Der Titel von Hongs Sangsoos Wettbewerbsbeitrag der Berlinale 2017 weckt starke Erinnerungen an Woman on the Beach, mit dem der koreanische Regisseur 2006 im Panorama der Berlinale vertreten war. In der Tat lässt sich der neue Film als eine Umschrift, als ein Remake des älteren Films verstehen, wie ja überhaupt im filmischen Kosmos von Hong alle Filme miteinander kommunizieren, sich selbst variieren, verdoppeln und wiederholen. Sulgi Lie hat sich On the Beach at Night Alone angeschaut und zieht ein gespaltenes Fazit.
On the Beach at Night Alone: Wie der poetisierende Titel schon andeutet, ist die neue Frau am Strand mehr eine traurige denn eine fröhliche Gestalt, was mit der ganzen Schwermut des mehrfach ertönenden langsamen Satzes aus Schuberts Streichquintett auch zur musikalischen Programmatik des Films erhoben wird. In dem früheren Film gibt es eine Szene, die vielleicht zu den witzigsten überhaupt im Hong’schen Gesamtwerk gehört: Da zeichnet der derangierte Regisseur ein absurdes Diagramm seiner Eifersuchtsfantasien, weil er es nicht verkraften kann, dass seine begehrte Frau am Strand während eines Deutschland-Aufenthaltes mit einigen genital wohl sehr gut bestückten Männern ins Bett gegangen ist. Die Kastrationsängste des lächerlichen koreanischen Mannes sind ein running gag bei Hong und im neuen Film taucht die Deutschland-Episode als Erzählung fast identisch in einer späteren Szene wieder auf, um erneut bei den anwesenden Männern einen verkniffenen Sexualneid auf den deutschen Phallus zu erwecken. Nur hat Hong diesmal tatsächlich den ersten Teil von On the Beach at Night Alone in Hamburg gedreht, wohin es die Schauspielerin Younghee (Kim Minhee) nach einer gescheiterten Affäre mit einem älteren Regisseur verschlagen hat.
Von frivolen Ausschweifungen ist jedoch rein gar nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die trüb bewölkte Hansestadt ist die Entsprechung zum Gemütszustand von Younghee, die sich in selbstquälerischen Dialogen mit einer Freundin durch die fremde Tristesse schleppt. Wer eine Fortsetzung des genialen komödiantischen Drives der letzten Hong-Filme (insbesondere Right Now, Wrong Then) erwartet hatte, wird plötzlich mit dem Porträt einer weiblichen Depression überrascht. War diese zwar immer auch affektiver Bestandteil von Hongs Filmen, mutet der gänzliche Entzug der Komik aus dem Hamburg-Teil trotzdem seltsam an. Auch filmisch kommt der Film kaum in Fahrt, es fehlen die schrägen Zooms (eine Hong-Trademark), die Dialoge lassen die gewohnte Doppelbödigkeit vermissen und kippen bisweilen in eine emo-exhibitionistische Befindlichkeitslarmoyanz, so dass plötzlich die unangenehme Brooklyner Hipster-Weinerlichkeit des von Kollege Blumberg rezensierten Films Golden Exits gar nicht so fern erscheint. Es ist nur schwer zu entscheiden, ob diese depressiv gehemmte Awkwardness nun eine Qualität oder Schwäche des neuen Hongs darstellt: Auf jeden Fall ist der Fun-Faktor deutlich niedriger. Waren seine bisherigen Filme immer auch zum Schenkel-Klopfen lustig, so pendelt sich der Energiepegel von On the Beach at Night Alone diesmal auf hanseatischer Fischköpfigkeit ein.
Den Sauf-Longtake muss man auch in diesem Film nicht missen
Das ändert sich auch nicht gänzlich nach Younghees Rückkehr nach Korea. Die koreanischen Männer bleiben nun mal dieselben Idioten, wie sie feststellt, und wie immer bei Hong ist der Alkohol nur bedingt das beste Antidepressivum. Zumindest gibt es nun aber sporadisch wieder jene unnachahmlichen Momente, auf die der Hong-Fan nicht verzichten mag: z.B. das Treffen von Younghee mit einem alten Freund in einem Café, in der der Mann seine anwesende Frau Younghee gegenüber als „gute Freundin“ bezeichnet und schließlich das Kernstück jedes Hong-Films – den Sauf-Longtake. Insbesondere bei dem Trinkgelage zieht Hongs neue Muse Kim Minhee alle schauspielerischen Register: Wie ihre Affekte da aus dem Ruder laufen und unvorhersehbar im Suff zwischen Spaß und Ernst hin und her kippen, das hat große Klasse. Hong streut auch einen dezenten Verweis auf Kim Minhees Starperformance in The Handmaiden seines Kollegen Park Chan-wook ein, in der die lesbische Liebe einen Ausweg aus dem Patriarchat weist. Aber ganz ohne die Männer kann es für Younghee auch nicht gehen. Und so träumt sie sich im letzten Teil des Films eine letzte Begegnung am Strand mit dem verflossenen Regisseur herbei, bei der die Wunden der Vergangenheit wieder aufbrechen.
Selbstkritik ist ja einer der Slogans der diesjährigen Berlinale und in diesem Sinne könnte man natürlich auch On the Beach at Night Alone wie alle anderen Hong-Filme als Selbstkritik des männlichen Kinophantasmas bezeichnen, die umso mehr an Deutlichkeit gewinnt, seit Frauen immer mehr im Zentrum seiner Filme stehen. Nun ist der Grat zwischen Selbstkritik und Hypernarzissmus ein äußerst schmaler, und Hong tappt anders als Julian Radlmaier diesmal etwas zu sehr in die Falle: Gerade wenn man den jüngsten Gossip um Hongs Privatleben kennt, den der Film fast schon als Wissen vorauszusetzen scheint, bekommt die Autofiktion des Films einen etwas unangenehmen Beigeschmack. Vor allem dann, wenn der gewohnte Hong’sche Hyperformalismus zugunsten einer eher diffus art-housigen Melancholie aufgeweicht wird.
##Fluchtlinie Kameramann-Actor
Vielleicht wäre es schon mal ein Ausweg für solch selbstreferentielle Filmemacher wie Hong Sangsoo, die obsessive Beschäftigung mit seinen eigenen Affekten und „bad feelings“ etwas zu relativieren. Diese Fluchtlinie zeigt der Film selbst auf, und nicht zufällig ist es das Gelächter des Slapsticks, welches die depressive Frau am Strand und den depressiven Film selbst aus der Apathie holt: Ein schwarzmaskierter Mann (gespielt von einem der Kameramänner des Films) taucht völlig abstrus mal als Entführer, mal als Fensterputzer auf und stört den narzisstischen Strand-Blick des depressiven Subjekts. Wenn der Film etwas zu sehr in die Nabelschau eines egomanischen Regisseurs abzugleiten droht, zieht er sich doch selbst wieder aus dem Schlamassel heraus: Das ist vermutlich der Unterschied zwischen einem Hong-Sangsoo-Film und Hong Sangsoo.
On the Beach at Night Alone
Republik Korea 2017
Regie: Hong Sangsoo
Darsteller: Kim Minhee, Seo Younghwa, Jung Jaeyoung, Moon Sungkeun, Kwon Haehyo, Song Seonmi, Ahn Jaehong, Park Yeaju
Kinostart: noch nicht bekannt