Farbfernseher Berlin – Zwischen Bar und Club ein WohnzimmerMitgründer Jan Baumann über den Nebenjob Clubbetreiber, Farbfernseher-House und Zukunft

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Der Farbfernseher-Innenhof: Einmal im Jahr gibt's hier ein Open Air. Foto: Susann Massute

Ein Schriftzug an der Außenwand zeugt bis heute von der Vergangenheit des unscheinbaren, freistehenden Hauses an der Skalitzer Strauße in Berlin-Kreuzberg: „Farbfernseher ab 98,- DM.“ Seit mittlerweile acht Jahren existiert hier, unweit des Görlitzer Bahnhofs, die kleine Feierlocation von Jan Baumann, Tobias Pieper und Stephan Otterbach. An der Schnittstelle zwischen Bar und Club haben die drei einen Raum zum Tanzen in Wohnzimmeratmosphäre geschaffen, dessen Bekanntheit weit über die Stadtgrenzen hinausgeht, was am Wochenende für wenig Platz drinnen und lange Schlangen draußen sorgt. Dabei „war das alles gar nicht so gewollt“, wie Mitgründer Jan Baumann uns im Interview erzählt. Ein Gespräch über den Clubbetrieb als Nebenjob, das Genre Farbfernseher-House, den neuen, alten zweiten Floor und okayen Kommerz.

Wie ist es vor acht Jahren überhaupt zum Farbfernseher gekommen?
Tobias und ich kannten uns über das Architektur-Studium. Stephan kannte ich sogar schon vorher, weil er gemeinsam mit einem sehr guten Freund von mir Zivildienst in der Nähe von Köln gemacht hat. Wir haben zunächst nur herum gesponnen, gemeinsam einen Laden aufzumachen. Die Idee entsprang ein bisschen aus einer Langeweile heraus. Wir haben in unseren Jobs erste Erfahrungen gesammelt, fanden das aber ein bisschen dröge. Wir dachten, dass ein kleiner Laden, der sich genau an der Grenze zwischen Club und Bar befindet, in der Stadt eigentlich nicht vorhanden ist – so etwas wünschten wir uns. Das war die Motivation: etwas zu schaffen, was es so in der Stadt noch nicht gibt. Ein bisschen hatte ich dabei das „Sixpack“ in Köln im Hinterkopf. In meiner Entwicklung hatte der Laden durchaus eine Rolle gespielt. Bei uns ging es dann zwar eindeutig mehr in Richtung Club, trotzdem war das war ein erster Impuls.

Gastronom ist keiner von euch davor gewesen?
Genau, und wir sind in der Zeit auch nicht zu welchen geworden. Wir arbeiten alle weiterhin in anderen Berufen und haben glücklicherweise einen sehr guten Geschäftsführer, der das Tagesgeschäft im Farbfernseher leitet. Tobias und ich haben hinter dem Farbfernseher ein eigenes Architektur-Büro. Darüber hinaus bin ich in den Bereichen Messe und Event tätig. Ich habe die „Show and Order“-Modemesse in Berlin aufgebaut, welche dann letztes Jahr von der „Premium“ aufgekauft wurde. Dann arbeite ich noch für die Kunstmessen „Berliner Liste“ und „Kölner Liste“ und andere Architektur-Projekte.

Anfangs hat man euch noch recht häufig im Laden gesehen.
Zu Beginn waren wir sehr aktiv. Wir haben zu dritt die Aufgaben aufgeteilt, die in so einem Rahmen anfallen. Tobias war für das Booking zuständig. Stephan und ich haben ebenfalls Bereiche verantwortet. Wir haben uns zunächst eine gewisse Anwesenheitspflicht verordnet. Das ging ein Jahr so. Aber wir merkten, wie anstrengend und schwierig das mit unseren anderen Jobs vereinbar gewesen ist. Daraufhin haben wir den ersten Nightmanager engagiert. Auch weil wir wussten, dass es Leute gibt, die das viel besser können als wir. Somit hat sich das allmählich eingependelt und wir mussten nicht mehr persönlich die ganze Nacht bis zum Ende vor Ort sein.

