„Pop steht uns“Im Interview: Funkstörung sind wieder da
22.6.2015 • Sounds – Interview: Thaddeus HerrmannDie 1990er-Jahre wären ganz schon langweilig gewesen ohne Michael Fakesch und Chris De Luca. Ihr gemeinsames Projekt Funkstörung war musikalischer Garant für große Momente der Schönheit und der gleichzeitigen Zerstörung. Es war die Zeit der Laptops, der Plug-ins, der Screengazer, der plötzlich in jeden Rucksack passenden technischen Revolution. Nie wieder kamen sich Mensch und Maschine näher. Dieser Hightech-Sound prägte nicht nur ihre eigenen Platten, sondern auch die großer Pop-Künstler. Egal ob Björk, Wu-Tang Clan, Tocotronic oder Nils Petter Molvaer: Die vertrackten und immer vom HipHop inspirierten Rumpelbeats von Funkstörung regierten lange Zeit die Welt. Irgendwann war dann Schluss. Jetzt, nach zehn Jahren Pause, veröffentlichen De Luca und Fakesch wieder ein gemeinsames Album. Passenderweise auf Monkeytown, dem Label von Modeselektor. Das passt nicht nur wie Arsch auf Eimer, sondern ist auch richtig gut.
20 Jahre Funkstörung, verdammte Scheiße!
Michael Fakesch: Pfff, das stimmt ja nicht mal. Vor 24 Jahren haben wir die ersten Tracks gemacht.
Aber ihr habt ja auch geschummelt, eine sehr lange Pause gemacht.
Chris De Luca: Minus acht Jahre? Zehn Jahre?
Fakesch: Ich mag mir das gar nicht recht vorstellen. Wir haben ja mindestens zwei Generationen von Musikhörern übersprungen.
Das ist bei Funkstörung ein wichtiger Aspekt. Eure Musik und euer Sound waren immer sehr zukunftsorientiert, eine permanente Auseinandersetzung mit dem technisch Machbaren. Wenn ihr zurückdenkt an eure Anfangszeit und die Tracks von damals Revue passieren lasst: Wie fühlt sich das an? Was ihr damals mit entwickelt habt, ist heute ja Teil des Mainstreams.
Fakesch: Ich habe tatsächlich einen guten Teil unserer Produktionen gar nicht mehr auf dem Zettel. Einfach vergessen.
De Luca: Mir ist das erst kürzlich auch passiert, in einem Café. Da lief einer meiner eigenen Tracks, also nicht mal ein Stück, das ich mit Michael zusammen produziert hatte. Ich mochte den Beat und wollte schon fragen, was das denn sei. Bis mich ein Bekannter darauf hinwies, dass das Stück von mir ist. Ist auch egal, mann kann nicht immer alles wissen und kennen.
Ist das so?
De Luca: Ach, ich schaue lieber nach vorne.
Bei der Produktion des neuen Albums habt ihr aber doch bestimmt mal quergehört.
Fakesch: Da sind schon Sachen dabei, die ziemlich weit vorne waren. Das ist gar nicht arrogant gemeint. Unser Sound von damals ist im Jetzt angekommen, ist zeitgenössisch. Das fühlt sich gut an, weil es beweist, dass wir damals vieles richtig gemacht haben. Aber: Heute sind wir der Zeit nicht mehr um zehn Jahre voraus. Doch auch das ist total super! Die Menschen sind weniger irritiert von unserer Musik. Die Standardsprüche von damals à la „Ist da was kaputt? Die CD springt! Ich hab’ mir den Fuß gebrochen beim Tanzen“ fallen weg, weil die Art und Weise, wie wir mit Sound umgehen, heute akzeptiert ist. Irgendetwas haben wir also richtig gemacht. Und wenn die Reaktion auf unser neues Album „Das ist aber eine schöne Pop-Platte“ ist: sehr gut.
