“Pop möchte geteilt werden, aber sich nicht festlegen lassen“How To Dress Well über verbindlichen Pop, verdrängte Träume und Rahmenbedingungen des Sich-Verliebens
29.6.2014 • Sounds – Text: Bianca Heuser, Bild: Benedikt BentlerDer amerikanische Popmusiker Tom Krell ist als How To Dress Well für seinen modernen und hochemotionalen R&B bekannt. Auch auf seinem dritten Studioalbum „What Is This Heart?“ geht es um große Gefühle und noch größere Themenkomplexe. Seine Begleitung changiert dabei von der Akustikgitarre zu beinahe orchestralen Arrangements. Auf die Frage, was dieses Herz nun ist, kann sich unsere Redakteurin Bianca Heuser keine universelle Antwort vorstellen, im Interview mit dem Musiker ließ sie sich aber etliche weitere beantworten.
Zu Beginn möchte ich dir eine Frage stellen, die du selbst im Pressetext zu deinem neuen Album formulierst: Gibt es Raum für Liebe in unserer aktuellen Gesellschaftsordnung?
Ja, den gibt es. Aber ich glaube, dass er von dieser neoliberalen Manager-Attitüde gefährdet ist, die Menschen dazu zwingt, sich als hartarbeitend, glücklich und gesund inszenieren, ihre Leben als CVs zu sehen, die es zu managen und kontrollieren gilt. Das führt dazu, dass sie sich für den Schmerz, den sie fühlen, schämen, weil er ein Zeichen für ihre Gebrochenheit ist, und dafür, dass sie nicht so geeignet für den Job sind wie die nächste Person. So ist Liebe in dieser Gesellschaftsordnung auf einem individuellen Level gefährdet. Auf einem globalen Level ist Liebe insofern gefährdet als dass Nationen jegliche Unterstützungsstrukturen für Menschen, die in Not sind, gebrochen oder angeschlagen, oder einfach vom Glück verlassen, aushöhlen. Nationen halten ihren Bürgern keine Treue, sondern ausschließlich Konzernen. Sie kümmern sich nur um Profit. Unsere Nationen bauten einmal auf einer Idee von gemeinschaftlicher Humanität auf, auf einer Idee von Sympathie. Liebe ist definitiv nicht möglich, wenn man am verhungern ist. In Chicago verhungert eine aus sechs Personen. Und das ist die sogenannte „erste Welt“. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie Leben in Südostasiatischen Staaten aussieht, deren Bewohner der Westen brutal ausbeutet. Sogar an diesen Orten ist Liebe noch möglich, aber meiner Meinung nach sollte die Welt so organisiert sein, dass sie die Möglichkeit von Liebe für so viele Menschen wie möglich maximiert. Nicht jeder möchte Liebe oder kann lieben, aber wir sollten unter anderen Bedingungen leben, die Liebe, Humanität und Sympathie erleichtern.
Wie könnte das erreicht werden?
Indem man Einkommensungleichheit verringert. Indem man ehrlicher mit Ungerechtigkeit umgeht. Wir beide tragen gerade Nike-Zeug. Sachen, die von den Händen von Menschen gefertigt wurden, die brutal ausgebeutet werden, damit wir nette Dinge haben können. Es gibt vieles, was wir tun könnten und sollten, aber dem steht ebenso viel im Weg. Man sollte vielleicht anfangen, indem man einen Haufen reicher Leute umbringt. Sie ihres Wohlstands enteignen und ihn gerecht umverteilen.
Wie gehst du damit um, mit deiner Musik Kapital aus Gefühlen zu schlagen?
Ich habe kein Problem damit, dass Menschen aus etwas profitieren. Wenn du eine tolle Idee hast, solltest du davon auch gut leben können. Das Problem ist, dass manche Menschen für ihre Arbeit bezahlt werden und andere nicht. Das Problem ist, dass nicht jeder Mensch zu arbeiten haben sollte um zu überleben. Ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt jemand zu arbeiten haben sollte um zu überleben. Natürlich ist Arbeit ein wichtiger Teil menschlicher Existenz und viele Menschen lieben ihre Arbeit, sogar die, die ich vielleicht nicht machen wollen wurde, und natürlich sollte jeder arbeiten können, aber es sollte nicht der primäre Fokus menschlichen Lebens sein. Der einzige Grund aus dem das derzeit der Fall ist, ist dass Unternehmen obszöne Mengen von Profit generieren müssen, einzig aus der Motivation heraus, mehr Geld anzuhäufen. Ich finde das extrem komisch.