Habt ihr als Architekten auch ein bestimmtes Konzept für den Farbfernseher gehabt?
In gewisser Art und Weise schon. Es ist ein sehr reduzierter Raum, ein klarer und fokussierter Raum. Das haben wir zu dritt intensiv diskutiert und auch viele Entwürfe gestaltet. Wir haben auf Details geachtet, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sichtbar sind. Die Deckenbeleuchtung so hinzubekommen, wie wir es wollten, hat eine gewisse Zeit in Anspruch genommen. Uns waren alte Glühbirnen als warmes Element wichtig. So wird ein Raum ganz anders formuliert wird als mit bunten Event-LED-Leuchten. Auch die Tribünensituation, dass eine Art Kessel bzw. Amphitheater entsteht, mussten wir erst schaffen, ist für die Atmosphäre aber von großer Bedeutung.

Ganz zu Beginn war das DJ-Pult noch oben neben dem Ausschank und der Farbfernseher wirkte wie eine Bar mit angebundener Tanzfläche. Irgendwann „kippte“ die Situation, die Schlangen wurden immer länger und es wurde lange und ausgiebig gefeiert.
Das war ja alles gar nicht so gewollt. Das haben die Leute daraus gemacht. Wir haben sogar erstmal versucht, uns zu wehren, weil es schnell sehr clubbig wurde. Da wurde man quasi überfallen. Dem Wunsch der Gäste mussten wir dann nachgeben und so hat sich das entwickelt. Wir hatten null Ahnung, dennoch mussten wir reagieren. Daher haben wir uns einfach auf das Experiment eingelassen. Was am Ende dabei rauskommt, hätte ja keiner wissen können. So haben wir auch viel beobachtet und dementsprechend wurde immer wieder modifiziert. Das DJ-Pult ist später dann nach unten auf den Dancefloor gekommen, wobei das interessanterweise bereits in der allerersten Skizze so vorgesehen war.

Wenn man so schlitzohrig an die Sache rangeht, was gibt es für Stolpersteine?
Einige. Nach zwei Jahren hatten wir unten einen weiteren Floor aufgemacht, der das Konzept super ergänzt hatte. Der wurde aber dann von den Ämtern nicht so gern gesehen. Da wurden wir leider konsequent ausgebremst und mussten das wieder einstellen. Dabei war das von der Lautstärke alles so eingestellt, dass es eigentlich keine Probleme hätte geben dürfen. Aber am Ende gab es dann doch Lärmschutzprobleme. Die hat jeder Club, der mitten in einem Wohngebiet ist. Es gibt einfach Menschen, die haben ein anderes akustisches Empfinden. Und wenn trotz diverser amtlicher Messungen, die beweisen, dass kein Lärm entsteht, gewisse Frequenzen von einer einzelnen Person als störend wahrgenommen werden, kann das schon frustrierend sein.

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Der Farbfernseher ist mitten im Boom-Bezirk Kreuzberg. Im Prenzlauer Berg wurden in den vergangenen Jahren bereits die allerletzten Clubs wie Duncker und Icon „rausgeklagt“. Wie siehst du die Entwicklung?
Das gehört dazu. Kreuzberg ist mittlerweile durchentwickelt und -gentrifiziert. Die Wohnungspreise haben sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht bis vervierfacht. Dementsprechend kommt eine andere Klientel in den Bezirk. Das verändert auch die Situation des Farbfernsehers.

Der Sound im Farbfernseher war dementsprechend immer moderat und nie richtig laut. Da wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Irgendwann sprach man sogar vom Farbfernseher-House. Eine Art eigene Gattung Deep-House mit vielen Disco-Elementen.
Das ist in der Tat aus der Not entstanden. Aber natürlich auch das Ergebnis der Arbeit unserer Booker. Zu Beginn hat, wie erwähnt, Tobias einen großen Beitrag zur Programmierung geleistet. Dann lange Zeit Lisa Gobmeier, die den Sound ebenfalls sehr mit ihren Bookings geprägt hat. Für die Größe, den Ort und die Zeit war das einfach die richtige Musik. Das hat alles stimmig zum Interieur gepasst und den Nerv der Zeit hervorragend getroffen. Dabei kommen Stephan und ich ja aus einer anderen musikalischen Ecke und haben das zu Beginn vielleicht auch gar nicht so geschätzt.

Was hättet ihr lieber gehört?
Wir sind beide aus dem Rheinland. Kompakt, Köln, mehr geradeaus – das hätten wir uns durchaus auch vorstellen können. Aber wir haben natürlich verstanden, dass es so wie es war, richtig gewesen ist.

Gab es Partys, die bei dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Die Open-Air-Veranstaltungen am 1. Mai sind immer was Besonderes. Das ist das Fest, wo man raus und das Konzept von innen nach außen transportiert werden kann. Es ist familiär. Es kündigen sich 150 Freunde an und es kommen auch alle. Das sind Tage voller kleiner, aber schöner Details.

