„Wir lassen jeden mal den Bus fahren“Neuseelands Dub-Export Fat Freddy's Drop im Interview
27.10.2015 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerSeit Freitag steht „Bays“, das neue Album der siebenköpfigen Band Fat Freddy’s Drop, in den Regalen. Auf den ersten Hörer klingt es wie ein typisches Album der Neuseeländer: Das Fundament aus Dub und Reggae wird mit Elementen aus House und Techno und Joe Dukies wunderbarer Soul-Stimme bespielt – mal auf Popsonglänge, mal auf zehn Minuten, die selbst dann niemals langweilen. Aber „Bays“ klingt noch runder und geschlossener als bisherige Releases. Warum das so ist, hat Saxophonist Scott Towers aka Chopper Reedz unserem Redakteur Benedikt Bentler im Interview verraten. Über Aufnahmen im Vinyl-Presswerk, einen Leadsinger, der lieber Online-Games zockt, als Interviews gibt, und das kollektive musikalische Ohr der Freddys.
Hat sich euer Schreib- und Aufnahme-Prozess für die neue Platte verändert?
Ja schon. Normalerweise schreiben wir unsere Songs so halb fertig, dann nehmen wir sie mit auf Tour, integrieren sie in die Livesets und schreiben sie so fertig, auch basierend auf der Reaktion des Publikums. So haben wir schon während des Schreibens herausgefunden, was funktioniert und was nicht. Das ist eine gute Sache, auch wenn es einen manchmal in die Irre führt, denn du verlässt dich mehr auf das Publikum als auf deine eigenen Instinkte. Diesmal war es anders: Wir sind nicht getourt, sondern haben einfach in unserem Studio gesessen und die Musik selbst diktieren lassen, wie Dinge geschrieben werden sollten. Wir sind mehr unseren Instinkten gefolgt. Ich glaube, das Ergebnis ist wirklich stark. Heute hatten wir Probe für die kommende Tour. Und wie sich die Songs aufbauen und entwickeln, das fühlte sich sehr natürlich und organisch an. Die Songs formen sich anders, etwas linearer. Es ist total erfrischend für uns, die Sache jetzt mal anders anzugehen.
Diskutiert ihr dann alle zusammen über einzelne Parts und Elemente?
Ganz ehrlich: Die Diskussionen sind endlos. Jedem Album, das wir aufnehmen, liegt Material für sechs oder zehn Alben zugrunde. Ein ganzer Haufen voller Visionen, Sektionen, Elementen und Experimenten. Von dort aus ist es immer noch ein langer Weg, aber das ist unsere Arbeitsweise. Wir gehen auch nicht mit einem ganz konkreten Plan in den Aufnahmeprozess, wissen nicht genau, wie der Song anfangen und enden wird.
„Weder leben wir Jamaica, noch sind wir jamaikanische Musiker, aber wir haben großen Respekt für den Style, die Energie und den Ansatz von Dancehall.“
Am Anfang steht ein Sound, eine Idee: eine Bassline, ein Drum Pattern, ein Riff oder ein Sample. Alles basiert dann auf dieser kleinen Idee. Und es dauert verdammt lange, die sich daraus entwickelnden Dinge zu entdecken und auszuprobieren. Natürlich haben wir auch allesamt unterschiedliche Ansichten darüber, wie sich ein Song entwickeln sollte. Aber am Ende des Tages gibt es eben doch einen Common Sense in Sachen guter Musik.
Läuft das demokratisch ab oder muss am Ende jemand sagen: So, das ist drin, das ist draußen.
Viel hängt natürlich von Joe Dukie, unserem Sänger ab. Denn:
Egal wie gut die Musik ist: Wenn sie die gesanglichen Ideen nicht unterstützt, macht sie nicht ihren Job. Und letztendlich diktieren dann auch die Lyrics, welche Richtung ein Song einschlagen muss. Musik und Lyrics müssen eine Art Ehe eingehen, wobei die Lyrics öfter Vorrang haben als andersherum. Joe ist also definitiv eine treibende Kraft hinter dem Arrangement der Songs.
Aber es ist trotzdem sehr demokratisch. Jeder von uns kann arrangieren und editieren. Und genau das passiert: Wir sind alle dort, nehmen auf, schreiben, bringen unsere Ideen ein. Später dann nehmen sich einige von uns des Arrangements an. Und am nächsten Tag kommt jemand ins Studio, hört sich das an und sagt: Oh wow, so habe ich das noch gar nicht gehört. Das ist großartig, lasst uns auf diesem Weg weitermachen. Das ist ein bekanntes Szenario bei uns: Einer von uns ergreift die Initiative, die anderen vertrauen ihm. Das ist dann noch nicht unbedingt die Version, die am Ende auf dem Album landet, aber wir lassen jeden Mal den Bus fahren.
