Rewind: Klassiker, neu gehörtPixies – Doolittle (1989)

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Dem Sound der Pixies konnte man Ende der 1980er-Jahre nicht mit einem einzigen beschreibenden Begriff beikommen. Dafür war viel zu viel los im Kopf von Frank Black aka Black Francis, der das Songwriting fast schon manisch an sich riss und seine drei Band-Mitglieder Kim Deal, David Lovering und Joey Santiago auf die Plätze verwies. Das sollte später zu Problemen führen. 1989 jedoch, als „Doolittle“ auf 4AD erschien, war noch fast alles in Butter. Blacks exaltierter Gesang wuselte selbstsicher durch einen musikalischen Kosmos, der zwar Hardcore atmete, aber viel mehr wollte und war. In der US-amerikanischen Heimat der Band wurde „Doolittle“ zwar nicht ignoriert, den großen Erfolg feierte die Band jedoch in Europa. Das Album erreichte in Großbritannien die Top 10, der Song „Monkey Gone To Heaven“ ist einer der ganz großen Klassiker der Musikgeschichte. Und über Klassiker debattieren Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann besonders gern. Ein seltener Moment der Einigkeit entspinnt sich zwischen den beiden Musikkritikern: zwischen Vinyl-zerstörendem Bauschutt, Spotify-Payola und Musik-inspirierter Kunst. Derweil wacht der Monkey im Heaven über einen in der Berliner Hitze wild ventilierenden PowerMac und hält Kurt Cobain die Ohren zu. Zeit abzuhotten.

Martin Raabenstein: Das Wetter entspricht nicht so ganz dieser Musik, es ist zu heiß.

Thaddeus Herrmann: Aber bei Rockmusik geht es doch um Schweiß. Das ist ja so ein Album, das man eigentlich zu fast allen Gelegenheiten hören kann. Wenn man es denn mag.

Martin: Das wird dann aber jetzt sehr sehr schnell schwitzig hier, lass uns erst mal abhotten.

Thaddeus: Zu welchen Tracks bzw. Styles hottest du denn besonders gerne auf „Doolittle“? Genau das macht für mich dieses Album aus. Es will ein bisschen alles sein und passt so eigentlich gar nicht in die Post-Hardcore-Zeit der USA. Wenn die überhaupt schon vorbei war, ich kenne mich da nicht so richtig gut aus. Aber Hardcore dies ja never, wie we all know.

Martin: „Debaser“ lief ja schon, da lassen wir den Post-Pogo raus. Bei „Monkey Gone To Heaven“ müssen wir dann zwischendurch eng kuscheln und uns gegenseitig befeuchten – und so weiter. Soviel zum Thema der Thaddi mag den Martin, das behandelt aber noch nicht die Musik.

Thaddeus: Ist mir eigentlich ganz recht so. Denn erstens passt die Platte ja wirklich nicht in die Gemengelage der Zeit damals, und zweitens könnte ich dazu sowieso nichts besonders Qualifiziertes sagen. Ich kaufte die Platte damals, weil sie auf 4AD erschien. Das Label mochte ich ja, wie du weißt, und das Album war Thema. Aus der Erinnerung heraus fand ich das auch ganz gut damals. Und dann passierte Folgendes: Die Platte lag auf dem Plattenspieler, das Fenster war auf. Unser Haus war eingerüstet. Es windete, und als ich wieder auf den Plattenspieler schaute, war „Doolittle“ professionell mit Baustaub eingestaubt. Wie man Platten wäscht, wusste ich damals nicht so richtig und habe es – naja – genau falsch gemacht. Ich hab das Album dann irgendwann weggeschmissen. Das tat mir schon leid, aber motiviert genug, es nochmal zu kaufen, war ich auch nicht. Die Pixies standen ab diesem Zeitpunkt auf meiner Bauhelm-Liste.

Martin: Selbstverständlich war auch ich 4AD-Fan, dieses Album war natürlich auch wegen des Artworks von Vaughn Oliver ein absolutes Must.

Thaddeus: Oh ja, sieht toll aus, eines seiner besten Cover.

Martin: Ich fand die Stücke ganz ordentlich bis „Monkey Gone To Heaven“ kam, das hören wir ja auch gerade. Boom. Den Track habe ich 20 Mal hintereinander gespielt. Ganz großes Tennis! Die Englischkenntnisse eines durchschnittlichen Deutschen wachsen ja langsam im Alter, meine waren damals, nun ja, eher basic. Aber das hier war von Anfang an einer meiner Top-Ten-Tracks und ist er auch heute noch. Ich habe sogar ein paar Jahre später eine Ausstellung danach benannt.

Thaddeus: What? Zeig mal!

Martin: Moment ...

