Feministische Einstiegsliteratur10 Buchtipps

feministische einstiegsliteratur

Illustration: Susann Massute

Unsere Autorin Livia Lergenmüller hat zehn Werke gelesen und analysiert – für den deep dive in verschiedene Themenkomplexe des komplexen Themas.

bell hooks

bell hooks – feminism is for everybody: passionate politics

Mit feminism is for everybody hat bell hooks eine einwandfreie, niederschwellige Einführung in den modernen, intersektionalen Feminismus geschrieben. In sieben Kapiteln führt hooks, die sich nach dem Synonym ihrer indigenen Großmutter selbst klein schreibt, auf verständliche Weise in feministische Theorien wie Race und Gender, Klassenkampf, Männlichkeit und Liebe ein und zeigt die Zusammenhänge all dieser Gewaltformen in einem auf Dominanz basierenden System auf. Sie beweist unumstößlich: Feminismus muss politisch sein. Damit grenzt sie sich vom, wie sie ihn nennt, „lifestyle feminism“ ab, den sie im Gegensatz zum gesellschaftskritischen, revolutionären Feminismus sieht. Unter dem Lifestyle Feminismus versteht sie eine kapitalistisch geprägte, heute durchaus verbreitete feministische Praxis, die sich weitestgehend unpolitisch und problemlos in den bisherigen Lebensstil integrieren lässt, jedoch gezwungenermaßen auf dem Rücken anderer marginalisierter Gruppen aufbaut. Wer sich seine eigene Freiheit durch eine schlecht bezahlte Putzkraft erkauft, kann keine Feministin sein.

hooks geht einen weiteren sehr wichtigen Schritt: Sie formuliert eine Kritik an den Machtkämpfen innerhalb der feministischen Bewegung. Die Kämpfe zwischen akademischen, hochgebildeten, privilegierten und den materiell benachteiligten Frauen, die durch klassistische Mechanismen unten gehalten werden. Sie zeigt eindrücklich auf, dass niemand vor seinen sexistischen Prägungen geschützt ist und sich auch Frauen sexistisch verhalten. Im Zuge dessen prägt sie den Begriff der „sisterhood“, einem solidarischen, gemeinsamen Kampf gegen das System der Unterdrückung, der anstelle eines Wettbewerbs für eigene Vorteile stehen müsse. Nach hooks fehlt es an organisierter, radikal feministischer, politischer Bewegung und politischer Solidarität. Sie ermutigt uns Leser*innen dazu, den uns zugewiesenen Platz in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und fordert auch Männer dazu auf, sich an der Bewegung zu beteiligen. Denn ohne sie könne dieser nicht erfolgreich sein. Mit ihrer Mischung aus persönlich-emotionalen Tönen und wissenschaftlichem Schreibstil hat bell hooks ein wahres Manifest und eine grandiose Einführung in die Komplexität des heutigen Feminismus geschrieben.

fleischmarkt

Laurie Penny – Fleischmarkt

Über vier Jahrzehnte ist es her, dass Frauen die formale gesellschaftliche Gleichstellung erreichten. Doch während wir uns freuen, nun neben der Care-Arbeit auch noch in Vollzeit arbeiten zu gehen, unterliegen unsere Körper mehr denn je der Kontrolle des Spätkapitalismus. Im schnellen, prall gefüllten Sätzen zeigt die britische Feministin und Autorin Laurie Penny in Fleischmarkt nachvollziehbar auf, wie vielfältig das weibliche Fleisch unter den Machenschaften des Kapitalismus entmachtet wird. In einzelnen Essays behandelt sie die Übersexualisierung weiblicher Körper und sexualisierte Gewalt, spricht über Schönheitsideale, Essstörungen und Konsumzwang und statuiert: „Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.“ Penny widmet sich der freudlosen Mainstream-Pornografie und fragt, warum wir eigentlich so schockiert über Frauen sind, die ihren Körper verkaufen, nicht jedoch über Produkte, die sich über weibliche Körper vermarkten. Die Kapitalismuskritik bleibt dabei ihr roter Faden. Penny setzt jedes Phänomen in einen größeren Kontext und zeigt Strukturen auf, die vorher unsichtbar schienen. Fleischmarkt zu lesen, fühlt sich befreiend an. Penny gibt Problemen einen Namen, deren Struktur zuvor im Unsichtbaren lag. Sie ist intersektional, kapitalismuskritisch und schreibt nebenbei hervorragend. Dieses Buch sollte jeder lesen und verinnerlichen, die Welt wäre mit Sicherheit ein erträglicherer Ort. „Die Mittel, mit denen der zeitgenössische Kapitalismus den Frauenkörpern zusetzt (...) sind keine Privatangelegenheit ohne Einfluss auf den Rest der Welt. Vielmehr sind sie die notwendigen Fesseln in einem Überbau von Unterdrückung, die so grundlegend zur Erfahrung des Frauseins gehört, dass sie quasi unsichtbar ist.”*