Aber ich habe kein Problem damit, dass Menschen von ihren Beiträgen profitieren. Mein Bruder zum Beispiel ist Hausmeister. Er putzt Toiletten. Und lebt davon ziemlich genau an der Armutsgrenze. Er arbeitet vierzig Stunden die Woche, 51 Wochen im Jahr und verdient dabei wahrscheinlich ein Dreißigstel von dem was Mitt Romney im Jahr an Zinsen auf seine Ersparnisse einnimmt. Ich finde, er sollte sehr viel mehr verdienen. Diese Ungleichheiten sind das Problem, und aus irgendeinem Grund verstehen das die Leute nicht. Viele Leute fragen immer, warum politische Aktivisten so viel rumschreien müssen. Ich frage mich, warum nicht mehr Menschen frustriert mit den Bedingungen sind, unter denen wir leben und menschliches Wohlergehen und Aufblühen so unmöglich ist. Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Bedrohung ihres Wohlseins und Florierens nicht mehr Menschen Sorgen bereitet. Sie wird einfach Teil populärer Kultur im Westen.
Genau wie unsere Unterhaltung zwischen privaten und universellen Themen verläuft, verbinden deine Texte persönliche Erfahrungen und Überlegungen zu der Gesellschaftsordnung, in der wir sie machen. Das passt gut zu den teilweise intimen Arrangements, die sich mit einer Art von Musik verbinden, die eher als Stadium-Pop zu beschreiben ist.
Genau dieser dynamische Shift war auch meine Absicht, sowie die Verbindung von digitalen Elementen und Akustikgitarre.
Wo wir gerade dabei sind: Samplest du auf „See You Fall“ eigentlich „Heroin“ von The Velvet Underground?
Nein, aber es ist dieselbe Akkordfolge. Kennst du auch den Heroin-Song von Spiritualized? Das Ende von „See You Fall“ ist auch daran angelehnt. Es ist quasi mein Heroin-Song. Und eines der wütendsten Stücke, das ich je geschrieben habe! Wenn ich Texte schreibe, singe ich meist einfach eine Weile vor mich hin und höre mir später die Aufnahmen an, um herauszufinden, was die jeweilige Melodie aus mir heraus holt, welche Textfetzen sich reimen, und worum es gehen soll. In diesem Song geht es um ein Mädchen, mit dem ich zusammen war, als ich sehr jung war. Sie hat mir vieles zum ersten Mal beigebracht, zum Beispiel wie man cool ist, aber ich habe erst letztes Jahr, beim Schreiben dieses Songs realisiert, wie abgefuckt diese Beziehung auch war. Generell habe ich beim Schreiben von „What Is This Heart?“ sehr viel über mich gelernt; Dinge, die ich gesagt habe oder nicht, oder gehört, aber kaum beachtet habe, zum ersten Mal wirklich begriffen.
Das gilt zum Beispiel auch für den Album-Opener, „2 Years On (Shame Dream)“. Wir hatten eine Party in der Wohnung eines Freundes geplant und er sagte mir am Telefon es gäbe in einem Schrank ein Stroboskoplicht. Im selben Schrank fand ich eine Akustikgitarre – und ich hatte seit ich 16 war keine Akustikgitarre mehr – die ich anfing zu spielen. Die Melodie, die dabei herauskam, erinnerte mich an einen Traum, den ich lange vergessen hatte. Das war wie in Filmen über das alte Ägypten, in denen jemand eine Flöte spielen muss, um eine magische Tür zu öffnen. Diese Melodie öffnete viele kryptische Türen für mich, die ich niemals hätte öffnen können, wenn ich es bewusst versucht hätte. Ich habe daraus viel darüber gelernt, warum ich liebe, wie ich liebe, Stolz empfinde, wie ich es tue, warum ich Schuld fühle, wann und wie ich sie fühle. Die Melodie hat mich dazu gebracht, diesem Traum Aufmerksamkeit zu schenken. Das war eine tolle Erfahrung.