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Martin Eugen Raabenstein, Phosphor 7, (dreiteilig) je 70 x 50 cm, 1995. Aus der Ausstellung „Monkey Gone To Heaven“, Galerie Loulou Lazard, Berlin, 1995.

Thaddeus: Über die Lyrics von Black Francis wurde und wird nach wie vor viel gerätselt. Er stammt aus einem religiösen Elternhaus, konkret aus einer Familie, die der Pfingstbewegung angehörte. Als zwangsverpflichteter Charismatiker hat man sicher viel zu verarbeiten. Aber auf diesem Level habe ich mich nicht mit der Band auseinandergesetzt. Ich fand das eher immer schön, wie er brüllt und dass es danach sofort musikalisch in etwas ganz anderes umbricht.

Martin: Genau erfasst, diese Stop-and-go, die zielgenaue Steuerung von Emotionen, einfach genial.

Thaddeus: Der Produzent des Albums, Gil Norton – ein Engländer wohlgemerkt – sagte über die Pixies: „Die schreiben Songs übers Ficken“. Das reicht mir eigentlich vollkommen aus. Aber: Das was ich damals verstand, fand ich angenehm mysteriös und nicht so leicht zu dechiffrieren. Alles im grünen Bereich also. Dieser Norton hat den Sound der Band ja auch ganz professionell aufgebrezelt. „Surfer Rosa“ war schon anders und entstand natürlich auch unter ganz anderen Bedingungen. Mit „Doolittle“ hatten sie in den USA ja schon einen Major-Anschluss und haben das Budget schön auf den Mischpult-Kopf gekloppt. Es ist aber auch ästhetisch eine ganz andere Welt, Steve Albini hatte da beim Vorgänger schon andere Vorstellungen.

Martin: „Doolittle“ ist für mich auch ein Meilenstein, eher ein Schlussstein. Das war das letzte „Wie auch immer du das nennen magst“-Rockalbum, das ich in meine Sammlung schob, ein klarer, mächtiger Tusch – und Schluss. Dann kam HipHop, danach Warp, irgendwas war da bei mir abgeschlossen. Nirvana stand nicht mehr auf meiner Liste.

Thaddeus: Auf meiner auch nicht. Sorry, Kurt. Interessant muss die Zeit damals aber doch gewesen sein, wenn man sich denn für Rockmusik interessiert. Innerhalb von knapp zwei Jahren erschien erst „Surfer Rosa“ von den Pixies, aber auch Sonic Youths „Daydream Nation“, „Superfuzz Bigmuff“ von Mudhoney, „You’re Living All Over Me and Bug“ von Dinosaur Jr., Butthole Surfers’ „Hairway to Steven“ und Galaxie 500s „Today“. Dann kam „Doolittle“. Und wenige Tage später „Bleach“ von Nirvana. Mögen es die Rocker in die Kommentare schreiben, was ich hier für einen Wahnsinn dahin argumentiere, ich nahm das damals nur an der Peripherie wahr. Ich las irgendwo den schönen Vergleich zwischen Pixies und Nirvana. Dass die ersten beiden Alben der Bands jeweils große Ähnlichkeiten aufwiesen. Im Songwriting, in der Produktion, etc. Pixies legen mit „Doolittle“ vor: ausdefinierter, verspielter, und später dann macht Nirvana mit „Nevermind“ das Gleiche – nur eben für Schwerhörige. Fand ich ganz gut.

Pixies Porträt

Pixies, Ende der 1980er-Jahre: Kim Deal, Black Francis (aka Frank Black), David Lovering und Joey Santiago. Foto: Promo

Martin: „Smells Like Teen Spirit“ kenne ich nur als Track, das Album habe ich nicht angefasst, und das war lange vor Napster, iTunes oder Spotify. Man könnte annehmen, dass genau zu Beginn der Neunziger ein dezenter aber nachhaltiger Bruch stattfand. Wurdest du vor diesem Cut durch eine Single oder einem Track auf eine Band aufmerksam, hast du dir auch das folgende Album reingezogen. Diesen Drang nachzuforschen, mehr zu erfahren oder zu bekommen, nenn es wie du willst, hatte ich ab diesem Zeitpunkt plötzlich nicht mehr.

