Filter Tapes 044„Der Weltenwanderer“ von Stimming

Filter Tape 044 - Kasper Bjorke - Illu

Dieses Filter Tape ist das allererste Liveset überhaupt in unserer langjährigen Mixreihe. Es stammt von Stimming, der sich seit Jahren einen Namen als einer der ausgefuchstesten Producer überhaupt im Clubsektor erarbeitet hat. Mittlerweile kennen viele Martin Stimming auch als YouTube-Musiktechnikpapst. Daher wundert es nicht, dass unser Interview auch schnell zum Nerd-Talk wurde. Aber es gibt einiges zu diskutieren. Zum Beispiel, wieso Computer so schlechte Instrumente sind, die eigentlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen eines guten Livesets und was mit Musik passiert, wenn sie keiner Gastro-Funktionalität mehr unterliegt.

Lieber Martin, vielen Dank für dein Filter Tape. Erzähl uns was über die Idee und das Konzept dahinter. Es handelt sich diesmal um ein Liveset.
Ich habe das Set hier bei mir zu Hause gemacht. Ich habe in meiner Wohnung ein minimales Studio eingerichtet und bereite mich gerade für meine Livesets vor. Das Besondere ist: Ich habe diesmal mit der Blackbox von 1010music gearbeitet. Zuvor habe ich viele Jahre mit dem Octatrack gearbeitet. Das war mein Mutterschiff. Das Gerät gibt es jetzt zehn Jahre und es fliegt mehr und mehr aus meinem Setup raus. Der Zenith ist überschritten. Bei meinem Filter Tape habe ich viel mit einer neuen Generation von Geräten gearbeitet. Das funktioniert immer besser und bekommt eine eigene Energie und Dynamik.

Dein Setup entwickelt sich ständig weiter.
Das ist immer in Bewegung. So ein Set ist viel Arbeit. Oft will man funktionierende Systeme nicht ändern, weil viel Zeit dran hängt. Aber gerade der Octatrack war erstmal ein riesiger Arbeitserschaffer. In das Gerät Tracks reinzukriegen und Files richtig zu organisieren, war limitiert und nicht einfach. Die Blackbox ist sehr modern. Es gibt Touchscreens, Daten werden von einer SD-Karte gestreamt.

Du spielst live ja bewusst ohne Laptop.
Seit sieben Jahren mittlerweile. Das ist eine Riesenaktion, weil es zwei oder drei Geräte auf dem Markt gibt, die den Rechner wirklich ersetzen können. Dann muss das intuitiv und schnell bedienbar sein. An dem Punkt wird die Hardware aber besser als ein Computer. Der Computer ist eine eierlegende Wollmilchsau. Die kann zwar einerseits alles, aber andererseits nichts richtig.

Es ist halt kein Musikinstrument. Am Ende ist das eine sehr potente Schreibmaschine.
Genau. Da rauszukommen, war nicht einfach. Ich musste ein eigenes Gerät entwickeln, damit das alles wieder laut und fett wird. Beim Computer hat man am Ende Limiter und Kompressor, die man dranhängen kann. Aber wenn man wie ich ohne Laptop spielt, muss man eigene Kompressoren mitbringen, die sind wiederum zu schwer und zu groß. Deshalb habe ich angefangen, ein eigenes Device zu entwickeln. Das klingt größenwahnsinnig, aber mittlerweile kann man das Ding sogar kaufen.

Du hattest das Teil auf der Superbooth vorgestellt.
Das DOCtron IMC. Ich habe mich der Herausforderung gestellt, den Computer loszuwerden und ein gut klingendes, spannendes Set zu bauen. Gleichzeitig begrenzt man sich, was am Ende eher Freiheiten gibt. Für Computer gibt es Controller, man baut Makros, belegt alles einzeln und plötzlich kann ich das nicht mehr bedienen, weil man nicht mehr weiß, welche Taste mit was belegt wurde. So ein fertiges Gerät, das diese Arbeit für dich erledigt, gibt die Zeit für andere Aspekte frei. Man ist limitiert und dadurch bekommst du eine Freiheit, die vor allem Spielfreude erzeugt.

