„Beats sind wie Special Effects“Interview: Franz Kirmann von Piano Interrupted
29.11.2016 • Sounds – Interview: Martin RaabensteinFranz Kirmann arbeitet mit Sound, und „Arbeit“ ist hier wörtlich zu verstehen. Denn jenseits seiner Solo-Produktionen – sein drittes Album ist gerade erschienen – steht er vornehmlich als Teil des Projektes „Piano Interrupted“ auf der Bühne und walgt den akustischen Sound, den seine Mitmusiker an Klavier, Klarinette und Kontrabass liefern, durch seine elektronischen Helferlein. So entsteht auf der Bühne ein Dialog zwischen Akustik und Elektronik. Unberechenbar und im stetigen Austausch.
Mit reichlich Technik und einem weiten musikalischen Horizont bringt der Franzose Francois Kirmann Gamaury aka Franz Kirmann sein Mischpult mächtig zum Glühen. Ein Mischer im wahrsten Sinne des Wortes. In Zeiten von bis ins letzte i-Tüpfelchen vorproduzierten DJ-Sets, bei denen die Akteure viel Zeit für Selfies und Gin Tonics haben, ist diese Handarbeit eine fast schon politische Ansage, und das nicht erst seit David Guetta und seiner „Performance“ bei den Olympischen Spielen. Nicht so Franz Kirmann: Ambient, Noise und moderne Klassik schiebt er mit erstaunlich erfrischenden Ergebnissen durch seine Kanäle. Nach dem Konzert von „Piano Interrupted“ im Berliner Radialsystem hat sich Martin Raabenstein mit ihm über seine Arbeit unterhalten.
Du gehst mit deinem aktuellen Soloalbum „Elysian Park“ auf Tour, Hamburg und Berlin sind die beiden deutschen Stationen. Piano Interrupted, deiner Kollaboration mit dem Pianisten Tom Hodge, konnten wir gerade hier im Radialsystem lauschen. Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Projekten, wo liegen die Unterschiede?
Da bestehen große Unterschiede. Die „Elysian Park“-Shows sind eher konzeptionell, näher an einer Kunstinstallation mit Live Visuals. Die sind ein wichtiger Teil, meine Performance ist eher ein DJ-Set, bei dem ich Teile des Albums präsentiere. Bei Piano Interrupted ist das Mischpult für mich ein voll integriertes Live-Instrument.
Wie sieht deine Rolle bei Piano Interrupted konkret aus?
Es ging bei diesem Projekt schon immer um einen Dialog zwischen der traditionellen, analogen Welt – hauptsächlich Tom Hodge am Piano – und meiner digitalen Bearbeitung davon. Die Interaktion dieser beiden Welten bildet die Kernidee, bei der wir zum Teil andere Musiker hinzu bitten. Im aktuellen Fall den Kontrabassisten Tim Fairhall.
Du mischt die Sounds deiner Musiker, sie sind sozusagen lebendiges Vinyl?
Ja, hauptsächlich die Piano- und Klarinetten-Sounds von Tom. Ich editiere sie und unterlege sie teilweise mit vorgefertigtem Material, das ich ebenfalls live bearbeite.
Im Gegensatz zu einer klassischen elektronischen Performance, nennen wir jetzt einfach mal Rick Smith von Underworld, reagieren die Musiker wiederum auf deine Arbeit – ein Zwiegespräch entsteht. Stichwort Jazz.
Ja, da gibt es Parallelen. Wir haben eine Weile gebraucht, den Computer und die ganzen Mixtools in ein echtes Instrument zu verwandeln. Tom und Tim haben in der Tat einen ausgeprägten Jazz-Hintergrund und wissen, mit diesem Dialog umzugehen. So entsteht Lebendigkeit. Ich hingegen komme eher aus der von dir erwähnten elektronischen Welt, die Verbindung beider Vorgehensweisen war ein langer Prozess.
