„Das Problem ist das Wachstum.“Fairphone-Macher Bas van Abel im Interview

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Bild: Fairphone via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0

Unser Gadget-Wahn hat immer umfassendere Konsequenzen. Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken werden ausgebeutet, bei der Beschaffung der notwendigen Rohstoffe wird auf die Arbeitsbedingungen keinerlei Rücksicht genommen. In einem Smartphone stecken zahlreiche Metalle und Mineralien, deren Abbau ein endliches Geschäft ist. Und mit den erzielten Gewinne werden in den afrikanischen Ursprungsländern finanzieren Warlords den Bürgerkrieg. Das holländische Unternehmen Fairphone ist angetreten, diese Prozesse zu umgehen. Faire Arbeitsbedingungen bei der Fertigung und „konfliktfreie“ Rohstoffe für die Herstellung sollen Abhilfe schaffen. Das über Crowdfunding finanzierte Projekt war sehr erfolgreich, 25.000 Telefone konnten bislang verkauft werden. Die Motivation von Bas van Abel und seinem Team ist dabei nicht der Profit. Die Geschichte des Fairphone, sagt van Abel im Interview mit Das Filter, sei eigentlich eine ganz andere. Ji-Hun Kim traf ihn im Rahmen der Next-Konferenz in Berlin.

Bas van Abel

Bas van Abel. Bild: Fairphone via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0

Wie ist es zum Fairphone gekommen?

Für mich ist das Fairphone eher ein Mittel zum Zweck. Es geht nicht primär um das Smartphone an sich. Wir haben mit einer Kampagne angefangen. Das war vor einigen Jahren. Dabei ging es um den Abbau von Metallen und Mineralien, die für die Produktion von elektronischen Geräten benötigt werden. Seltene Metalle wie Gold usw. Fest steht, dass diese Metalle häufig in Gegenden abgebaut werden, die durch Konflikte und Kriege dominiert werden. Es ist eine traurige und schwierige Geschichte. Wie kann man einen Bezug dazu herstellen, was wirklich im Kongo passiert, wo doch jeder ein Smartphone in der Hand hat und gar nicht weiß, wo die Einzelteile eigentlich herkommen.

Weil die meisten von uns sich nicht dafür interessieren?

Ich würde eher sagen, weil wir es nicht wissen. Das ist aber auch das, was globale Wirtschaft versucht, zu erzeugen. Das Nichtwissen. Diese unsichtbaren Hände, die das ganze Netzwerk von Lieferketten zusammenhalten. Normalerweise sind Kampagnen für etwas oder gegen etwas. In diesem Fall war es aber schwierig, diese Differenz auszumachen. Ist es die Regierung im Kongo, die für die Missstände zuständig ist oder die Aktionäre der großen Elektronikfirmen oder sind es sogar wir als Kunden? Das hat Fragen aufgeworfen. Wieso sind die Dinge so, wie sie sind? Warum stürzen noch immer Textilfirmen in Bangladesh ein?

Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?

Ich wusste es nicht. Ich war mir auch über die Komplexität des Bürgerkriegs im Kongo nicht bewusst.

Es ist eine politische Motivation?

Durchaus. Um diese Fragen zu beantworten, haben wir eben das Telefon entwickelt, um genau das herauszufinden. Denn wenn man ein Smartphone - eines der komplexesten Geräte überhaupt - selbst herstellt, dann findet man vielleicht etwas darüber heraus. Das ist die Antwort darauf, wieso wir ein Smartphone machen. Wir wollten die Geschichte hinter dem Smartphone transportieren. Und das erschien uns am sinnvollsten mit dem Gerät selbst.

Fairphone First Edition

Bild: Fairphone via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0

„Globalisierung selber ist nicht schlimm. Wir brauchen Globalisierung, um überhaupt ein Smartphone zu produzieren.“

Was ist das Problem?

Die Frage ist weitaus schwieriger zu beantworten. Das Problem zu lokalisieren mag einfach sein. Es ist das Wirtschaftssystem und die ewige Frage nach den Kosten. Es geht immer um die niedrigsten Löhne und größten Profite.

Globalisierung?

