„Wir sind ein Chamäleon“Die Brüsseler Band ECHT! im Interview

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Foto: Mayli Sterkendries

Früher spielten sie Songs von Aphex Twin, J Dilla oder Childish Gambino. Inzwischen haben sie mit „Sink-Along“ ihr zweites Album veröffentlicht. ECHT! sind vier Jazzer aus Brüssel, die elektronische Musik mit ihren Instrumenten spielen. Warum sich das einfacher liest als es ist, haben sie Christoph Benkeser bei einem Treffen erklärt.

Dorian Dumont und Federico Pecoraro starren in ihre Laptop-Kameras. Florent Jeunieaux und Martin Méreau lärmen im Hintergrund rum. Als ECHT! fahren sie morgen das erste Mal nach England – dort spielen die vier studierten Jazz-Musiker einige Konzerte. Schließlich haben sie vor Kurzem ihre zweite Platte auf Sdban Ultra veröffentlicht. Und weil dieses belgische Label nicht gerade für fadfurzende Jazz-Auslüftungen bekannt ist, spielen ECHT! Musik, die tatsächlich eher im Berghain als im Birdland funktioniert.

Vor einigen Jahren, als das Quartett noch in Brüsseler Bars auftrat, habe es nur Cover von Aphex Twin und anderen lebenden Legenden gespielt, erfahren wir. Mittlerweile bestehen die Sets aus Eigenkompositionen. Die ursprüngliche Idee bleibe dabei aber erhalten. Ob sich das Publikum aus Jazz-Kenner:innen oder Clubgänger:innen zusammensetzt – immer wolle man ein gewisses Erlebnis vermitteln und rüberbringen. Eines, das sich zwar an Club-Atmosphäre orientiert, dabei aber genauso in den Jazzkeller passt.

Ihr seht gestresst aus. Wie geht’s euch?
Dorian Dumont: Wir haben gerade Kaffee getrunken, das macht das Leben schon mal besser.
Federico Pecoraro: Wir brauchen aber noch mehr. Morgen fahren wir für fünf Tage nach England, um Shows zu spielen, es ist …
Dorian: … ein Chaos, diese Tour zu organisieren!
Federico: Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Papierkram wir brauchen!
Dorian: Man verlangte eine Liste unseres gesamten Equipments: mit Maßen, Gewicht und Preis. Nicht dass wir auf die Idee kommen, unsere Instrumente in England zu verkaufen.
Federico: Die Bürokratie ist lächerlich. Dazu kommt, dass wir bei den Behörden 10.000 Euro Kaution hinterlegen mussten.

10.000 Euro?
Dorian: Du willst die Geschichte nicht hören.

Doch, eigentlich schon.
Dorian: Das war mit dermaßen viel Stress verbunden, dass ich uns die Details lieber erspare.

Klingt traumatisch.
Dorian: Ja, wir wollen nicht mehr darüber reden.
Federico: Wir werden wahrscheinlich nie wieder darüber reden.
Dorian: Sagen wir so: Nach Großbritannien zu gehen, ist eine Investition. Wir hoffen, dass dadurch neue Türen aufgehen.

Manche Tür ist bereits mit „Cheesecake“ aufgegangen. Ein Banger, zu dem ich jeden Morgen dusche.
Federico: Das muss eine intensive Dusche sein!
Dorian: Ich dusche zwar zur Musik von Flying Lotus, aber ich verstehe, was du meinst. So startet man vernünftig in den Tag.

„Viele orientieren sich an Idolen aus der Vergangenheit. Unsere leben noch.“

Lustig, dass du ihn erwähnst. Ein Bekannter veröffentlicht Musik auf seinem Label. Vielleicht hast du schon von Dorian Concept gehört.
Dorian: Wir hören oft seine Musik! In den Anfängen von ECHT! haben wir sogar einen seiner Songs gecovert. Damals traten wir noch in Brüsseler Bars auf. Ich glaube, der Song hieß „Fort Teen“.
Federico: Wir haben früher viele Stücke gecovert, die wir mochten. ECHT! begann nämlich nicht mit Originalkompositionen. Wir haben also J Dilla, Aphex Twin oder Dorian Concept für unsere Instrumente umgeschrieben. Es hat Spaß gemacht, herauszufinden, wie man diese elektronischen Sounds nachspielen kann.
Dorian: Wir haben uns einmal an das Label Teklife gewandt, weil wir viele Stücke von DJ Rashad gespielt haben. Die waren total begeistert. Das Gleiche gilt für den britischen Produzenten Objekt. Er war erstaunt, wie wir seinen Techno mit Instrumenten umsetzen konnten.
Federico: Unsere Songs sind ja nie nur Coverversionen, sondern Liebesbriefe an jene Musiker:innen sind, die wir bewundern.
Dorian: Ja, viele orientieren sich an Idolen aus der Vergangenheit. Unsere leben noch.
Federico: Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es uns freut, wenn sie sich anhören, was wir spielen! Sie sind ein großer Teil von ECHT!

