Wochenend-WalkmanDiesmal mit Isobel Campbell, Obongjayar und Test Card

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Isobel Campbell, Obongjayar und Test Card.

Isobel Campbell – There Is No Other Cover

Isobel Campbell – There Is No Other

Ji-Hun: Anfang des Jahrhunderts war Glasgow für mich so etwas wie die Indie-Hauptstadt der Welt. Belle and Sebastian, Mogwai, Aerogramme, Franz Ferdinand, Glasvegas und viele mehr kamen aus der schottischen Metropole. Mein großer Star war aber schon immer Isobell Campbell gewesen. Zu Beginn bei Belle and Sebastian dabei, später als The Gentle Waves und dann auch noch jene drei wundervollen Alben zusammen mit Mark Lanegan. Solo hat Isobel Campbell 14 Jahre kein Album mehr veröffentlicht. Daher kommt dieser Release ein bisschen wie ein glücklicher Schock. Dass so etwas überhaupt noch passiert. Die heute 43-jährige Campbell macht mit großen Songwriter-Perlen und barockem Kammerpop weiter, als wären eben anderthalb Dekaden nichts. Kein Facebook, iPhone, Tinder, Tesla oder Flugtaxi kann an dieser zeitlosen Qualität rütteln. Und das soll auch so bleiben.

obongjayar which way is foward ep walkman

Obongjayar – Which Way Is Forward?

Benedikt: Obongjayar war mir bis dato völlig unbekannt – dachte ich zumindest, stimmt aber gar nicht. Bereits an der phänomenalen Platte „Everything Is Recorded“ von XL-Chef Richard Russell wirkte der in Nigeria geborene Londoner mit – direkt an der Seite von Saxophonist Kamasi Washington. Ich hätte mir den Namen schon damals notieren sollen, um jedes künftige Solo-Release auf dem Schirm zu haben. „Which Way Is Forward“ ist ein großartiger Blend unterschiedlichster Ingredienzien: Da ist Afrobeat, da ist Jazz, House, Rap und Ska und irgendwie auch jede Menge Soul und Rythm & Blues – an dieser Stelle wohlgemerkt bewusst ausgeschrieben. Kaum zu glauben, dass neben dem Künstler selbst hier bloß noch der Multi-Instrumentalist Barney Lister mitgewirkt haben soll, denn „Which Way Is Foward“ klingt durchweg nach gut besetzter, mindestens 5-köpfiger Band. Dabei liegt das wichtigste Instrument ganz beim Künstler selbst: die Stimme. Sie reicht aus der tiefsten, verrauchtesten Blues-Kellerbar bis in die Höhen Frank Ocean’scher Hooks und wird zum maßgeblichen Instrument, dass über die reichhaltigen Texturen der instrumentalen Produktion noch weit hinausreicht. Die Lyrics stehen ebenfalls in der Tradition der vorab erwähnten Genres, sind aber fraglos in den Situationen des Hier und Jetzt verortet: die Hautfarbe, die immer und überall eine Rolle spielt und doch nicht sollte, der 9-to-5-Hustle, das nur schwer mögliche Öffnen der eigenen Gefühlswelt für andere Menschen. Themen, die intelligent und doch rhythmisch, repetitiv vorgetragen werden. Was für eine Platte, deren einziger Wermutstropfen die Kürze ist.

WWalkman-08022020-Test Card Cover

Test Card – Music For The Towers

Thaddeus: Ich habe in diesem Jahr praktisch noch gar keine Musik gehört. Irgendein Schalter muss sich Silvester umgelegt haben – egal wie sanft oder egal Sound auch sein mag: Mein Gehirn interpretiert die Schallwellen schlicht als unerträglichen Stressfaktor. Mit anderen Worten: Ich bin ein bisschen arbeitslos. Kein guter Zustand. In kleinen Dosen habe ich mich deshalb durch das neue Album von Test Card gekämpft. Wunderschöne Musik, die eigentlich alle positiv besetzten Merkmale aufweist, um mich euphorisch aus dem Stuhl zu reißen. Still und leise fließen die Tracks, die so tolle Titel haben wie „It Calmed The Hedges And Blurred The Buildings“ zwischen Synths, Gitarre und Field Recordings. Und ich stelle mir vor, wie Lee Nicholson zu Hause in Vancouver spazieren geht, auf den Ozean schaut, durch Wälder streift und diese Eindrücke in der Nacht dann im Studio in Musik übersetzt. Ich mag vollkommen falsch damit liegen, das ist aber auch nicht weiter schlimm. Noch will meine Seele die wundervolle Einfachheit dieser Stücke nicht annehmen. Ich hoffe, euch geht es anders. Verdient haben sie es allemal.

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