Globalisierung selber ist nicht schlimm. Wir brauchen Globalisierung, um überhaupt ein Smartphone zu produzieren. Kein Mensch kann ein Telefon in seinem Hinterhof vollständig zusammenbauen. Die Materialen, die benötigt werden, sind wortwörtlich über den ganzen Planeten verstreut. Es ist also eine Frage des Bewusstseins. Kann man ein anderes Wertesystem um so ein Objekt schaffen? Das ist die Herausforderung. Ich bin von Hause aus Designer. Das Unmögliche zu schaffen ist für mich die Herausforderung. Wir wollen Dinge besser machen. Die Situation ist nach wie vor schlimm. Und genau darum geht bei Nachhaltigkeit: Wie kann man Dinge besser machen? Sollte man nicht die Systeme verändern? Wie kann man das umsetzen? Unser Ansatz: indem man selber Teil davon wird. Wir sind also in die Minen gefahren, haben uns die Situation angeschaut und uns auf die Suche nach konfliktfreiem Metall gemacht. Die haben wir gefunden. Dann brauchten wir einen Markt dafür und haben einen großen holländischen Provider als Kunden gewinnen können. Der garantierte uns die Abnahme von 4.000 Fairphones, die noch gar nicht existierten.

Ich stelle es mir unglaublich schwierig vor, ein Handy zu bauen, wenn ich noch nie etwas damit zu tun gehabt habe. Was waren die größten Herausforderungen?

Wenn man die Idee oder Vision hat, dass Wirtschaft in Zukunft mehr auf Werten basieren soll und man vielleicht sogar das System verbessern will, dann ist die Produktion eines Smartphones im Vergleich dazu eigentlich relativ einfach. Wenn du einen Kunden und die Materialen hast, dann fährst du damit nach China, wo die Smartphones hergestellt werden. Das läuft fast automatisch. Was nicht automatisch läuft, ist die Lieferketten zu verbessern oder zu verändern. Das Denken darüber. Wir haben in unserer Firma in China bspw. jetzt Mitspracherecht der Belegschaft eingeführt.

Fairphone Fabrik 1
Fairphone Fabrik 3
Fairphone Fabrik 2
Fairphone Fabrik 4

Ihr habt bislang 25.000 Einheiten verkauft. Samsung hat im vergangenen Jahr 300 Mio. Smartphones verkauft. Apple 150 Mio.

Du hast Recht. Wir haben in etwa das verkauft, was Apple bei Foxconn an einem Tag herstellt.

Ich frage mich, wie das gelaufen ist. Wäre ich eine chinesische Firma und du kommst zu mir und forderst Dinge wie weniger Arbeit, mehr Geld, Betriebsräte, Sicherheiten und bestellst aber nur 25.000 Einheiten.

„Firmen sind Soziopathen, die nur vorgeben, wie Menschen zu agieren.“

Man darf keine Dinge einfordern. Die Firma, bei der wir produzieren, hat rund 1.000 Angestellte. Das ist für chinesische Verhältnisse ein sehr kleines Unternehmen. Dort werden im Jahr 1 Mio. Telefone produziert. 25.000 ist auch für die nicht sonderlich viel. Aber bis dato belieferte das Unternehmen noch nicht den europäischen Markt. Unser Hersteller hat also einen strategischen Vorteil gewonnen, indem sie ihre Produkte nach Europa bringen konnten. Es geht um Win-Win-Situationen. Wir haben aber auch schon 25.000 Fairphones verkauft, bevor sie überhaupt hergestellt wurden. Bei Foxconn hätte man uns wahrscheinlich ausgelacht und rausgeworfen.

Wo wurden die meisten Geräte verkauft?

In Deutschland.

Wieso das?

Deutschland ist groß. Wir haben hier sieben Mal mehr verkauft als in Holland, was der zweitgrößte Absatzmarkt ist. Es leben aber auch sieben Mal mehr Menschen hier. Ehrlich, wir hätten uns auch mehr vom holländischen Markt erwartet, weil unsere Firma in den Niederlanden sitzt. Das ist aber nicht passiert. Deutsche scheinen sehr vernünftige Menschen zu sein (lacht).

Ob ich das so unterschreiben kann? Aber das ist ein anderes Thema.

Scheinbar gibt es in Deutschland eine andere Mentalität, was Crowdfunding anbetrifft als in Holland. Viele haben das Fairphone bezahlt und geduldig sechs bis acht Monate darauf gewartet.

Es gab aber auch Missverständnisse. Einige Kritiker argumentierten, dass das Fairphone ja gar nicht so fair sei. Eben weil es offensichtlich auch unmöglich ist, ein zu 100 Prozent faires Phone zu bauen.