Der Song „Slings & Arrows“ beginnt mit einem polyphonen Videospiel-Sounds, dann kommt eine kurze Snare-Roll dazu, schließlich setzen Bläser ein. Und im Refrain dann Gunshots. Ich frage mich wirklich, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, diese Elemente in einem einzigen Song unterzubringen. Für mich war das einer der beeindruckendsten Momente des Albums.
Da haben wir ein paar Elemente aus Dancehall-Platten eingeworfen. Wir sind alle mit Dub, Dancehall und Reggae aufgewachsen und in dem Song finden sich klassische Komponenten von Dancehall. Das ist ein Tribut – unsere Interpretation, die für uns funktioniert. Weder leben wir Jamaica, noch sind wir jamaikanische Musiker, aber wir haben großen Respekt für den Style, die Energie und den Ansatz von Dancehall. Ich glaube, dadurch hat sich dieser Song in seiner Form manifestiert.
Wenn man Fat Freddy’s Drop hört, bekommt das Gefühl, euer musikalischer Input ist endlos und vor allem grenzenlos. Woher kommt der?
Wir haben so eine Art kollektives, musikalisches Ohr. Wir haben alle unseren eigenen Zugang zu unterschiedlicher Musik. Einige lieben Jazz aus den Mittvierzigern, afrikanische Musik. Andere stecken mehr in moderner, aktueller Musik oder in Soul. Oder auch R'n'B oder HipHop.
Es spielt eigentlich keine Rolle, was es ist. Wir freuen uns immer, wenn jemand etwas spielt. Wenn wir unterwegs sind und ein bestimmter Track kommt immer wieder, wird das quasi der Soundtrack unserer Tour. Vor Jahren haben wir zum Beispiel immer Al Green vor der Show gehört. Das Ergebnis war der Song „Boondigga“ auf einem unserer letzten Alben. Der Song klingt stark nach einem Al-Green-Tune. Einmal haben wir viel Freddy King oder einen anderen Blues-Gitarristen gehört und dieser Vibe hat seinen Weg in „Clean The House“ auf „Blackbird“ gefunden. Elektronische Musik findet sich in „Wheels“ und „Razor“ auf der aktuellen Platte. Wir filtern all diese Sounds und sie fließen ein, trotzdem handelt es sich nicht um Replikate bestimmter Sounds.
Mir kam dieser Gedanke vor allem bei „Cortina Motors“, dort kommen irgendwann diese Klanghölzer auf den ersten zwei Schlägen rein, ein ganz typisches Element aktueller House-Musik. Ich dachte mir: Ok, die Jungs sind zwar zeitlos, aber up-to-date.
Elektronische Musik spielte schon immer eine große Rolle bei uns. Hier in Wellington gab es in den 90ern eine solide Clubszene. So haben wir uns ja letztendlich auch alle kennengelernt. Wir haben uns durch DJ Fitchie (Gründer Chris "Mu" Faiumu, Anm. d. Red.) kennen gelernt, der hat damals in vielen Clubs aufgelegt. Von dort aus ist die Band gewachsen, wir haben irgendwann angefangen, instrumentale Versionen seiner Platten zu spielen, dann eigene Beats gemacht. Der Jamming-Aspekt von House und Dance Music war immer Teil von Fat Freddy's Drop. Der Kniff bei uns besteht darin, dass wir diese Musik in einer Art und Weise präsentieren, die nicht künstlich erscheint. Unsere Form gibt der Musik mehr Schwere. So würdigen wir unsere kollektive Vergangenheit in vielerlei Hinsicht.
Ist der Ford Cortina eigentlich ein besonders bekanntes Auto in Neuseeland?
Auf jeden Fall! Es ist nicht das Auto schlechthin, aber es ist definitiv ein Lieblingsauto der Studenten in Neuseeland – besonders damals, als wir selbst noch Studenten waren. Der machte alles mit, war nicht sehr teuer. Wir lieben das Auto. Der Name des Songs hat aber auch mit unserem Sinn für Humor zu tun. Wir nehmen uns selbst nicht zu ernst. Der Titel bedeutet nicht wirklich etwas, wir haben ihn einfach so genannt, als wir daran gearbeitet haben und der Name ist geblieben. Alle Songs haben irgendwelche Arbeitstitel bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie auf die Platte kommen. Bei manchen denken wir uns: Ok, es gibt nichts besseres als den Arbeitstitel. Also belassen wir es dabei.