Das heißt, deine Auftritte mit Piano Interrupted sind Mixing, Remixing und, um einen altmodisch klingenden Begriff zu verwenden, die Einspielung von Originalsounds in einem?
Es ist unmöglich, unsere Studioalben live zu spielen. Für die Bühne müssen wir unser Ausgangsmaterial fast komplett umbauen. Dieses Umarrangieren wiederum bringt neue Ideen ins Spiel und so weiter. Im Studio ist die Bearbeitung der ursprünglichen Pianoaufnahmen teilweise ein sehr komplexer Vorgang. Die Entscheidung, ob man die schon „fertigen“ Parts mit in die Performance integriert, die gesamte musikalische Wirkung damit entscheidend in eine bestimmte Richtung zieht oder eben auch nicht, ist grundsätzlich mit der Frage verbunden, was meine beiden Musiker live einspielen. Das ist immer sehr dynamisch.
Die klassische Jazz-Performance hat ihre besten Momente in der Improvisation über Standards. Gibt es da Parallelen, kreiert ihr eine neue Synthese?
Ich weiß nicht, ob das neu ist, aber der Jazz spielt hier, wie du schon sagst, eine entscheidende Rolle. Genau da wollen wir mit Piano Interrupted hin. Wir nehmen das Thema eines Stückes, seine DNA, als Ausgangspunkt und improvisieren darüber. Andere Live-Auftritte im Ambient/Drone-Bereich sind da weniger lebendig. Mir scheint, dass diese Genres nicht komplett die vorliegende Basiskomposition ändern können, so wie wir.
Gefahr nerdiger Endlosmasturbanz auf der Bühne?
(lacht) Ich komme ja wie schon erwähnt eher aus der Ambient/Drone/Dance-Ecke, die mit gut eingesetzter Wiederholung einen sinnvollen Trance-Effekt aufbauen kann. Tom wollte durchaus Elemente davon mit in unser Projekt aufnehmen, diese aber transformieren und eine neue musikalische Sprache entwickeln. Bei unseren ersten Auftritten hatten wir noch die Tendenz, mit rasch wechselnden Sets sehr lebendige Strukturen bilden zu wollen. Mit der Zeit hat sich das geändert, und ich glaube, wir finden jetzt die richtige Balance. Das braucht Erfahrung. Wir besprechen jetzt jeden Gig gemeinsam, ob und wo wir rumgedudelt haben oder doch noch zu schnell waren.
Zeitgenössische DJ-Kultur scheint sich gerade in diesen endlosen Sets ziemlich erschöpft zu haben. Ist der Beat tot?
Ich denke nicht. Wir arbeiten immer wieder mit Beats, waren aber von Anfang an eher auf den Flow fixiert, mit oder ohne rhythmischer Unterstützung. Wir spielen auch eher leise, das zieht die Aufmerksamkeit des Publikums besser auf sich, wir ertränken unsere Zuhörer nicht in Sound. Mein Problem mit elektronischen Beats ist, dass man immer genau hören kann, in welcher Zeit sie produziert wurden: Trip Hop, Jungle, Drum and Bass – alle verraten sich durch den Sound der Beats. Das ist ein bisschen so wie bei Special Effects älterer Filme.
Kannst du dir vorstellen, deine Schnittstelle aus Computer und Mischpult noch mehr zu einem Instrument auszubauen? Oder gibt es da Grenzen?
Ich weiß nicht. Gerade bei Piano Interrupted eher nicht, Tom und Tim sind im Gegensatz zu mir sehr gute Musiker (grinst). Unser Gruppenname verrät ja die Idee, Tom spielt Piano und ich bin der „Interrupter“. Grundsätzlich interessiert mich die Idee. Das hängt natürlich auch von der zukünftigen Entwicklung meiner technischen Tools ab. Ich mag es andererseits auch sehr gerne, nichts selbst einzuspielen. Auf meinem aktuellen Album „Elysian Park“ ist alles nur mit aus durch Manipulation generierten Samples komponiert.
Franz, vielen Dank für das Gespräch.