Wo die Macs nicht sterben30 Jahre Gravis: Exklusiver Besuch in einer der größten Werkstätten Deutschlands für iPhone und Co.
17.11.2016 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannSeit genau drei Jahrzehnten Jahren verkauft und repariert Gravis alles rund um Apple. Und auch heute noch wird ein musealer Mac ebenso wieder in Schwung gebracht wie das neuste iPhone. Wie genau das funktioniert, haben wir uns in der Berliner Zentrale angeschaut.
Die Festplatte ist schwer, groß, alt und irgendwie kaputt. Ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, in der jedes Megabyte Speicher mindestens 100 Gramm wog. Mit voller Wucht knallt sie auf den Tisch; keine rabiate Datenvernichtung, sondern ein alter Trick. Der Techniker baut sie wieder in den Macintosh SE ein, prüft die Kabelverbindungen und schaltet den Rechner ein: funzt.
So etwas kommt hier nicht mehr oft vor. Moderne Macs kann und darf man so nicht behandeln. Aber hier, am Berliner Ernst-Reuter-Platz, kennt man sich mit Dinosauriern der Apple-Geschichte aus. Einige Kollegen arbeiten schon genauso lange am und mit dem Mac, haben Generationen von Geräten studiert, aufgeschraubt, repariert, analysiert, Ersatzteile gehortet, Sollbruchstellen geflickt, vermeintlich toten Computern neues Leben eingehaucht. Sie haben den technischen Fortschritt begleitet, ihn hautnah erlebt. So alte Geräte sieht man heutzutage natürlich selten in der Berliner Gravis-Zentrale, unten der Flaggschiff-Store, oben eine der größte Apple-Werkstatt Deutschlands. Aber wenn sich dann eben doch mal wieder einer der Rechner im klassischen Beige hierher verirrt, einer mit ADB-Schnittstelle, SCSI-Anschluss und einem Prozessor von Motorola, wird getan, was eben getan werden muss: Der Happy Mac darf nicht sterben.
Aus Underdog wird Lifestyle
Dass einige der Kollegen hier schon seit 30 Jahren an Rechnern schrauben, ist kein Zufall: Ihr Arbeitgeber feiert 2016 den 30. Geburtstag. An die große Glocke hängt man das nicht, es gibt viel zu viel zu tun. In der Werkstatt brummt es. Macs und natürlich iPhones und iPads sind beliebter denn je. Gravis hält den Apple-Produkten seit 30 Jahren die Stange, hat die Höhen und Tiefen des Geschäfts rund um den Apfel miterlebt und auch die Zeiten überstanden, in denen der Kampf gegen Microsoft so gut wie verloren schien. Eine Zeit – prä-iMac und -iPod –, an die sich viele Menschen gar nicht mehr erinnern, bei der heutigen Omnipräsenz von Apple. Der Mac als Underdog, überteuert und technisch unterbelichtet, von vielen Software-Entwicklern vergessen oder schlicht bewusst ignoriert: vielleicht aus guten Gründen. Aber dann kam Jobs zurück, riss das Ruder rum und fand, definierte die Nische des digitalen Lifestyles und machte mit dem iPhone den Sack zu. Seitdem hat sich viel geändert. Das MacBook ist das vielleicht beliebteste Notebook überhaupt, von der Marktdurchdringung des iPhones ganz zu schweigen. Apple ist gewachsen, ist mächtiger denn je und hat immer weniger Interesse daran, sich die Gewinnmarge mit Einzelhändlern zu teilen. Schon seit Jahren baut man das Netz der eigenen Stores aus, auch in Deutschland.
Doch wenn etwas nicht mehr funktioniert in der schillernden Apfel-Welt, ein iPhone oder ein Computer ein bisschen Liebe braucht, zeigt sich schnell, wie sehr dieses System auf Kante geplant ist. Gerät einfach zur Reparatur vorbeibringen? Fehlanzeige, ohne Termin wird man meist wieder weggeschickt. Und die Termine sind rar. Wer will schon eine Woche warten, bis man sein MacBook zur Reparatur abgeben „darf“? Das ist auch in Berlin so. Die Gravis-Zentrale liegt strategisch günstig: Vom Apple Store am Kurfürstendamm sind es nur wenige Minuten zu Fuß hierher und anders als am Kurfürstendamm kann man kaputte Geräte hier auch ohne Termin vorbeibringen.
Dass Reparaturen hier mit der gleichen Sorgfalt ausgeführt werden wie von Apple selbst, spürt man beim Rundgang durch das TechnikCenter sofort. Wer hier arbeitet, liebt Macs, kennt sich aus, ist für sein Aufgabengebiet zertifiziert. Anders würde das auch gar nicht funktionieren. Ohne die konstante Weiterbildung im Umgang mit neuen Produkten könnte sich Gravis nicht das Siegel „Autorisierter Service Provider“ an die Ladentür hängen und würde von Apple nicht mit den benötigten Ersatzteilen versorgt, den Werkzeugen, die es braucht, um z.B. ein iPhone sachgemäß zu öffnen. Was wir einfach mal machen.
Wasserschaden?