Bands wie Elektro Guzzi und Radian haben ein ähnliches Konzept wie ihr. Sie spielen elektronische Musik im Band-Setup. Warum so kompliziert, wenn es mit ein paar wenigen Maschinen viel einfacher ginge?
Dorian: Was man normalerweise mit einem Knopfdruck erreichen kann, ist mit echten Instrumenten und Effekten eine Herausforderung, aber: Darin steckt die Kraft der Live-Musik. Sie hat eine menschliche Note, die dadurch entsteht, dass wir gleichzeitig zusammen spielen. Wir lieben es auch, wenn Produzent:innen versuchen, den menschlichen Touch auf ihre Musik zu übertragen. Schließlich greifen wir auf ihre Stücke zurück und entwickeln sie weiter.

Also bringt ihr Menschliches in die elektronische Musik.
Federico: Wir werden nie in der Lage sein, dieselben Klänge zu erzeugen, die wir hören. Aber wir suchen mit unseren Mitteln nach Lösungen und machen den Klang persönlich. In gewisser Weise ist es so, als würde man über einen bestimmten Jazzstandard improvisieren. Sobald man das richtige Gefühl gefunden hat, ist es wie ...
Dorian: … das Erlernen einer neuen Sprache. Es ist ein langsamer Prozess, zu dem es keinen Abschluss gibt. Federico hat es mal auf philosophische Weise ausgedrückt: Elektronische Musik bedient sich an Samples aus der Live-Musik. Wir hören sie, versuchen sie auf unsere Instrumente umzudenken und spielen sie erneut. Es entsteht eine Art Loop.

ECHT! Portrait 2

Fotos: Diego Crutzen

ECHT! Portrait 3

Federico, du bist also der Philosoph der Gruppe?
Federico: Eigentlich bin ich eher der praktische Typ. Ich hatte am Gymnasium aber fünf Jahre lang Philosophie. Eigentlich ist Dorian der luzide Träumer der Gruppe. Florent hingegen der Typ, der uns manchmal auslaugt, weil er sagt, was wir tun müssen.
Dorian: Wir haben unterschiedliche Qualitäten, deshalb sind wir nicht immer einer Meinung. Da wir keinen Bandleader haben – ECHT! ist eine völlig demokratische Band – kann das manchmal schwierig sein. Aber selbst wenn wir uns in bestimmten Punkten nicht einig sind, teilen wir doch die gleiche Vision.
Federico: Zumindest sind wir alle Perfektionisten. Dazu kommt unsere Tendenz zum Workaholism.
Dorian: Wir sind nie zufrieden, weil wir eine Energie teilen ...
FP: … die uns immer weiter antreibt, ja. Das ist wirklich wichtig. Wir sehen uns jeden Tag und leben dieses Abenteuer gemeinsam.
Dorian: Ich war noch nie in einer Band, in der es so viel Beteiligung gab. Entweder war ich Leader oder Sideman. Bei ECHT! sind wir vier gleich starke Stimmen. Das erfordert Zeit und ständige Arbeit. Schließlich klappen unsere Ideen oft nicht. Wenn alles zusammenkommt, ist das die Kombination aus unserer gemeinsamen Hingabe.

Diese gleichberechtigte Teilhabe kann man nur erreichen, wenn man sich gegenseitig vertraut.
Dorian: Absolut. Manchmal denkt man, dass man die beste Idee hat. Wenn ich aber mit diesem Gedanken nicht in der Mehrheit bin, vertraue ich den anderen, dass sie eine bessere haben. Die einzelne Idee ist nicht so wichtig. Was zählt, ist die kollektive Entscheidung.

Das Ganze ist – sorry, dass ich es so sage – größer als die Summe seiner Teile.
Dorian: Wir vier hatten einmal ein Band-Coaching. Der entscheidende Rat war: Rückt auf der Bühne näher zusammen, um allen im Publikum klarzumachen, dass ihr eine Einheit seid. Das ist es, was wir zum Ausdruck bringen wollen. Wenn du uns live siehst, fragst du dich vielleicht, wer welche Sounds der Songs spielt. Die Sache ist: Wir sind nicht nur eine Kombination von Soloparts, es ist der ineinandergreifende Effekt von vier Musikern, die zu einer Einheit zusammenwachsen.