Stimming Press Pic 1 by Randy Rocket

Stimming: Taube auf der Hand. Nicht taub auf den Ohren | Foto: Randy Rocket

Mit was für Instrumenten hast du noch unser Filter Tape aufgenommen?
Derzeit habe ich hier die Drum Machine Tempest von Dave Smith stehen. Ich wusste nicht, wie geil die ist. Da habe ich richtig rote Ohren bekommen, weil die so toll ist. Dann habe ich den Synthesizer Wing Pinger von Meng Qi. Das erste chinesische Instrument, das ich besitze. Das sind zwei Filter, die per Resonanz zum Schwingen gebracht werden. Die sind so designt, dass die immer schwingen. So können sie sich gegenseitig beeinflussen. Der Designer schrieb dazu, dass er sich wünscht, dass wir ein spielerisches Leben damit haben und wir uns auf die schönen Dinge des Lebens fokussieren. Ein besonderes und komisches Gerät, das ganz bestimmt niemals in irgendeinem Popsong zu hören sein wird. Das finde ich spannend.

Dein Filter Tape ist minimal und zurückgenommen, es gibt viel Raum. Wie hoch war der Improvisationsanteil?
Bei dem Set hier sehr hoch. Improvisation ist ein scharfes zweischneidiges Schwert. Das kann sehr cool sein oder sehr in die Hose gehen. Wenn ich auf einer großen Bühne stehe, achte ich darauf, dass es einen stabilen Rahmen gibt, so dass ich mit einem Synthesizer wie dem Roland SH-01 darauf improvisieren kann. In diesem Set sind mindestens 50 Prozent improvisiert. Sonst sind es eher 20 bis 30 Prozent. Clubmusik findet nachts um drei statt. Das ist eine Uhrzeit, in der das Gehirn kein Bock hat, Hochleistungen zu vollbringen. Livesets sind aber eine mentale Hochleistung. Das soll nicht gegen DJ-Sets gerichtet sein, aber ein DJ joggt und kann das über viele Stunden machen. Ein Liveset ist dagegen ein Sprint. Zumindest wenn ich den Anspruch habe, den Momenten was hinzuzufügen, Risiken eingehe und Tricks mache, die auch mal schief gehen können. Das ist wie bei einem Skateboard-Trick. Wenn ich den lande und die vier Baustellen im richtigen Moment zurecht gedreht habe, dass alles auf den Punkt weiter geht, dann freue ich mich. Das Risiko kostet aber Energie.

Die Unterscheidung zwischen Liveset und DJ-Set ist dem Publikum nach 30 Jahren oft noch immer nicht klar. Ich erinner mich, wie John Tejada mal meinte, dass während seiner Livesets immer wieder Leute kommen, sich Geburtstagslieder wünschen oder mit einem schnacken wollen und er nur sagen kann: „Sorry, I’m actually doing something here.“
Das hat sich nicht geändert. Alle Versuche wie von Native Instruments mit Stems oder die Projekte von Richie Hawtin – es gibt keinen, der diese beiden Welten wirklich zusammen geführt hat. Das sind völlig unterschiedliche Denkweisen. Bei einem Liveset bin ich ein Extremsport-Unterhalter. Als DJ nehme ich die Leute auf eine längere Reise mit. Das finde ich voll super, wenn du die Leute vier Stunden lang mitnehmen kannst. Ich brauche 20 Minuten, um reinzukommen, und nach einer Weile nehme ich mir Freiheiten und kann da entspannter agieren. Diese Ruhe kommt erst nach einer Zeit. Bei meinem Liveset für euch hatte ich den Vorteil, dass ich diese Ruhe von Anfang schon hatte. Deshalb gibt es Momente, in denen zwei, drei Minuten auch mal nichts passiert. Aber wieso nicht? Es muss nicht immer was passieren.

Wie körperlich sind für dich eigentlich Musikmaschinen? Eine Gitarre oder Geige spielt man mit dem Körper und den Händen. Maschinen zwar auch, aber generell ist das abstrakter und weniger intuitiv.
Die Musikmaschinen, die wir heute benutzen, sind eigentlich noch alle ziemlich scheiße.