Ein brandneues iPhone 7 liegt vor uns. Geht nicht mehr an. Natürlich nehmen iOS-Geräte wie das iPhone mittlerweile einen großen Teil des Auftragsvolumen ein, bis zu 70 Prozent. Aktuell liegt das Verhältnis bei rund 50:50. Wenn ein iPhone nicht mehr angeht, sagt der Techniker, ist oft genug ein Wasserschaden dafür verantwortlich. Doch die neuen iPhones sind wasserdicht, das kann es ja also nicht sein. Oder doch? Wäre ja ein Knaller! Der Techniker spannt das Telefon in eine irre Konstruktion (von Apple) ein, mit großen Saugnäpfen, um das Display von Chassis zu trennen. Pfmmmmp. Ein Wasserschaden ist das nicht. Warum das Smartphone nun den Dienst verweigert, müssen weitere Tests zeigen. So ein iPhone zu öffnen, war nicht immer so aufwändig. Der Techniker holt ein altes iPhone 3G S aus dem Regal: Das lässt sich einfach aufhebeln. Das Innenleben sieht aus, als wäre es mit Fischer Technik zusammengebaut worden. Wie einfach das doch früher war. Doch solche Herausforderungen nimmt man bei Gravis sportlich.
Bei Apple ist man von der Idee besessen, dass Produkte immer dünner und kompakter werden müssen. Egal ob es sich dabei um ein iPhone oder einen iMac für den Schreibtisch handelt. Das bleibt nicht ohne Folgen: Komponenten sind im Gehäuse verklebt, an sie heranzukommen, ist mit den Jahren immer schwieriger geworden. Kurz vor dem Ortstermin bei Gravis geht die Nachricht durch die Medien, Samsung werde das Galaxy Note 7 nun endgültig vom Markt nehmen, das Unternehmen hat die Akku-Probleme nicht in den Griff bekommen. Dass immer öfter Komponenten in den Geräten verklebt sind, ist ein Problem: In der Ecke steht eine klassische Mülltonne, in der sich die Unterseite eines MacBooks befindet – mit aufgeblähter Batterie. Das fasst selbst hier niemand mehr an. Zu gefährlich. Wir stehen an der iMac-Station und ich frage, ob es nicht wahnsinnig komplex sei, den ebenso wahnsinnig dünnen Computer überhaupt aufzubekommen, ohne wichtige Teile zu beschädigen, vor allem das große Display. Es brauche Konzentration, ja. Aber, sagt ein Mitarbeiter, die neuen Modelle, die extrem dünnen, würden ihm tatsächlich mehr Spaß machen.
Die Fehler und Probleme seien oft genug sowieso immer die gleichen. Dank der ausgeklügelten Service-Infrastruktur von Apple könne man Kunden in der Regel sehr schnell helfen. Das liegt vor allem daran, dass Ersatzteile meistens innerhalb von 24 Stunden geliefert werden können. Apple arbeitet hier sehr tight, vor allem aber transparent, was man von anderen Herstellern oft genug leider nicht behaupten könne. Der Auftragsstatus ist zu jeder Zeit online einsehbar, auch für die Kunden. Überraschendes Detail: Apple-Ersatzteile sind günstig. Das mag man gar nicht glauben, sei aber wirklich so. Natürlich schmerzt es, wenn man bei einem gebrochenen Display des iPhones rund 130 Euro für den Tausch hinlegen muss, andere Smartphone-Hersteller verlangen dafür aber deutlich mehr, wenn der Austausch-Bildschirm denn überhaupt lieferbar ist.
30 Menschen arbeiten im TechnikCenter bei Gravis, inklusive der Azubis. Kleinere Reparaturen werden auch in den anderen 42 Filialen deutschlandweit durchgeführt. Vieles kann jedoch nur am Ernst-Reuter-Platz geregelt werden. Um einen schnellen Durchlauf zu garantieren, hat man intensiv an der Logistik gearbeitet, damit keine langen Wartezeiten entstehen. In der Berliner Werkstatt werden pro Jahr rund 30.000 Aufträge bearbeitet, insgesamt wuppt Gravis 120.000 Reparaturen: Tendenz steigend. Dank der langen Tradition des Unternehmens ist man auf die zunehmende Konkurrenz der Apple Stores nicht nur gut vorbereitet, sondern hat auch nichts zu befürchten, im Gegenteil. Viele Kunden, die mit ihren defekten Geräten im Flaggschiff-Store landen, würden berichten, dass sie kleinlaut von einem Apple Genius hierher verwiesen wurden. Bei denen geht es schneller als bei uns.
Wirklich beeindruckend ist die Leidenschaft der Mitarbeiter für ihren Job. Egal ob der junge Kollege, der das iPhone 7 aufpoppen lässt, oder der ältere, der den 30 Jahre alten Macintosh SE aufschraubt und die Festplatte mit Schmackes auf den Tisch knallt: Hier arbeiten Menschen, die sich auskennen und ihr Wissen gerne teilen. Sobald der SE wieder läuft, wagen wir eine Tour durch das antiquarische Betriebssystem, an das ich mich selbst nur noch dunkel erinnern kann. Was diese Rechner damals schon alles konnten! Andere Kollegen blicken von ihrer Werkbank hoch, kommen dazu, stellen Fragen, plötzlich fühlt man sich, als säße man am besten Nerd-Stammtisch aller Zeiten. Schon lange plant man, im Flaggschiff-Store ein kleines Museum mit alten Macs aufzubauen. Mit dem SE, dem Macintosh Portable, dem ersten Laptop aus Cupertino überhaupt, und all den anderen Klassikern, die man in den vergangenen 30 Jahren gehortet und gepflegt hat.
Dinge zu reparieren, ihnen eine zweite oder dritte Chance zu geben, kann so befriedigend sein. Natürlich sind neue iPhones und MacBooks das Tagesgeschäft hier bei Gravis. Aber nur wer ab und an einen Blick in die Technik-Geschichte wirft, kann der Gegenwart voll und ganz geerdet begegnen.