De Luca: Wir hatten und haben immer noch Spaß an Technologie. Das ist auch der Grund, warum wir uns damals so mit neuen Plug-ins auseinandergesetzt haben und diese Sounds als Basis von Funkstörung verwendet haben. Es ging aber nie darum, das einzusetzen, um anders zu klingen als andere Produzenten. Es hat uns einfach fasziniert. Und irgendwann hat der Mainstream eben mitbekommen, womit der Underground so musiziert. Wir waren ja nicht die einzigen, die so gearbeitet haben.
„Wir sind unserer Zeit nicht mehr um zehn Jahre voraus. Total super!“ (Fakesch)
Wer ist uns denn heute um zehn Jahre voraus?
Fakesch: Autechre. Immer noch!
De Luca: Stimmt das? Ich bin mir nicht so sicher.
Fakesch: Gut, ich muss auch zugeben, dass ich mir die letzten Platten der beiden nicht so oft angehört habe, das ist selbst mir zu technisch. Aber dann habe ich ja doch wieder recht. Man muss das ja auch immer in einem größeren Zusammenhang sehen. Wir waren damals in dem Alter, dass uns dieser Sound einfach prägen musste. Wer damals schon 40 war, hat vielleicht die Nase gerümpft, weil ihn ähnliche Ansätze 20 Jahre zuvor ebenso geprägt hatten.
De Luca: Es gab aber auch seitdem keine gleichbaren technologischen Durchbrüche mehr. Die Granularsynthese in Plug-in-Form hat alles verändert.
Fakesch: Einzig die Bedienbarkeit ist besser geworden. Das hat, glaube ich, auch dazu geführt, dass dieser Sound heute so verbreitet ist. Man muss sich nicht mehr so intensiv mit einem Tool auseinandersetzen, um diese Effekte zu erreichen. Und was einfach zu bewerkstelligen ist, setzt sich im Mainstream fest. Vor allem in der Rhythmik.
Musik wird heute auch viel schneller rezipiert und adaptiert.
Fakesch: Ich find’s immer noch irre, dass Lady Gaga Glitch-Breaks in ihren Tracks hat.
Das Filter: Meine These ist, dass ihr das mit euren Remixen ganz stark befördert habt. Ihr habt bewiesen, dass die Produktionstechniken nicht nur in Tracks, sondern auch in Songs funktionieren können. Björk, Wu-Tang Clan …
Warum habt ihr euch nach zehn Jahren wieder zusammengetan?
Fakesch: Da ist Andi Thoma von Mouse On Mars dran schuld. Der wollte unbedingt ein neues Funkstörung-Stück für eine Compilation und hat uns praktisch dazu gezwungen, gemeinsam im Studio zu arbeiten. Das Überraschende dabei war, dass es sich toll angefühlt hat. Wir hatten beide ein Flashback à la: „Ist ja wie früher“. Also haben wir ein bisschen gewurschtelt und aus Ideen und Skizzen dann die Funkstörung-Essenz rausgezogen. Andi hatte uns zu diesem Zeitpunkt auch schon bei Monkeytown untergebracht. Spätestens da gab es kein Zurück mehr.
Ihr habt vorhin schon gesagt, dass Funkstörung heute in Sachen Sound nicht mehr zehn Jahre voraus ist. Es ist ja auch so, dass durch technische Innovationen bestimmter Klang auch sehr schnell langweilig werden kann, weil der Einsatz der Tools einfach überrissen wird. Oder man als Produzent in die „alten Fallen“ tappt und sich wiederholt. Wie habt ihr das verhindert?
De Luca: Indem wir zunächst einen Kassensturz gemacht und uns gegenseitig auf den aktuellen Stand gebracht haben. Was gefällt uns. Was hören wir aktuell, was haben wir in den vergangenen Jahren gehört. Und was zur Hölle ist denn sonst noch so passiert da draußen? Wenn wir zusammen Musik machen, dann klingt das immer nach Funkstörung. Das lässt sich gar nicht verhindern. Aber wir wollten nicht einfach da anknüpfen, wo sich unsere Wege damals getrennt hatten. Wir haben gesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir modern klingen.