Solnit

Rebecca Solnit – Wenn Männer mir die Welt erklären

Den Beginn des Essays Wenn Männer mir die Welt erklären leitet Solnit mit einer Anekdote von einer Party in Colorado ein, die sie mit ihrer Freundin Sallie besuchte. Der ältere, äußerst reiche Gastgeber der Feier fragt Solnit nach ihren schriftstellerischen Tätigkeiten. Also sie von ihrem jüngst erschienenen Buch berichten möchte, unterbricht er sie und belehrt sie über ein anderes, äußerst wichtiges Buch, das gerade zu genau dem gleichen Thema erschienen war. Eifrig beginnt er zu schwadronieren und ausufernd zu berichten, bis sich herausstellt, dass es sich um Rebecca Solnits eigenes Buch handelt. Wir alle kennen solche Situationen: Cis-Männer, meist weiß und hetero, die Frauen ungefragt und in belehrendem Ton Sachverhalte erklären oder sie mit einem großem Selbstbewusstsein korrigieren – gern in Bereichen, in denen die Frau selbst besser im Bilde ist.

Dank Rebecca Solnit gibt es für dieses Verhaltensmuster einen Namen: „Mansplaining“. Ein Begriff, den sie in diesem Buch prägte. Faktensicher erläutert sie, wie sexualisierte und andere geschlechterspezifische Formen der Gewalt Frauen seit jeder zum Schweigen bringen. In ihrem Essayband „Wenn Männer mir die Welt erklären“ sind weitere Texte gesammelt, die die verschiedenen Formen der Machtverhältnisse zwischen Geschlechtern neu diskutieren. So bemüht sie in einem anderen Essay den Vergleich um die Büchse der Pandora. So ist der Weg zur Befreiung zwar ein langer, mühsamer, doch sind die Ideen einmal freigesetzt, sind sie nicht mehr in die Büchse zurück zu bringen, nicht mehr aufzuhalten. Denn „es sind die Ideen, die nicht mehr in (...) die Bücher zurückzubringen sind. Und Revolutionen bestehen in erster Linie aus Ideen.”

bad feminist

Roxane Gay – Bad Feminist: Essays

Roxane Gay hört Rapmusik, liest die Vogue, rasiert ihre Beine, hat keine Ahnung von Autos und ihre Lieblingsfarbe ist Pink. Selbstironisch erklärt sich Gay in ihrem Essay Bad Feminist zu einer schlechten Feministin. Bestechend klug entwirft sie eine erfrischende Kulturkritik und reflektiert ehrlich und erleuchtend ihre eigene feministische Praxis. Als eine der bedeutendsten Stimmen der Gegenwart lässt Gay die Zwänge des ideologischen Feminismus hinter sich und zeigt auf, dass Widersprüche nichts Schlechtes sein müssen. Humorvoll nimmt sie ihre eigene Unvollkommenheit ins Visier und zeigt Frauen, dass man sich auch ohne einwandfreies politisches Verhalten dem Feminismus zugehörig fühlen kann. Ein wichtiger, unterhaltsamer Essay, der subtil zeigt, warum es ganz egal ist, wie wir sind: Wir sollten trotzdem alle Feministinnen sein. „Like most people, I'm full of contradictions, but I also don't want to be treated like shit for being a woman. I am a bad feminist. I would rather be a bad feminist than no feminist at all.“*

