„Für die Käseglocke Schweiz bin ich ein Freak!“Bonaparte im Interview mit Das Filter
27.5.2014 • Sounds – Text & Fotos: Benedikt BentlerTobias Jundt ist Kopf und Herz des Bonaparte-Kollektivs. Mit dem Debütalbum Too Much gab Bonaparte dem Punk 2008 ein neues Gesicht: Rougher Gitarren-Sound, mit elektronischen Elementen und einem klaren Aufruf zur Rebellion. Doch das ursprünglich aus der Schweiz stammende Projekt ist mehr: Die visuelle Komponente gehörte von Anfang an dazu, die exzentrischen und energiegeladenen Lifeshows sind Teil des Konzepts. 2010 kam My Horse Likes You und es wurde schon elektronischer, so gastierten zum Beispiel Modeselektor auf dem Album. Auf Sorry, We're Open verabschiedete sich Bonaparte weitestgehend vom Gitarrensound. Beats dominierten, Siriusmo, Deichkind, Housemeister hatten daran einen nicht unerheblichen Anteil. Bonaparte nennt sich nun die neue Platte - zurecht, denn sie klingt auch endlich wieder so.
Gitarre, Drums, Synthesizer, Gesang, that's it! Bonaparte besinnt sich zurück auf das klassische Instrumentarium, geht inhaltlich aber einen Schritt nach vorn, wird erwachsener und eine Spur ruhiger. Äußerlich ist das Tobias Jundt nicht anzumerken, er bleibt ein Energiebündel das seinesgleichen sucht. Nach einem Dachkonzert am Vorabend, drei Stunden Schlaf und morgendlichem Videodreh traf Autor Benedikt Bentler den trotz allem hyperaktiven Schweizer im Studio.
Wie war die Dandy Diary-Party gestern Abend?
Wir sind auf dem Dach aufgetreten, die Leute waren unter uns auf der Terrasse. Wash your Thighs und Me so Selfie haben wir gespielt, so HipHop-Techno-Rap-mäßig. Danach kam die Polizei und wir mussten ohne Subwoofer spielen bis wir dann gar nicht mehr durften. Aber eine Party, zu der die Polizei kommt, ist ja immer eine gelungene Party. Ich hab dann auch nur drei Stunden geschlafen. Weniger als drei Stunden sind einfach nicht mehr gesund für mich.
Drei Stunden sind auch nicht sonderlich viel.
Aber ab drei Stunden ist es nicht mehr gesundheitsschädigend - das ist ärztlich bewiesen. Ich halte mich an sowas, bin ja Schweizer. Immer on the edge, aber nie drüber. Ich bin ja auch immer nur nervig, nie randalierend. Nur ein bisschen mit der Nadel in der Wunde. Schweizer halt.
So sind Schweizer?
Naja, ich zumindest (lacht). Wenn alle so wären, würde ich da ja noch wohnen. Aber unter der Käseglocke kann ich nicht leben, für Schweizer bin ich ein Freak.
Wie hast du als Schweizer Staatsbürger denn bei der letzten Volksabstimmung zum Thema Immigration gewählt?
Gar nicht, ich krieg ja meine Post nie. Da haben ja all die für strenge Einwanderungsgesetze gestimmt, die dort leben, wo fast nur Schweizer sind. Am Ende des Tages ist Politik nur Angstmacherei um Interessen durchzusetzen. Darum geht es ja auch in "Into the Wild": Warum soll ich bei dem ganzen Kram überhaupt mitmachen? Ich kümmere mich um die Leute, die um mich herum sind oder auch weiter weg. Das beste was wir tun können, ist doch das Leben mit den anderen Menschen auf die Reihe zu bekommen.
„Peng. Peng. Peng. Wir durchlöchern uns mit verbalen Maschineguns. What the fuck?“
Es klingt auch ein wenig introvertierter. Bei alten Songs wie AntiAnti hast du zur Rebellion aufgerufen, jetzt geht's mehr um Riot in my head.
Wow, schön. Ich finde es ja immer echt spannend zu hören, was andere über mein Album sagen. Ich selber kann das gar nicht analysieren, aber damit hast du es gut getroffen. Ich denke es geht auch mehr um den Menschen, um Gefühle, was sich im Kopf und im Herzen abspielt. Es geht auch um Beziehungen und Liebe - weniger Party & Politik, eher Menschen & Politik. Ich glaube die Menschen werden hören, dass die Platte aus einem Guss und von Herzen kommt.
Internetkultur, Instagram, Selfie. Kotzt dich das an?
Dann kotze ich zurück. Nein, es geht. Ich bin da ja nicht besser als andere, ich nutze das auch. Aber E-Mail ist einfach eine behinderte Form von Kommunikation. Man schreibt eine Mail, weil man den persönlichen Kontakt gar nicht will. Man umgeht Gefühle, umgeht Momente. Wie bei Briefen, nur behinderter, weil schneller und daher ohne Reflektionsspanne. Bei einem Brief hast du Zeit um nachzudenken - es dauert bis die Antwort kommt. Bei Mail ist das doch nur Rumgewichse in der Welt. Hier ich schreib dir jetzt was, bevor ich drüber nachgedacht habe. Peng. Peng. Peng. Wir durchlöchern uns mit verbalen Maschineguns. What the fuck? Wir wissen doch das der Output eines kurzen, persönlichen Gesprächs viel höher ist. Ich kenne ja noch die Kommunikation per Brief, ich hab meinen Idolen welche geschrieben.