Wir wollten ja keine Firma gründen, sondern wie gesagt eigentlich eine Kampagne machen und Diskurse und Debatten anregen. Es wurde aber größer als von uns ursprünglich gedacht. Die Debatte ist doch: Was bedeutet Fairness? Wenn man denkt, dass ein Fairphone 100 Prozent fair ist, dann muss man sich auch fragen, was ist fair? Ist das überhaupt möglich? Die Kritik an unserem Produkt hat aber auch die Diskussion kanalisieren können. Ja, es gibt Kinderarbeit in den Minen und auch wir können das nicht von heute auf morgen ändern. Sonst hat man aber immer nur über Spezifikationen von Handys gesprochen. Wie viele Megapixel, wie schnell ist der Prozessor? Beim Fairphone haben selbst etablierte Medien auf einmal anders über Telefone gesprochen. Das war Bestandteil des Bewusstseins, das wir schaffen wollten. Um das zu erreichen, muss man sich in eine angreifbare Position begeben.

##Wirtschaft braucht ein neues Wertesystem

Ist deiner Meinung nach korrekter, fairer Konsum überhaupt denkbar?

Ich glaube, auch durch das Internet, dass Menschen sich klarer darüber werden, was sie machen und was da draußen in der Welt passiert. Themen wie Privacy, Open Data. Das passiert auch, weil die Menschen wissen, dass sie Teil des Ökosystems sind. Man ist Konsument und Produzent zugleich. Ein ewiges Geben und Nehmen von Daten. Das ist Reziprozität. Ich glaube an ein wertebasiertes Wirtschaftssystem. Man ist heute als Kunde nicht nur eine Nummer, man ist Designer, Künstler, Kritiker. Das dürfen wir nicht vergessen.

Dass es einen Trend zu Mikroökonomien gibt, sieht man an vielen Orten. Urban Gardening, Micro Breweries usw. Hier geht es aber um Lebensmittel. Bei technischen Produkten sieht es anders aus.

Ein Handy ist keine Banane.

Man versteht einfach nicht mehr, was passiert.

Das ist das Problem des Wirtschaftssystems. Dinge werden vorbestimmt. Das Finanzsystem basiert auf Ökonomien. Bildung, Innovation, all jene Bereiche sind mit der Wirtschaft verknüpft. Bei der Occupy-Bewegung wurden Feindbilder ausgemacht. Plötzlich war es der Hedge-Fond-Manager oder der Banker, den man beschuldigen konnte. Aber wir sind alle Teil dieses ökonomischen Systems. Wir alle zahlen in die Rente ein und sowohl bei mir wie auch wahrscheinlich bei dir werden diese Gelder von den großen Banken verwaltet und investiert. Ich will damit sagen, dass sehr viel miteinander verknüpft ist, auch wenn wir es gar nicht so genau wissen.

Politischer Konsum ist unmöglich?

Man muss mit den Menschen anfangen. Eine große Firma ist ein System, kein Mensch. Als Konsument hat man Einfluss darauf, was Firmen machen. Deshalb wenden wir uns auch an den Konsumenten und nicht an Firmen. Firmen sind Soziopathen, die nur vorgeben, wie Menschen zu agieren.

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Bild: Fairphone via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0

Das ist ein wundervolles Zitat.

Ich meine es ernst. Sie geben vor wie Menschen zu sein, funktionieren aber vollkommen anders. Sie haben kein Gehirn, kein Gewissen, nichts, was einen Menschen ausmachen könnte. Firmen haben keine Werte! Wir müssen aber verstehen, wie das System funktioniert. Dabei müssen wir auch die höheren, komplexeren Ebenen verstehen wollen. Wenn wir uns alle darüber im Klaren sind, dass wir fester Bestandteil des Ökosystems sind und nicht nur Zaungäste, dann kann man von anderen erwarten, mehr Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht auch von den Menschen, die in großen Firmen arbeiten. Man muss die Lücken zwischen Bürger, Konsument und Produzent schließen. Wir sind zugleich alles.

Dir geht es also um Aufklärung!

Absolut. Es geht um die Veränderung von Denkweisen.

Angenommen, die Welt verzichtete von heute auf morgen auf Fleisch, weil Fleischproduktion böse ist und würde stattdessen Soja essen. Dann ernähren sich Milliarden von Menschen von Soja-Monokulturen, die höchstwahrscheinlich von Monsanto stammen und genmanipuliert sind. Das würde plötzlich genauso Probleme hervorrufen.

Man muss aufhören, an Wachstum zu denken. Spricht man von Konsum, geht es auch immer um Mehrkonsum. Dabei brauchen wir gar nicht so viel. Das muss man ändern. Dafür muss man gar nicht die Marktwirtschaft revolutionieren.

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