„Die moderne Stadt“Jetzt auf DVD: Filmessays zur neuen Urbanität der 1950/60er-Jahre

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Alle Fotos: absolut MEDIEN.

Ein neorealistisch anmutender Dokumentarfilm über eine Gruppe von Bauarbeitern, ein surrealistischer Filmspaß in der Innenstadt von Stockholm, ein spießiges Filmporträt eines Politikers. Die DVD Die moderne Stadt nähert sich in ganz unterschiedlicher Form dem Städtebau der 1950/60er-Jahre.

„Ich möchte frei und sonnig wohnen. Ich wünsche Zentralheizung, Fernsehapparat, automatische Waschmaschine und Müllschlucker.“ So wird eine nicht weiter identifizierte Dame in Herbert Veselys Film Die Stadt von 1960 zitiert. Vesely gehört zu den 26 Filmemachern, die 1962 das berühmte Oberhausener Manifest verfassten, in dessen Folge es kurzzeitig zu gravierenden Veränderungen innerhalb der deutschen Filmlandschaft kam. Sein Filmessay Die Stadt ist Teil einer soeben erschienen DVD-Edition mit dem Titel Die moderne Stadt, die sieben kurze und mittellange Filme verschiedener Regisseure zum Thema Urbanität und moderner Städtebau aus den fünfziger und sechziger Jahren vereint.

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Der Architekt Ernst May.

Nach den starken Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg begann in den fünfziger Jahren zunehmend der Wiederaufbau Europas. Vielen Städteplanern, wie dem ehemaligen Frankfurter Stadtbaurat und Architekten Ernst May, schwebte dabei weniger eine Rekonstruktion der alten Stadtkerne vor, vielmehr träumte man von einer architektonischen Neuausrichtung unter Verwendung modernster Baustoffe und mit Rücksichtnahme auf verkehrstechnische Notwendigkeiten. Dabei schreckte man auch nicht vor Enteignungen zurück. In dem 1959 entstandenen Kurzfilm Für einen Platz an der Sonne, einer Art Werbefilm für die Bauindustrie, ist Ernst May zu sehen, wie er die freiheitlichen Grundgegdanken des neuen Bauens betont und von der gelungenen Verbindung zwischen Architektur und Natur in den neu entstehenden Stadtrandsiedlungen schwärmt. Die meisten anderen Filme der DVD werfen einen deutlich pessimistischeren Blick auf die baulichen Aktivitäten im Nachkriegseuropa. Häufig stellt sich beim Zuschauen sogar das Gefühl ein, die Modernisierung der Großstädte folge ausschließlich kommerziellen Interessen und sei mehr oder weniger alleinverantwortlich für die heutige Konsumgesellschaft. Als besonders kritisch tut sich der Vierzigminüter Die gemordete Stadt (1965) von Manfred Durniok hervor. In höchst sympathischer Art und Weise wird hier den neu entstandenen sterilen Wohnvierteln jegliche Individualität abgesprochen und ihr autoritärer Baustil verhöhnt. Gleichzeitig schwärmt die Kommentarstimme von den verzierten Fassaden und verschachtelten Gassen in den noch unangetasteten Wohnbezirken, die zum Flanieren einladen und in denen auch die Unmoral weiterhin denkbar scheint.

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Szenenbild aus Für einen Platz an der Sonne.

Die von Ralph Eue und Florian Wüst herausgegebene DVD-Edition scheint weniger ein architektonisches als ein soziologisches Interesse zu haben, denn bei fast allen Filmen handelt es sich eher um Porträts des modernen Menschen als um theoretische Auseinandersetzungen mit den ästhetischen Prinzipien der Nachkriegsarchitektur. Dies macht die Kompilation jedoch nicht weniger spannend. Kritisieren könnte man jedoch, dass die ausgewählten Filme so gut wie komplett verschweigen, dass Gleichheit nicht ausschließlich Uniformität bedeutet und das Prinzip des neue Bauens durchaus auch egalitäre Ideale verfolgte. Zudem stellte der neue Baustil in Deutschland auch einen Gegenentwurf zu den neoklassizistischen Prachtbauten der Nazis dar. Trotzdem vermitteln die sieben Filme einen abwechslungsreichen und spannenden Einblick in die damalige Diskussion darüber, wie Menschen erfolgreich zusammenleben können und welche städtebaulichen Vorraussetzungen dafür geschaffen werden müssen. Darüber hinaus erscheinen viele der angesprochenen Problematiken vor dem Hintergrund von Miet-Notstand und zunehmender Gentrifizierung momentan aktueller denn je.

Die moderne Stadt
Hrsg. von Ralph Eue, Florian Wüst
Laufzeit: 170 min
Mit einem ausführlichen Booklet.
Jetzt auf DVD.

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