E-Gitarren und KunstDie Klangkünstlerin Catherine Lorent im Interview

Catherine Lorent Relegation start

Element von Catherine Lorents Installation „Relegation“ auf der Biennale 2013 | Foto: Rémi Vilaggi

Das Festival Heroines of Sound feiert dieses Jahr seine zehnte Ausgabe. Im Berliner Radialsystem geht es auch diesmal um weibliche, interdisziplinäre Perspektiven in Kunst und Musik. Neben Mikrotonalität, Experiment und Noise liegt 2023 ein kuratorischer Fokus auf der E-Gitarre. Die Luxemburger Künstlerin Catherine Lorent zeigt hier ihre Klanginstallation „Relegation“, die vor zehn Jahren auf der Biennale in Venedig Premiere feierte und seitdem ständig weiterentwickelt wurde. Über den Reiz der Gibson Explorer, die Liebe zum Löten und warum es in der Kunst auch immer um Offenheit und Humor gehen sollte.

Das Festival Heroines of Sound feiert dieses Jahr Jubiläum mit der zehnten Ausgabe. Wie ordnest du das Festival ein? Welche Rolle spielt es für dich auch aus künstlerischer Perspektive?
Ich fühle mich von Anfang an mit dem Festival verbunden. Bettina Wackernagel und Sabine Sanio vermitteln Schnittstellen in der Kunst, Kultur und Musik an Schnittstellen, an denen ich mich auch bewege. Meine Arbeit „Relegation“ begann außerdem zur selben Zeit, als das Festival startete. Da kommen viele Faktoren zusammen. Nicht nur, weil ich in Berlin lebe und eine Frau bin. Es geht auch um das Multiinstrumentale und die spezifischen Themen, denen wir uns widmen. Dass man in Räumen und Situationen denken kann und nicht nur ein Produkt oder ein Song im Mittelpunkt steht. Es geht um die Zusammenhänge. Ein Festival zu veranstalten, das sich den Heldinnen des Klangs widmet, war vor zehn Jahren noch viel krasser, als es heute ist. Frauen in der Kunst und Musik waren noch weniger präsent. Es gab noch weniger Wertschätzung und Sichtbarkeit. Ich bin selbst Mitglied in mehreren Netzwerken und weiß, wie wichtig es ist, Sichtbarkeit über die künstlerische Arbeit zu erlangen, nicht unbedingt als Person. Dafür ist das Festival ein relevanter und lebendiger Ort.

Du sagst, dass die Situation vor zehn Jahren noch eine ganz andere war. Bis heute hat sich aber nicht genug getan oder wie siehst du das?
Es ist wie in der Kunstgeschichte: Es geht um Jahrhunderte, die wir aufarbeiten müssen. Da ist man nicht plötzlich up to date. Die Diskurse müssen wir bei der neuen Generation genauso anknüpfen. So ein internationales Festival ist daher ideal. Die Biennale in Venedig ist auch so ein Ort, an dem alle Szenen zusammen kommen. Ich genieße das Internationale und dass man mal aus seiner Blase rauskommt. Vor zehn Jahren war ich als Solomusikerin dabei. Daher freue mich umso mehr, dieses Jahr mit meiner Installation als bildende Künstlerin dabei zu sein.

Wie du schon sagtest, stellst du „Relegation“ seit zehn Jahren aus. Was ist das Konzept und wie hat sich die Arbeit über die Jahre entwickelt?
Ich habe mein Atelier vor zehn Jahren im Berliner Wedding bezogen. Hier befindet sich auch mein Proberaum. Ich löte und experimentiere viel. Es fing mit E-Bows an, also elektromagnetischen Bögen, die für E-Gitarren in den 60er-Jahren entwickelt wurden. Mit 17 habe ich meine erste E-Gitarre gekauft, eine Gibson Explorer. Ich habe viel in Rockbands gespielt. Im Kunstbereich begann ich irgendwann, E-Bows auf Flügelsaiten zu legen und mit Teilen aus dem Baumarkt zu arbeiten. Ich habe die E-Bows aufgeschraubt und mit einem Bewegungsmelder verbunden, so dass sie von alleine spielen, sobald sie Bewegungen wahrnehmen. So hat das circa 2011 angefangen. Ich fand Technik und das Experimentelle schon immer spannend. Mit der Zeit habe ich E-Gitarren als Ausstellungsstücke mit eingebunden, so genannte Gitarrenkonstellationen. Es hat auch mit Humor und Spontanität zu tun. Es gibt diese posenden Männer, die ihre Gitarren zum Angeben an die Wand hängen. Mit dem Thema habe ich gearbeitet und ebenfalls Gitarren an der Wand angebracht. Die Gibson Explorer ist seit jeher meine Lieblingsgitarre. Mit der Zeit wurde die Sache immer komplexe, ich habe sie weiter automatisiert. Damals noch mit Arduino und Logic, womit wir heute noch immer arbeiten. Heute würde man das wahrscheinlich mit ChatGPT und WLAN machen.