woolf

Virginia Woolf – Ein Zimmer für sich allein

Mit ihrem Essay Ein Zimmer für sich allein hat Virginia Woolf 1929 den Klassiker der Frauenbewegung schlechthin geschrieben. Die Texte entstammen zwei Vorträgen, die sie ein Jahr zuvor an der Universität Cambridge zum Thema Frauen und Literatur hielt. Doch während ihrer Vorbereitungen wurde ihr klar, wie wenig es über Frauen in der Literatur zu berichten gibt und lenkte ihren Blick auf eine vermeintliche Nebensächlichkeit: die Bedingungen, unter denen Literatur, Kunst und Wissenschaft überhaupt entstehen können. Poetisch malt sie im zweiten Kapitel die Geschichte der imaginären Schwester Shakespeares. Die ist ebenso talentiert, jedoch finanziell abhängig und von der Gesellschaft unterdrückt. Sie findet keine Möglichkeit, ihr Talent auszuleben und bringt sich am Ende um. Woolfs hochliterarischer, poetischer Schreibstil lässt einen mitunter abgleiten in die Welt des viktorianischen Englands und die politische Brisanz des Buches vergessen. Doch immer wieder fällt ein Satz, der einen aufwachen lässt und erkennen lässt, was für eine kluge, mutige Vordenkerin Virginia Woolf war und wie viele der heute gängigen feministischen Konzepte sie schon damals erkannte. Die Autorin zeigt, was Frauen brauchen, um künstlerisch tätig zu sein: ein gewisses Maß an finanzieller und vor allem geistiger Unabhängigkeit. Ein Gut, das vielen Frauen bis heute verwehrt bleibt.

stokowski

Margarete Stokowski – Untenrum frei

Mit Untenrum frei hat Margarete Stokowski das Buch geschrieben, das ich gerne in meiner Teenagerzeit gelesen hätte. In ihrer für sie typisch direkten, freien Sprache erzählt sie über ihr Aufwachsen in Deutschland als Mädchen, als Tochter polnischer Einwander*innen, als Opfer von sexualisierter Gewalt. Sie schreibt über Liebe und Körperbehaarung, über Geschlechtsidentität und Aufklärungsunterricht und statuiert: Für gesamtgesellschaftlichen Wandel braucht es akribische Arbeit an den kleinen Details. Freiheit im Großen, hängt mit der Freiheit im Kleinen zusammen, so ihre These. Sie zeigt auf, dass uns Frauen etliche kollektive Erfahrungen einen und dass wir für körperliche und sexuelle Freiheit auch frei im Kopf sein müssen. Denn wir können nicht untenrum frei sein, wenn wir es nicht obenherum sind. Margarete Stokowski hat das perfekte Einstiegswerk verfasst: verständlich geschrieben und nah an den eigenen Erfahrungen.

islamische feminismen

Lana Sirri – Einführung in islamische Feminismen

Der Feminismus steht durchaus in Blüte, doch das tut auch die Islamfeindlichkeit. Durch Letztere werden selbst Rechte gern zu Kurzzeitfeminist*innen, wenn ihnen einfällt, dass sie die deutschen (!) Frauen beschützen müssen. Doch nicht nur Rechte prägen dieses Bild: Das Narrativ des bärtigen, frauenverachtenden Moslems, der seine Frau zum Kopftuchtragen zwingt, hält sich hartnäckig in den westeuropäischen Köpfen. Höchste Zeit für einen Perspektivwechsel. Diesen ermöglicht uns Lana Sirri. In Einführung in islamische Feminismen zeigt sie die Vielfältigkeit der islamischen Feminismen auf. Die palästinensische Autorin studierte Soziologie an der Universität in Tel Aviv. Ihre Dissertation schrieb sie in Gender Studies an der Humboldt-Universität in Berlin zur Diversität islamisch-feministischer Diskurse. Das Konzept des islamischen Feminismus ist so komplex wie die Lebenswelten der Muslim*innen weltweit. Sirri zeigt verschiedene Ansätze auf und diskutiert Konflikte innerhalb der Community. In Interviews mit Personen aus dem aktivistischen wie akademischen Bereich gibt sie Einblicke in die Kämpfe und Herausforderungen, mit denen sich feministische und queere Muslim*innen in Deutschland konfrontiert sehen. Ein sehr lohnenswertes Buch, denn wie Kübra Gümüşay in ihrem Vorwort schreibt, „verbringen öffentlich wirksame und aktive islamische Feministinnen einen nicht unbeachtlichen Teil ihrer Lebenszeit damit zu erklären, dass und weshalb sie existieren.” Ein Blick weit über den eigenen Horizont, politisch auf jeder Ebene und extrem relevant.

