AAC – Nutzern von Apple-Geräten dürfte das bekannt vorkommen. An der Weiterentwicklung der Digital Concert Hall wird kontinuierlich gearbeitet. In Japan haben Kunden bereits heute die Möglichkeit, nur auf die Tonspur der Konzerte zuzugreifen, dafür dann aber unkomprimiert in High-resolution audio. Und mit Panasonic – genauer gesagt mit Technics – arbeiten die Philharmoniker bereits an 4K-Videos, HDR inklusive.