Catherine Lorent Relegation 2

Catherine Lorent „Relegation“ auf der Biennale 2013 | Foto: Rémi Vilaggi

So ein Projekt entwickelt sich weiter und passt sich an die Räume an. Dieses Jahr wird uns was erwarten?
Wir arbeiten mit dem gleichen Interface wie auf der Biennale 2013. Die Arbeit wird im Foyer im Radialsystem aufgebaut, das sich zwischen Straße und Spree befindet. Dieses Foyer ist eine Art Verbindungsraum. Es gibt diesmal keine Flügel, sondern nur E-Gitarren. Mittlerweile haben wir ein Endorsement von Gibson. Die Gitarren sind customized und werden in einer Höhe von etwa 80 cm installiert. Man kann sich das wie eine Gitarren-Bar vorstellen. Die Anlage, die Gitarren und die Kabel sind alle schwarz. Es wird eine surreale, Science-Fiction-mäßige Atmosphäre haben. Dazu kommen kleine Röhrenverstärker von Engl, die einen warmen Klang haben. Es wird ein offenes und kommunikatives System. „Relegation“ heißt so viel wie Verbannung. Auch beim Heroines of Sound wird man daran nicht vorbeikommen. Ich arbeite bewusst mit den Sensoren von damals – Infrarot und Distanz. Mit sieben Gitarren wird die Installation fokussierter werden als bisherige Versionen, die sich teils über mehrere Räume erstreckte. Es ist immer in Bewegung und niemals das Gleiche. Die Komposition variiert, je nachdem, von wo die Leute den Raum betreten und verlassen. Die Installation lässt sich aber auch via MIDI-Keyboard wie eine Orgel spielen. Das ist ganz schön nerdy. Aber mein Vater war Elektriker. Ich löte schon lange – und finde es wunderbar, das auch in der Kunst und Musik einzubringen. Ich habe für meine Arbeiten auch schon Gitarren selbst gebaut.

Du hast mit 17 Jahren deine erste E-Gitarre bekommen und beschäftigst dich bis heute mit diesem Instrument. Was macht den Reiz dieses Artefaktes für dich aus?
Ich komme aus einer relativ kulturfernen Gegend in Luxemburg. Ich bin in den Achtzigerjahren groß geworden und wir hatten das Glück, einen Plattenspieler zu Hause zu haben. Meine Eltern haben viel gearbeitet. Entsprechend waren wir oft allein zu Hause, und in unserem Vorort war es ziemlich langweilig. Mein Vater hat in den Sechzigern in einer Garage Band gespielt. Im Elternhaus gab es eine halbakustische Gitarre von Gibson, einen Bass und paar Blockflöten. Es gab weder Handys, noch Internet, und so gab es einen recht intuitiven Zugang zur Musik. Als es mit Grunge losging, gab es in der Schule eine Band, und da wir zu Hause einen Bass hatten, spielte ich dann Bass in dieser Band. Da war ich 16. Später bekam ich meine ersten Gitarrenstunden. Zuvor hatte ich Klavierunterricht, aber mein Klavierlehrer war strammer Trinker und ist früh gestorben. Ein sehr guter Mann. Weil ein anderer Schüler Gitarre gespielt hat, kam ich zur Rhythmusgitarre. In meiner Freizeit habe ich bei der Post gejobbt. Von dem Geld habe ich meine rote Explorer gekauft und meine ersten Songs geschrieben. Ich habe das immer auf Kassetten aufgenommen. Mit einer Freundin, die gut singen konnte, haben wir zusammen viel schräge Musik gemacht. Die Einflüsse reichten von Astrud Gilberto bis Sepultura. Zu Schulzeiten mochte ich Throbbing Gristle sehr, aber auch John Zorn und Golden Palominos. Da waren schräge Sachen dabei (lacht). Ich mochte es, Musik mit Strom zu machen. Rock hat mich fasziniert. Dieses Bandgefühl finde ich bis heute super.