„In dieser Musik geht es nicht so sehr um die Noten, sondern mehr um die Suche nach Klängen.“

Ich habe eure Live-Aufnahme aus dem Ancienne Belgique angesehen. Was mich beeindruckt, ist nicht nur eure Bühnenshow, sondern auch die Inszenierung. Es wirkt nicht wie ein herkömmliches Jazz-Konzert, sondern wie eine Clubshow.

Dorian: Wir mussten einen Mittelweg finden. Zunächst wollten wir, dass es eine rein visuelle Show ist, damit das Publikum ganz in eine Club-Atmosphäre eintauchen kann. Uns wurde aber klar, dass die Leute uns auch spielen sehen müssen.
Federico: Bei ECHT! geht es nicht nur um die Musik. Wir wollen ein Erlebnis vermitteln.
Dorian: Ja, wir haben viele DJ-Sets und Shows besucht. Das hat uns schon inspiriert.

Ihr kommt alle aus dem Jazz. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Dorian: Wir haben am selben Konservatorium in Brüssel studiert. Es waren aber Jam-Sessions außerhalb der Hochschule, die uns als Gruppe zusammengebracht haben. Klar, wir interessierten uns für Jazz – das war unsere Verbindung. Es war aber eine Erleuchtung, als wir bemerkten, dass wir uns alle auch für elektronische Musik interessieren.

Ist es mit eurem Jazz-Background einfacher, diese Art von Musik zu spielen?
Federico: Durch das Jazz-Studium erreicht man einen Modus Operandi in der Analyse von Musik. Man wird reifer, vermischt all seine Einflüsse im eigenen Spiel. Unsere Herangehensweise an elektronische Musik ist von dieser Idee geprägt. Wir versuchen J Dilla oder Aphex Twin zu spielen, indem wir ihre Sounds imitieren und darüber improvisieren. In dieser Musik geht es nicht so sehr um die Noten, sondern mehr um die Suche nach Klängen.

Also darum, den Weg zu verlassen, der die eigene Spielweise prägt?
Dorian: Ich komme ursprünglich aus der Klassik, kannte also die Arbeit mit Noten – alles ist vorgegeben. Als ich ans Konservatorium in Brüssel kam, gab mir mein Klavierlehrer einen einfachen Rat. Ich solle ihm fünf Musiker:innen nennen, die ich höre. Als ich sie aufzählte, meinte er: Hör ihnen zu und eigne dir ihren Wortschatz an. Je mehr du deinen eigenen erweiterst, desto besser spielst du. Das ist es, was wir als ECHT! gemacht haben.

Auf Tour spielt ihr sowohl auf Veranstaltungen mit elektronischer Musik als auch auf traditionellen Jazzfestivals.
Dorian: Wir hatten anfangs Angst, dass die Leute nicht verstehen würden, wo sie uns einordnen sollen. Mittlerweile verstehen die Veranstalter:innen, wohin wir gehören. Sie buchen uns nicht für den Nachmittag. Wir spielen am Ende des Abends. Schließlich sind wir nicht nur Jazz-Band oder elektronische Gruppe – es ist eine Kombination dieser Bereiche. Glücklicherweise interessieren sich Menschen aus beiden Lagern für uns, weil …
Federico: … es eine der Stärken dieses Projekts ist, dass man es nicht definieren kann.
Dorian: Ja, trotzdem wollen wir keine Abstriche in unserem Ansatz machen. Die Menschen sollen das Universum von ECHT! erfahren, egal ob sie aus dem Jazz oder der Elektronik kommen.
Federico: Ein guter DJ legt auch nicht immer gleich auf. Er liest das Publikum und wählt seine Platten anhand des jeweiligen Vibes aus. ECHT! ist ein Chamäleon, das sich an die Situation anpasst.

Das ist ein schönes Bild.
Federico: Wir spielen alle auch in anderen Projekten – solo oder in Bands, als Leader oder als Sidemen. Diese Abwechslung nährt uns mit Ideen, die in ECHT! zusammenlaufen. Wir orientieren uns nicht an Grenzen.
Dorian: Ich bin immer erstaunt, wenn ich Musiker:innen treffe, die sich nur einem Sound verschreiben. Ich könnte das nicht.
Federico: Keiner von uns könnte das. Wir haben viele Interessen, die wir ausleben wollen.
Dorian: Es mag Leute geben, die ihren Stil gefunden haben. Manche tragen sogar jeden Tag dasselbe Outfit. Cool für sie, wir respektieren es.
Federico: Wir folgen nur dem Drang, uns ständig zu verändern.

ECHT!, Sink-along, ist auf sdban ultra erschienen. Band auf Insta | Mehr zum Label bei HHV

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