Wem denn so?
George Benson, Archie Shepp, Les MacCann - Jazz- und Soullegenden. Irgendwann in den 90ern bin ich in Berkley an den Computer der Uni gegangen und habe meiner Familie zum ersten Mal so einen E-Mail-Brief geschrieben. Den hat man dann ausgedruckt und vorgelesen (lacht). Aber ich habe ja zwei Seelen in meiner Brust. Die eine ist kreativ, die andere ist der Manager, der den Wahnsinn koordiniert. Deshalb kommuniziere ich auch die ganze Zeit. Twitter habe ich gerade erst für mich entdeckt. Wenn ich irgendwo warte, dann gucke ich, was andere Leute so posten. Der Filter ist schon schön. Die Frage ist nur: Wer filtert für einen? Der Kommunikationsüberschuss kommt dann ganz schnell. Alles passiert gleichzeitig und man verliert den Fokus.
Mit Computern und Sound ist das ganz ähnlich. Zehn Jahre meines Lebens habe ich mit schlechtem Sounddesign verschwendet, weil ich immer in den Möglichkeiten des Computers gedacht habe. Diesmal war es anders: Du holst dir einen Song aufs Mischpult, stellst die Knöpfchen ein und nach einer halben Stunde bist du ready. Dann wird gemischt, Stereospur links-rechts, fertig. Dann macht man nicht mal eben die Session auf und fummelt am Computer daran rum, sondern man macht weiter. Ich glaube, dass ist einfach besser. Alle Möglichkeiten zu haben, ist eine Krux, das gilt für alles in dieser Welt. Du darfst werden was du willst. Uih toll, aber du musst damit klarkommen. Alles machen funktioniert nicht. Aber jede Zeit hat ja ihre Neuerungen, die dann alle brauchen. Aber das reguliert sich von allein. Don't worry be happy - hat ja Bobby schon gesagt.
„Mein Alter Ego und mein Ich sind momentan ziemlich deckungsgleich.“
Die neue Platte kommt ja fast ohne Features aus. Du bist wieder weg vom Elektronischen, keine Siriusmo-Sounds mehr auf der Platte.
Mit Moritz verbringe ich ja immer noch Zeit, er hat ja auch einen Remix für Two Girls gemacht. Aber es stimmt. Ich habe mir in Austin einen Moog besorgt. Dazu kommen Gitarre, Drums, Gesang und das sind die Grundpfeiler des Albums. Wir wollen ja auch im Trio auftreten. Ich wollte weg von dem Gefrickel, mit dem man nicht auftreten kann. Es gibt ja genug Leute, die mit Ableton Live auftreten und das ist ihr gutes Recht. Aber ich frage mich dann immer: Was machen die da vorne? Börsenkurse checken? Da ich keinen Sport mache, will ich wenigstens auf der Bühne schwitzen. Der Sound ist retro, aber doch modern, was auch Andy Baldwin, dem wunderbaren Engineer aus Australien zu verdanken ist - alte Schule.
Frischer Wind und neue Power in der Gitarrenmusik, die wie ich finde in den letzten Jahren stark zu wünschen übrig lässt.
Ja genau. Ich spiele eben Gitarre, das kann ich. Ein Mann und seine Gitarre, so soll es sein. Das hat auch mit diesem Maske-ab-Ding zu tun. Ich will mich nicht verstecken. Mein Alter Ego und mein Ich sind momentan ziemlich deckungsgleich. Ich glaube, ich habe diesen Gitarrensound auf dem vorherigen Album ein bisschen vernachlässigt. Mir erschien das nicht so wichtig wie Text und Beats. Jetzt hat jedes Instrument so richtig viel Platz. Auch die Drums: fett und warm. Das gefällt mir.
In Out of Control geht es um Amerika. Woraus schöpft sich dein Bild von Amerika?
Ich liebe Amerika, aber ich bin auch echt einfach zu beeindrucken. Ich liebe ja überall was. Ich sauge immer die tollen Sachen in mich auf. Amerika ist sehr inspirierend, gleichzeitig beängstigend und bizarr. Du kannst alles machen, aber vielleicht steht hinter der nächsten Ecke ein Verrückter mit einer Knarre. In Out of Control zeige ich mal ein anderes Amerika, das im Video noch einmal anders aussehen wird. Meine Großmutter kommt zum Beispiel vor. Sie lebt von Food Stamps, kann damit aber kein Waschmittel kaufen. So tauschen die Menschen dann untereinander und helfen sich aus. Und es ist krass, dass ganz normale Leute darauf angewiesen sind.
Ich fand dieses Bild so schön: Lebensentwürfe zwischen Gitarre und Pumpgun. Das Lied hat auch eine persönliche Färbung, da ich Familie in Amerika habe. Die dortige Realität ist eine andere, und manche Dinge kann man denen nicht erklären. Die europäische Perspektive ist eine ganz andere - egal ob es um Russland oder Social Health Care geht. Die mediale Filterung ist schon sehr interessant. Hier ist das ja nicht anders, aber wir Europäer denken trotzdem, wir hätten die Welt verstanden. Auch auf Tour ist das spannend: Der gleiche Song funktioniert in Berlin, Texas oder China ganz unterschiedlich aufgrund der kulturellen Kontexte.