Das ist mal eine Ansage, die mir gefällt!
Ja, das kann man nicht anders sagen. Der Computer ist besonders beschissen. Es gibt ein paar Hardware-Geräte wie den Roland SH-01, die eine ganz einfache Klangerzeugung mit Fadern haben. Hier sieht man auf einem Blick, wie etwas klingt, – was es für Möglichkeiten gibt und wie ich eingreifen kann. Trotz allem muss ich einen Fader hin und her bewegen. Das geht natürlich ins Rückenmark, auch eine gute Drum Machine geht irgendwann ins Rückenmark. Bei einer Tempest merke ich, dass es eine Lebendigkeit in Grooves geben kann, bei der die klassische 808 irgendwann die Segel streicht. Was ich aber meine – wieso die alle scheiße sind – sind die Interfaces. Die Frage ist doch: Hier sind meine Hände, da mein Kopf, und wie kommen meine Gedanken durch die Hände und wie können sie das, was ich denke, dem Instrument beibringen? Bei einer Geige oder einem Klavier ist das Interface über Jahrhunderte gewachsen, und heute sind die perfekt. Davon sind elektronische Musikinstrumente noch weit entfernt. Und der Computer ist davon am weitesten entfernt. Technisch oder klanglich wurden die Grundlagen in den 70ern mit den Modularsystemen von Moog schon gelegt. Heute gibt es Controller, mit denen man mit einer Taste mehrere Parameter steuern kann. Ein gutes Beispiel ist Haken Audio. Die kosten aber bis zu 8.000 Euro. Es gibt Sachen wie das Linnstrument, aber ich finde die alle noch nicht geil. Eine Plastikoberfläche, die man berührt und erst reagiert, wenn man so fest drückt, dass es nicht mehr echt ist.

Als latenter Kulturpessimist könnte man sich musikalisch fragen, wo dennoch der Fortschritt in Techno und House die letzten zehn Jahre geblieben ist.
Vor kurzem hatte ich ein Interview mit Deutschlandfunk Corso. Da wurde ich genau das gefragt. Ich meinte, dass sich die Technik schon verbessert. Gerade die Lautsprecher haben sich enorm weiter entwickelt. Die werden wirklich immer besser. Aber Leute, hört euch mal Arca oder Second Woman an. Es gibt Artists, die machen mit Technik oder einfachen Max-for-Live-Patches Sachen, das ist absoluter Wahnsinn. Wer das nicht hört oder nicht versteht, ist ein griesgrämiger Idiot. Es gibt einige, die das gerade musikalisch krass weiter bringen. Die öffnen große Tore, es werden vermeintliche Wahrheiten umgestoßen. Da muss ich eine Lanze für die experimentelle elektronische Musik brechen.

Stimming Press Photo 2 by Randy Rocket

Foto: Randy Rocket

Es gibt ja Tage, an denen man extrem gelangweilt ist und dann wiederum Tage, an denen man das Gefühl hat, Musik wurde neu erfunden.
Wo ich recht geben muss ist, dass Techno heute das ist, was Rockmusik zuvor gewesen ist. Es gab mal eine Aufbruchstimmung, der Rave ist als Ausdrucksform dazu gekommen. In Brasilien läuft Techno aus Deutschland tagsüber im Radio. In Deutschland gilt das zwar als Pseudo-Underground, am Ende ist es aber ein Geschäft, eine Sparte der Gastronomie. Als solche gelten auch gewisse kommerzielle Gesetzen. Und eines lautet: umso größer etwas wird, desto schlechter wird das inhaltlich. Die Leute müssen wissen, was sie kriegen. Warum ist Mario Barth so scheiße? Bzw. warum ist der damit so erfolgreich? Wer sich ein Ticket kauft, weiß genau, welche Witze er reißt. Das Prinzip funktioniert in der Musik nicht anders.