Catherine Lorent Gibson Explorer

Seit Teenagerzeiten ein unzertrennliches Team. Catherine Lorent und die Gibson Explorer.

Die Gibson Explorer ist eine ikonische Gitarre. Man denkt aber auch gleich an breitbeinige Musiker wie James Hetfield oder Bands wie ZZ Top.
Ich muss auch immer an The Edge von U2 denken. Luxemburg ist ein rockaffines Land. Ein Cousin hatte mir die frühen Platten gegeben. Und The Edge hat viel mit Delays gearbeitet und dabei oft den sämigen, fetten Sound der Explorer benutzt. Die Explorer hat nicht nur diese charakteristische Form, sie ist auch sehr gerade. Ich mag, dass sie so schwer ist und bei mir gut in der Hand liegt. Sie hat einen tollen Sustain und klingt lange nach.

Offenbar wurden die Explorer wie auch die Flying V 1958 als Jazz-Gitarren konzipiert und waren dabei sehr erfolglos. Erst in den Siebzigern haben dann Rock-Gitarristen die Explorer wieder entdeckt. Ein bisschen wie die Drummachines von Roland, die auch erst später in anderem Kontext erfolgreich wurden.
Das wundert mich nicht, weil sie ist wirklich sehr schwer. Das ist keine Gitarre, die man oben an der Brust spielen kann. Die muss einfach tief hängen. In den Fünfzigern so etwas zu entwickeln, finde ich aber krass.

Die Explorer spielt auch in deinen Bildern eine wichtige Rolle. Ich finde es interessant, dass auch in der experimentellen, elektronischen Musik die Grenzen immer weiter aufweichen. So eine E-Gitarre stand lange eng mit Heavy Metal, Machismo und Rock in Verbindung. Diese Ikonografien scheinen sich allmählich aufzulösen. Wie siehst du das?
Ich finde beide Perspektiven super. Dass man weiß, wo so etwas herkommt. Es gab ja auf der einen Seite Manowar mit diesen Gitarren, aber auch Frauen-Bands wie L7. Ich versuche meinen Blick offen zu halten. Und finde, dass wir früher anders mit so etwas umgegangen sind. Wir mussten viel selber lernen und erarbeiten. Heute gibt es unzählige Tutorials auf YouTube, dort werden die Kontexte oft vorgegeben. Handys spielen eine wichtige Rolle und die Selbstreflexion über das Medium. Das ist kurzweilig, hat aber auch viel mit Selbstdarstellung zu tun. Bei einer Arbeit wie „Relegation“ geht es weniger um mich, die Installation funktioniert auch ohne mein Dasein. Das wurde alles ohne YouTube-Tutorials erarbeitet. Was nicht schnell ging, sondern Zeit gebraucht hat. Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein, wie so etwas auch sein kann, erhalten bleibt. Ich freue mich auch auf das Panel auf dem Festival mit meinen Kolleginnen. Dieser internationale Austausch, die unterschiedlichen kulturellen Perspektiven zusammenzubringen, auch in Bezug auf die E-Gitarre, wird interessant. Ich bin sehr gespannt. Es geht meiner Meinung nach auch viel um Offenheit und Humor. Dass die experimentelle Szene sich auch mal brachialem Knüppel-Metal widmet, darüber lachen kann und umgekehrt. Ich sehe es positiv, dass sich viele Musikrichtungen immer mehr überschneiden und gegenseitig inspirieren. Früher war das dogmatischer. Ich selbst höre ja auch Knüppelkram und dann wieder klassische Musik. Früher wurde viel mehr in Szenen und Schubladen gedacht. Da wurde schnell die Nase gerümpft, wenn man in der Rock-Szene Jazz oder Klassik gut fand. Das ist heute zum Glück nicht mehr so.

Die zehnte Ausgabe von Heroines of Sound findet vom 6. bis zum 9. Juli 2023 im Berliner Radialsystem statt. Neben der Installation von Catherine Lorent gibt es Performances von Black Page Orchestra, Maja Bosnic, Anna Clementi, Pascale Criton, Jasmine Guffond, Ale Hop, Electric Indigo, Yoko Konishi, Mieko Suzuki, Kirsten Reese und vielen mehr.

Mehr Infos zum Festival und Tickets findet ihr hier:
Heroines of Sound

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