Thaddeus: Dann bist du ja praktisch der „Patient Zero“ der Generation Spotify. Ich versuche mich zu erinnern, wie das bei mir war. Ich habe eigentlich immer parallel gekauft – Alben und Singles. Oft aber auch nur die Single, wenn mich die LP dann im WOM am Vorhörtresen nicht so gezockt hat. Das „Konzept Album“ wurde zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch nicht in Frage gestellt – so wie es in den vergangenen Jahren bei vielen Künstler*innen der Fall war. Das ist ja aber auch ein Genre- und Generations-Phänomen. Auch heute werden Alben ja noch am laufenden Meter produziert, nur eben nicht mehr zwingend überall. Die Bedeutung der LP hat sich verändert und ist manchmal einfach nicht mehr so entscheidend. Man stelle sich vor, die Pixies oder Nirvana wären heute im Studio. Gut, die Pixies waren gerade im Studio, das neue Album erscheint ja schon im September. Wenn es Black Francis gewollt hätte, dann hätte er sich bei Spotify ja eine umfassende Datenanalyse anfordern können. Welche Songs laufen am besten, an welchen Stellen springen die Hörer*innen ab, welcher Track ist vielleicht zu lang? Das sind Informationen, mit denen heute aktiv gearbeitet wird. Eine furchtbare Vorstellung. Nachvollziehbar, aber auch extrem pervers.

Martin: Die Aufmerksamkeitsspanne der Hörer*innen liegt heute deutlich unter drei Minuten. Das kann und möchte ich nicht weiter kommentieren. Es wäre so schön und einfach zu sagen, ich bin da zu alt für, ich bin da raus. Ob ich da mit meiner Annahme recht habe, wann genau der Korken aus der Flasche flog, ist dann auch völlig wumpe.

„Was der Payola-Mafia lieb war, ist dem Soundcloud-Rapper nur recht.“

Thaddeus: Ich weiß gar nicht, ob die Aufmerksamkeitsspanne wirklich gesunken ist bei der Musik. Zieht man das Phänomen größer auf, dann natürlich schon, und das wird auch gewisse Auswirkungen auf die Musik haben, keine Frage. Der Vorwurf, der aktuell diskutiert wird, ist ja der, dass die Songwriter*innen die Länge der Tracks ganz bewusst kürzen, weil sich so mehr Streams und also auch mehr Gelder auf Spotify generieren lassen. Wirklich schlimm finde ich das gar nicht – den Radio-Edit gibt es ja auch schon ewig. Und was der Payola-Mafia lieb war, ist dem Soundcloud-Rapper nur recht.

Martin: Das ist doch albern. Aber so funktioniert Kapitalismus, warum sollte ich mit einem Euro zufrieden sein, wenn du mir auch freiwillig zwei geben möchtest? Und wenn es gerade so megageil ist, gibst du mir auch freudig erregt zehn Euro. Vielleicht ist albern auch einfach der falsche Begriff, im Grunde ist das alles sehr traurig. Der Kunde, das Schaf, die Lemmingnummer, kriegen wir da noch einen Bogen raus?

Thaddeus: Eigentlich kann uns das – also uns beiden – ja auch egal sein. Weil: Wenn was wirklich megageil ist, dann werfen wir die zehn Euro eben auf Bandcamp ein, und Daniel Ek oder Eddy Cue schauen in die Röhre. Wenn die Songs kürzer werden, dann werden sie eben kürzer. Die Pixies haben immer kurze Tracks gemacht, die Verräter, und die Punks erst recht. Wusstest du, dass die aktuell teuerste verkaufte Platte auf discogs.com in England eine Sex-Pistols-7“ ist? There. Kapitalismus my underground ass.

Martin: Was haben alte Fünf-D-Mark-Silbermünzen mit Elvis gemeinsam? Ganz einfach: Wenn es keinen mehr interessiert, ist der Mehrwert im Orbit. Da kannst du dann locker 50.000 Dollar für eine Erstauflage rausgehauen haben, wenn die alte Schmierlocke nicht mehr im Fokus ist, kannst du da Erdnussschälchen draus machen.

Thaddeus: Was ist uns denn nun „Doolittle“ 30 Jahre später noch wert? Mir so geht so: Klingt alles super und crazy, aber ich muss auch konstatieren, dass ich die Band danach nicht weiter verfolgt habe. Das war gar keine bewusste Entscheidung, hat es eher so beiläufig ergeben. Schön eigentlich, dass Black Francis die Kim Deal so schlecht behandelt hat, dass sie schließlich ausstieg und mit The Breeders gemeinsam mit Tanya Donelly etwas hingestellt hat, das heute noch mindestens genauso nachhallt wie der Monkey im Heaven.

Martin: Ich finde das Album immer noch fresh, es kommt ja gerade auch wieder ein dezentes Lüftlein auf, da kann jemand nicht nur Gas geben, sondern auch verschiedene Gänge benutzen – und weiß auch wo der Rückwärtsgang ist. Zehn von zehn Punkten. By the by, wollten wir nicht noch ein bisschen Nirvana dissen?

Das neue Album der Pixies heißt „Beneath the Eyrie“ und erscheint am 13. September. Noch im Juni startet eine zwölfteilige Podcast-Serie über die Band.

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