Vor einigen Monaten gab es dein Album „Ludwig“. Dann hast du noch kürzlich ein Album mit Lambert zusammen gemacht.
Das Album mit Lambert erscheint bei XXIM Records, dem neuen Sublabel von Sony. Mit Lambert mache ich seit vier Jahren Musik. Über seine erste Platte bin ich gestolpert, weil sie mir mein bester Freund geschickt hat. Die hat mir so gut gefallen, dass ich ihm auf die Facebook-Wand geschrieben habe. Lambert spielt auf dem Klavier das, was ich gerne spielen würde, wenn ich nur könnte. Da ist etwas Perkussives, Repetitives und Klares drin. Die Harmonien sind eine Mischung aus Klassischem mit Jazz. Lambert springt in den Harmonien, wo ich einfach nicht mehr weiß, wie er da mathematisch hingekommen ist. Aber es ist auch melancholisch, das gefällt mir sehr gut. In der Zwischenzeit habe ich mein Album „Ludwig“ gemacht, da habe ich bewusst den 4/4 verlassen, also die Gastro-Funktionalität, um es ganz böse zu sagen. Es wurde experimenteller und mit dem Wissen dieser Platte, habe ich die Platte mit Lambert nochmal angehört und festgestellt, dass man da nochmal was rausholen kann. Die Büchse haben wir nochmal aufgemacht, ein paar Tracks rausgeschmissen, andere neu gemacht. Wir haben fast drei Jahre daran gearbeitet. Jetzt bin ich wirklich stolz auf das Album. Ich stehe hinter jedem Stück.

Die Räume sind universeller. Die Sounds würden auch im Film gut funktionieren.
Die Möglichkeiten und Funktionen sind größer. Auch im Bereich Sound-Design habe ich Dinge umgesetzt. Zum Beispiel Hallräume, die erst aufmachen und wieder zusammenschrumpfen. Ich musste Lambert triezen, dass ich auch auch vom Klavier andere Sounds bekomme und nicht immer das verfilzte Neo-Klassik-Klavier, das wir mittlerweile so viel gehört haben. Da blutet einem mittlerweile das Ohr. Der Sound ist schön, aber das hat sich bei mir ausgehört. Wenn der Anschlag ganz laut ist, aber der Ton dann so weggenommen wird. Nils Frahm hat das viel gemacht. Das hat ohne Frage eine Magie, aber es ist ähnlich wie eine 808 oder 909, die wir 20.000 mal gehört haben – Ich wollte neue Tonfarben ausprobieren.

Was für ein Instrument würdest du dir für die Zukunft noch wünschen?
Ein großes Thema. Was ich mir tatsächlich wünschen würde, ist ein Touchscreen, der eine eigene Haptik hat. Man stelle sich einen Screen vor, bei dem jeder Pixel erhöht werden kann. So dass man z.B. einen virtuellen Mixer mit Fadern hat, die sich absetzen. Eine Art Knubbel, den man anfassen kann und hoch und runter schiebt. Das wäre die edle Variante. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das mit Strom und Vibration geht. Ein bisschen wie die Touchscreens bei Apple, die auch schon haptisches Feedback haben. In zehn Jahren sollte es so was geben. Das Problem beim Computer ist der visuelle Aspekt. Instrumentendesign ist immer besser, um so weniger visuelle Unterstützung gebraucht wird. Wenn ein Touchscreen aber die Fingersensorik nutzen würde, damit man währenddessen weggucken kann – Das wäre technologisch ein realistisches Etappenziel, das einen Riesenunterschied machen würde.

Stimming Press Photo 3 by Randy Rocket

Foto: Randy Rocket

Tracklist

Stimming - Prepare
Stimming & Marcus Worgull - Cwejman’s tale
Stimming - For my better half
Stimming - Third of June
Stimming - Judith Maria
Stimming & Marcus Worgull - Eiger Nordwand
Stimming - Die Luft
Stimming - Pelikan
Stimming - Oma Doris

Für dieses Filter Tape gestaltete Gabor Farkasch das Artwork. Die Aufgabe: Während der Zeit des Tape-Hörens ein Bild assoziieren, finden, ausdenken und umsetzen. Auch Mixtapes haben passende Bilder verdient. Vielen Dank, Gabor!

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