Man muss ja erstmal gar nichts.
De Luca: Aber man entwickelt sich ja weiter. Auch was das Drumherum angeht: das Mixing, das Mastering. Allein deshalb klingt das Album schon anders und moderner. Dank neuer Fertigkeiten, die man sich aneignet.
Chris, du hast in den vergangenen Jahren ja noch ziemlich viel Musik veröffentlicht. Was hast du eigentlich so gemacht, Michael?
Fakesch: Ich bin hauptberuflich Werbe-Bitch. Das darf man heutzutage ja sagen. Wenn du zum Beispiel Pro7 schaust und ein Trailer läuft, dann ist die Chance ganz gut, dass die Musik von mir ist. Kann man von halten, was man will, mich hat es tatsächlich musikalisch weitergebracht. Weil man ja die unterschiedlichsten Dinge abliefern muss. Mit denen kannte ich mich am Anfang gar nicht aus. Wie geht denn so ein vom J-Pop inspirierter Happy-Happy-Song? Also höre ich mich da rein, ob ich nun will oder nicht. Und natürlich nimmt man bei dieser Recherche auch immer etwas mit, auch wenn du vielleicht gar nicht zufrieden bist. Dein Name taucht ja nirgendwo auf.
Ist das nicht auch sehr befreiend, wenn der Bezug zur Musik abstrakter wird?
Fakesch: Total. In diesem Business zu arbeiten, greift aber tiefer. Vom ganzen Stress abgesehen. Auch diesbezüglich habe ich, nein: musste ich viel lernen. Deadlines. Ich kann jetzt viel besser Projekte einfach abschließen.
So eine Rolle im Hintergrund, als Produzenten-Duo, die hätte euch schon damals gestanden und würde es euch auch heute noch tun.
Fakesch: Wir haben das ja ein paar Mal ausprobiert. Aber vielleicht fehlten uns damals dafür auch noch wichtige Dinge.
De Luca: Der Rahmen muss einfach stimmen. Das war ja früher oft schon bei Remixen das Problem. Es ist einfach nicht dein Track. Und zeitlich ist es genauso aufwendig wie ein eigenes Stück. Das kann auch frustrierend sein. Aus der heutigen Perspektive war unsere Herangehensweise aber dennoch okay. Zwar haben wir nie über Nutzungsrechte unserer Mixe für andere Künstler nachgedacht und mussten viel Lehrgeld zahlen, andererseits hätten wir ohne bestimmte dieser Mixe nie unseren Vertrag mit K7 bekommen.
Nun spielen Vocals, also das, was ihr früher bei den Remixen immer besonders im Blick hattet, auch eine entscheidende Rolle auf dem neuen Album. Das ist fast ein bisschen arg Feature-mäßig.
Fakesch Ich hab ja gesagt: Wir hatten kein Konzept! Im Ernst. Das ist uns bewusst. Aber: Immer, wenn wir einen Instrumental-Track machen wollten, der dann auch eigentlich fertig war und geil, dann haben wir noch eine Vocal-Spur drübergekippt. Und dann war das Stück halt nochmal toller. Kickt mehr. Für mich ist das auch ein ganz wichtiges Bindeglied zwischen Musiker und Hörer. Ich höre kein Instrumental länger als zwei Minuten.
Das passt ja. Die Instrumentals sind ja allesamt extrem kurz auf der neuen Platte.
Fakesch: Das war auch das Feedback von Modeselektor, als wir ihnen die ersten Stücke vorgespielt haben. Die beiden hätten sich nie eingemischt, sagten aber etwas, was hängengeblieben ist: Pop steht uns. Das sagt sich so leicht. Stimmt ja aber irgendwie!