In „Very Best Friend“ beschreibst du dich als gelegentlich „extra sentimental“. Woher kommt deine Bereitschaft und beziehst du das Selbstvertrauen, diese extrem privaten Gefühle mit der breiten Öffentlichkeit zu teilen?
Vielleicht verstehe ich nicht ganz, was ich mache. Vielleicht werde ich es bereuen. Mit 15 hat mir ein Freund beigebracht Gitarre zu spielen und ich fing an, extrem traurige Lieder zu schreiben. Die habe ich meinen Eltern damals nie vorgespielt, weil ich Angst hatte, es wäre ihnen peinlich zu wissen, was ich gerade durchlebe. Ich habe all das immer in meiner Musik herausgelassen. Selbstvertrauen ist aber definitiv ein Begriff, den ich besonders mit diesem Album assoziiere. Es entspringt teilweise meiner letzten Tour. Ich habe an die 250 Konzerte gegeben, mein sehr persönliches und intensives letztes Album „Total Loss“ vor tausenden von Menschen live gespielt. Wenn einem so viele Leute das Gefühl geben, das Richtige zu tun und sich in diese sehr spezifische Musik und die noch spezifischeren Erfahrungen, aus denen sie entstand, einfühlen zu können, motiviert einen das den nächsten Schritt zu gehen.
Das klingt als läge dir das Medium und Konzept von Popmusik sehr am Herzen. Ich halte es für eine seiner Stärken, das Pop es in seiner Einfachheit so vielen Menschen erlaubt, eine Verbindung zu oft sehr komplexen Gefühlen herzustellen und sich auf eine Art mit ihnen zu identifizieren.
Pop ist eine Grammatik, die wir teilen. Genau die von dir beschriebenen Prozesse versuche ich durch meine Musik in Gang zu setzen. Ich sage gern, dass meine Musik Pop ist, aber nicht populistisch. Besagte geteilte Grammatik erlaubt es den Hörern, etwas vorauszuahnen. Wenn dieser Moment dann kommt, den Skrillex-Fans zum Beispiel gern den „Drop“ nennen, verschafft das eine gewisse Befriedigung. Ich versuche dabei, für eine Übersättigung zu sorgen, alles etwas zu emotional zu gestalten, um möglichst wenig Distanz zwischen der Musik und ihrem Hörer zuzulassen. So kann man einen Song zum Beispiel dazu zwingen, mehr zu bedeuten, als er erst einmal möchte. Pop möchte geteilt werden, aber sich nicht festlegen lassen. Pop möchte sich eignen um auf Hochzeiten gespielt zu werden, aber ich habe ihn gern etwas extremer. Darum ist meine Musik etwas mehr als Pop.
Besonders extrem finde ich, wie „What Is This Heart?“ endet. „This world is such a pretty thing“ als die letzten Textzeilen auf einem sonst ziemlich intensiven, stellenweise düsteren Album, erwischen einen etwas unvorbereitet.
Als ich diesen Song, „House Inside (Future Is Older Than The Past)“, schrieb, wusste ich, dass er der letzte des Albums sein würde. Es geht darum, wie einem die Zukunft als Kind als ein Ort beschrieben wird, an dem man machen kann was man möchte. Aber weißt du, wie die Zukunft wirklich aussieht? Deine Eltern bekommen Alzheimer. Deine Geschwister sterben. Du bist arbeitslos. Menschen, die dir nahe stehen, brechen zusammen. Die Zukunft kann aber auch voll guter Dinge sein. Im Refrain singe ich davon, dass alles Leben auf Erden vielleicht schrecklich ist, eine kosmische Anomalie und dass die Welt vielleicht ein besserer Ort war, bevor alles aus ihr hervorgekrochen ist, aus dem sich unsere Gegenwart entwickelt hat. Und dann sage ich: „But you came back for me, such a pretty thing, the world is such a pretty thing“. Denn wenn du mich fragst, ob ich glaube, dass Liebe möglich ist, auch unter den härtesten Bedingungen, muss ich ganz klar ja sagen. Macht das den ganzen furchtbaren Scheiß wett? Vielleicht hat Liebe diese Kraft. Sicher bin ich mir aber nicht.