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Acht Jahre sind für Berliner Verhältnisse eine halbe Ewigkeit – war das ursprünglich je so geplant?
Es gab keinen Plan. Aber wenn das Offizielle sauber geklärt ist, geht man auch kaum Risiken ein. Mittlerweile arbeiten rund 14 Mitarbeiter für uns. Die meisten im Nebenjob. Wir haben bspw. Kindergärtnerinnen, die bei uns aushelfen, damit sie etwas zu ihrem niedrig bezahlten Hauptjob dazuverdienen können, um mal in den Urlaub zu fahren. Die machen dann eine Schicht die Woche. Das ist aber auch der Grund, wieso es den Laden noch gibt. Die Leute, die für uns arbeiten, sind ja der Laden. Deren Motivation, Engagement und Identifikation mit dem Farbfernseher hält die Sache am Leben.

Andere Leute denken darüber nach, neue Läden aufzumachen, zu expandieren, ein Label zu gründen.
Über weitere Locations haben wir in der Tat nachgedacht. Ich persönlich fand Leipzig schon immer spannend. Mittlerweile ist um die Stadt ja auch ein Hype entstanden. Aber dennoch fand ich meinen Beruf an sich spannender. Die Möglichkeiten, sich als Architekt zu entwickeln, vorwärts zu kommen …

War Gastronomie intellektuell nicht herausfordernd genug?
Das will ich gar nicht so bewerten. Man kann Gastronomie ja mit intelligenten Inhalten und Konzepten füllen, wenn man das möchte. Aber für uns drei war einfach klar, dass keiner hauptberuflich Gastronom werden wollte. Tobias und ich lieben die Architektur und Stephan ist Projektmanager bei der Bundesdruckerei, um dort die digitale Transformation zu realisieren. Da gibt es einfach Herausforderungen und Aspekte, die wir als reine Clubbetreiber nicht in unserem Leben hätten.

Hat man auch mal die Schnauze voll von seinem Laden?
Kann man so nicht sagen. Aber Ärgernisse gibt es natürlich. Es wird regelmäßig bei uns eingebrochen. Mittlerweile haben wir Alarmanlagen, um dem halbwegs Herr zu werden. Das hatten wir anfangs aber nicht. Es wurden schon Safes aus der Wand gerissen. Das ganze Programm. Das kann nerven, ist aber nicht so dramatisch, wenn keiner zu Schaden kommt. Wenn man nicht derart in Abhängigkeit dazu steht, dann sieht man das vielleicht auch ein bisschen entspannter. Natürlich ist es immer blöd, wenn Geld geklaut wird. Aber wenn deine private Existenz nicht direkt davon betroffen ist, dann kann das von Vorteil sein. Ich sehe das heute eher als eine Art Organismus, der auch in der Lage ist, sich eigenständig zu reparieren und solche Rückfälle zu kompensieren. Wenn das geschafft ist, hat man eine gute Basis.

Verspürt man den Zwang, das Ganze weiterzuentwickeln? Muss man an das Thema irgendwann auch mal ran oder kann ein gut funktionierendes Konzept ewig funktionieren?
Es ist an der Zeit, und Gianni, unser Bar-Manager, ist auch der Ansicht, dass Überarbeitung und Erweiterung sinnvoll sein könnten. Da sind wir in den ersten Gesprächen. Wir würden das Thema mit dem zweiten Floor unten gerne wieder angehen. Da gibt es baurechtliche Fragen, die man klären muss. Aber das fänden wir spannend.

Kurz nachdem es mit dem Farbfernseher losging, hat man von Mikro-Clubs gesprochen. Es gab dann auch in Berlin zahlreiche weitere Vertreter.
Das Bohnengold, die Soju Bar, Paloma, obwohl die vielleicht auch schon vorher da waren. Aber ja, der Reiz zu Beginn an diesen Läden war ja, dass sich dort die Szene treffen konnte, während die Touristen ins Watergate gegangen sind. Aber auch in den kleinen Läden ist der Anteil der Touristen stetig gestiegen. Insgesamt ist die Szene kommerzieller geworden, das betrifft so gut wie alle. Das ist aber auch in Ordnung so.

Fluch und Segen zugleich?
So ist es. Die Partys haben heute einen anderen Charakter, dem muss man aber auch nicht nachweinen. Es ist eine Entwicklung und wenn man die nicht will, dann sollte man in die Nische gehen, die es ja in dieser Stadt zum Glück weiterhin gibt.

Dieses Interview erschien ursprünglich im disco-magazin.

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