ich bin linus

Linus Giese – Ich bin Linus. Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war

Identitäten sind komplex und so sind es oft auch die Prozesse, die hinter der eigenen Findung liegen. Linus brauchte 31 Jahre um auszusprechen, dass er ein Mann ist und tut es nun in absoluter Offenheit in seinem Buch Ich bin Linus. Ein gebundener Perspektivwechsel, der ehrlich nachzeichnet, wie aufregend, aber auch wie schwer der Alltag von trans* Personen sein kann, wie vielschichtig ihre Identitäten sein können. Wenn Linus seine eigene Geschichte nacherzählt und von seiner zweiten Pubertät spricht, zeigt er, dass Identität flexibel und multidimensional ist und stets neu gedacht werden kann. Ein sehr wichtiges Buch, das einer auf dem Literaturmarkt kläglich unterrepräsentierten Perspektive Raum gibt: Lesen, lernen, und im Anschluss für die Menschen sensibilisieren, deren Geschlechtsidentität vielleicht auch außerhalb der Binarität liegt.

feminist porn book

The Feminist Porn Book. Strategien der Lusterzeugung

Zugegeben: Pornografie scheint auf den ersten Blick ein relatives Spartenthema im feministischen und auch sonstigen Diskurs zu sein. Ihre Macht ist jedoch nicht zu unterschätzen: Sie war es, die die feministische Bewegung durch die sogenannten porn wars in den Achtzigerjahren spaltete und mit dem daraus hervorgehenden sex-positiven Feminismus eine gänzlich neue Strömung begründete. Das Feminist Porn Book führt diese Debatte weiter und sammelt erstmals Werke verschiedener Feminist*innen, die in einer der lukrativsten Wirtschaftszweige unserer Zeit arbeiten: der Erotikbranche. Viele von uns verbinden Pornografie in erster Linie mit schmuddeligen Seiten im Internet und halbseriösen Arbeitsverträgen. Dabei bedient sie sich bereits einer langen Tradition: Schon uralte Höhlenmalereien zeigen sexuelle Abbildungen. Man findet sie auf Reliquien des alten Roms, auf Vasen des antiken Griechenlands oder auf den Kupferstichen der Renaissance. Pornografie gibt es in diesem Sinne seit jeher. Doch gerade in den letzten Jahren hat der Porno durch seine permanente digitale Verfügbarkeit stark an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen. 25 Prozent aller Suchanfragen im Internet drehen sich heute um Pornografie. Die Website Pornhub verzeichnete im vergangenen Jahr 115 Millionen Aufrufe – pro Tag. Der Porno ist überall und prägt unser aller Sexualität. Es lohnt sich also, neue Perspektiven einzunehmen. Das „Feminist Porn Book“ tut genau das: In 27 Essays kommen verschiedene Persönlichkeiten aus der Pornoszene, wie die Produzentin und Darstellerin Candida Royalle oder die Autorin, Kolumnistin und Pornoproduzentin Tristan Taormino, zu Wort. Sie zeigen die Pornoindustrie als ein emanzipatorisches Phänomen, das Frauen und anderen Minderheiten zur Selbstermächtigung und Lustgewinnung dient. Die Autor*innen schreiben über Sexualität außerhalb des heteronormativen Spektrums, beschreiben eigene emanzipatorische Prozesse, zeichnen ein sex-positives Grundverständnis nach und erklären, was es bedeutet, feministische Pornografie zu produzieren. „The Feminist Porn Book“ zeigt die enorme gesellschaftliche Relevanz von Sex auf und regt dazu an, die eigene Sexualität, geformt von einem patrairchalen System, neu zu denken. Nur wenige Monate nach der Publikation des Buches erschien ein zweiter Teil: „The Feminist Porn Book – Die Kunst, Lust zu vermitteln“.

Daft PunkUnser Mix der Woche

John Tejada, Nana Yamato, Nick Cave & Warren EllisWochenend-Walkman – 26. Februar 2021