Spielt ihr immer noch in euren eigenen Bands oder seid mir mittlerweile voll und ganz auf Fat Freddy's Drop konzentriert?
Ich würde sagen Fat Freddy's Drop nimmt mittlerweile den größten Part ein. Wir haben nicht mehr viel Zeit und Energie für andere Dinge. Aber trotzdem mögen wir es, an anderen Dingen zu arbeiten. Wir machen alle von Zeit zu Zeit noch andere Sachen, Arrangements für andere Leute, Soundtracks für TV-Dokumentationen. Das tut doch auch gut, hält dich frisch und die Rückkehr zu den Freddys bringt jedes Mal neue Energie und Motivation.
Euer Studio ist ja in einem ehemaligen Vinyl-Presswerk. Stehen da keine alten Maschinen mehr rum? Im Moment könntet ihr die für verdammt viel Geld verkaufen?
Leider nein (lacht). Verkaufen würden wir die aber nicht, sondern lieber unsere eigenen Platten pressen. Man bekommt ja einfach keine Termine – Vinyl-Hype und der Record Store Day mit seinen Re-Releases sind schuld daran. Nebenbei: Ich halte diesen Vinyl-Trend für eine gute Sache, auch wenn man diese Re-Releases gar nicht braucht. Es fühlt sich besser an, es klingt besser, es riecht besser und es sieht besser aus. Es geht nichts über Vinyl und ein gutes Soundsystem. Ich liebe das.
In der Vorbereitung des Interviews ist mir aufgefallen, dass es keine Interviews mit Joe, eurem Leadsinger, gibt.
Er ist ein Mysterium (lacht). Er repräsentiert sich selbst ausschließlich auf der Bühne und durch Lyrics und Gesang. Außerdem spielt er ständig Online-Games, was es schwierig macht, Zeit für Interviews zu finden. Er ist Hardcore-Gamer. Shooter scheinen sein Ding zu sein.
Hast du einen Lieblingstrack auf der neuen Platte?
Ich bin wirklich stolz auf „10 Feet Tall“. Die Band wird so lange schon mit Dub und Reggae assoziiert und mit diesem Song haben wir den Rhythmus genau getroffen. Und der Track hat so typische Elemente wie diese verrückten Bläser und natürlich Dukies wundervolle Vocals. „Razor“ ist auch ziemlich gut geworden.
Welche Artist würdet ihr gern featuren?
Da gibt es viele. Es wäre großartig, mit einem echten Star wie Kendrick Lamar zu arbeiten, herauszufinden, wie so jemand eigentlich tickt. Was ich mich auch gefragt habe: Wie würde wohl Thundercat zusammen mit uns klingen? Er hat einen ähnlichen Ansatz in der Musik und wir haben schon Mal ein paar Shows zusammen gespielt, als er noch Teil von Erykah Badus Band war. Er ist ein cooler Typ. Also Kendrick Lamar, Thundercat, Bill Withers natürlich, denn er ist ein großartiger Sänger. Er hat großen Einfluss auf Joes Vocal-Style. Aber ich denke im Moment vor allem über Remixe nach. Zum letzten Album waren die wirklich gut. Theo Pharrish hat einen gemacht, DJ Cosmo (Colleen „Cosmo” Murphy, Anm. d. Red.) und auch Ashley Beedle. Es gibt diesen afrikanischen Deep-House-Produzenten namens Black Coffee, ich glaube er könnte einen super Job in Sachen Remix machen.
Wahrscheinlich wird es also einige Remixe zur neuen Platte geben.
Ich hoffe doch! Fingers crossed.
Letzte Frage: Stell dir vor du triffst ein nettes Mädchen in einem Club. Du erzählst ihr, dass du in einer Band spielst. Sie fragt: Was für Musik spielt ihr? Was antwortest du?
Ich würde antworten: gute Musik. Sehr gute Musik. Vielleicht elektronischen Dub & Soul.
Sie hat keine Ahnung von Musik, unter Dub kann sie sich nichts vorstellen.
Dann würde ich sagen: Du musst dir Lee Perry und King Tubby anhören. Und Grace Jones. Und dann kennst du Dub (lacht).